XIX

145 17 1
                                    

• L U K E •

Vor Schreck ließ ich den Pfeil los als mir die Luft aus den Lungen gepresst wurde und ich den harten Stamm an meinem Rücken spürte. Rinde bröselte ab und fiel auf den Waldboden, doch all das war mir egal, denn vor mir stand ein verfickter Psycho!

Sein Gesicht war mir so nahe, dass ich kaum etwas von ihm sehen konnte. Nur seine grünen Augen, die mit einer unglaublichen Menge an Misstrauen und Verachtung in die meinen blickten und seine schwarzen Haare, die so wüst wie meine aussahen. Bis auf sein Auftreten, beunruhigte mich aber eine Sache ganz besonders. Die große, sich teilende Narbe über seinem linken Auge.

„Wer bist du?", knurrte er mir mit rauer Stimme entgegen.

Zittrig traute ich mich wieder bis in den Bauch hinunter zu atmen. „Das wollte ich auch grad fragen."

Meine sonst von allen gehasste, selbstbewusste und leicht sarkastische Art nützte mir in diesem Falle nichts. Beim Training hatte ich immer gelernt, meinem Gegner etwas vorzuspielen. Wenn meine Selbstsicherheit sich verabschiedete, sollte ich wenigstens so tun als wäre sie noch da. Doch hier war alles zwecklos. Wie auch immer er das machte, er schüchterte mich dermaßen ein, dass meine Knie weich wurden und ich mich unweigerlich sofort unterwerfen würde.

Innerlich schien es aber doch noch den einen Punkt zu geben, der dafür sorgte, dass ich mich trotz des Schocks verteidigte. Und so schnellte mein Kopf nach vorn und knallte meinem Gegenüber ins Gesicht.

„Du mieser-", fluchte der Fremde los und hielt sich die Nase, die beim Zurücktaumeln einige Spritzer Blut verloren hatte.

Mit einer Spur Mitleid sah ich ihn an, ehe mir ein schadenfroher Laut entkam, ich mich vom Baum wegdrückte und an ihm vorbei in den Wald rannte. Wohin war mir egal. Die Orientierung würde ich so schnell nicht verlieren. Ich wollte vorerst nur weg von dem, zugegebenermaßen sehr einschüchternden, Typen.

„Bleib stehen! Du kommst eh nicht weit!", rief er mir hinterher.

Ha! Was glaubte der denn? Ich war im Wald geboren. Wenn jemand sich in solch einem Terrain schnell und agil bewegen konnte, dann ja wohl ich!

Der Fremde aber konnte das schlecht wissen und ich hörte schnell hinter mir Schritte, weswegen ich verstohlen nach hinten sah. Okay, rennen konnte er! Und wie! Überrascht drehte ich mich wieder um und wechselte die Richtung, bevor er mich fassen konnte. Heilige Scheiße! War das sowas wie ein übernatürlicher Jäger?

Ich schüttelte über mich selbst den Kopf und rannte so schnell ich konnte.

Farne und andere kleine Pflanzen im Unterholz wurden unter meinen Schritten plattgetreten und so ungünstig die Umstände auch waren, ich fühlte mich endlich wieder lebendig! Eine richtige Hetzjagd hatte ich vermisst, auch wenn ich ungern in der Position der Beute war. Zwar hatte meine Fitness unter den letzten Wochen der Ruhe gelitten, aber gewisse Dinge verlernte man nicht. Und dieses Spiel hatte ich schon oft gespielt. Zuletzt mit meinen Geschwistern...

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und bei der plötzlichen Erinnerung hätte es mich fast über einen Ast gehauen, der am Boden lag. Verdammt, so ne Unaufmerksamkeit konnte ich mir nicht leisten!

Als ich die Geräusche hinter mir lauter als zuvor wahrnahm, sprang ich instinktiv hoch und zog mein Gewicht an einem der staken Äste eines Laubbaums hoch. Der Wald war in dieser Gegend heller und lichter und innerlich war ich unglaublich erleichtert darüber. Mein Gegenüber hatte dies offensichtlich nicht erwartet und lief knapp am Baum vorbei. Im selben Moment, wo er stark abbremste und wieder umdrehte, hatte ich mich ebenfalls wieder hinabgelassen und war wieder in die Richtung gerannt, aus der wir gekommen waren.

Doch mein Glück hielt nicht lang. Dieses Mal hatte ich wohl den Kürzeren bei der Verfolgung gezogen, denn ich spürte ein unangenehmes Drücken in der Wade und wurde augenblicklich später zu Boden geworfen.

„Wer auch immer du bist, du gehst mir dezent auf die Nerven!"

Ich drehte meinen Kopf über meine Schulter nach hinten und sah ihn garstig an. „Ich dir?!"

„Ja, wem sonst?", fragte er irritiert nach und als er seinen Kopf für eine Sekunde leicht zur Seite neigte, verlor er fast sein bedrohliches Aussehen.

Zähneknirschend verdrehte ich die Augen und trat nach ihm aus. Er wich jedoch aus und als ich mich auf den Rücken gedreht hatte, spürte ich schon seine Faust in meiner Magengegend. Was war sein Problem?

Vor Schmerz kniff ich kurz die Augen zusammen, unterdrückte den starken Drang mich zusammenzukrümmen und schlug ihm stattdessen ins Gesicht. Direkt in den Augenbereich, zwar verfehlte ich leider wieder, brachte ihn aber dadurch dazu, dass er von mir runterging und ich, indem ich mich nach hinten abrollte, aufstand.

Er war größer als ich und wohl auch stärker, seine beeindruckenden Reflexe erwähnte ich gar nicht, und so rannte ich lieber weg als es auf eine Schlägerei hinauslaufen zu lassen.

Das ganze Spiel wiederholte sich wieder. Ich rannte davon, fühlte mich wie ein beschissenes Tier und der Fremde mir hinterher. Weitere Ausweichmethoden vermied ich, stattdessen bog ich erneut ab und rannte in einen abgelegeneren Teil des Waldes und sprang über einen kleinen Bach. Die Schritte meines Verfolgers wurden leiser, zögerlicher, als würde er sich hier nicht sonderlich wohlfühlen, doch ein Blick nach hinten bestätigte mir seine Anwesenheit. Hätte ihn ja glatt vermisst...

„Bleib lieber stehen, du tust uns damit keinen Gefallen!", forderte er erneut. Dieses Mal weniger wie ein potentieller Mörder. Mehr wie ein unruhiger Spion.

Natürlich dachte ich nicht ans Stehenbleiben und sah meine Chance in seiner Zurückhaltung. Meine Schritte beschleunigten sich und die meines Gegners irgendwann auch. Ich war es schon fast leid. So sehr mir das Ganze hier auch Spaß machte, irgendwo war es ja aber auch ernst und ich war nicht scharf darauf von dem Schwarzhaarigen vermöbelt zu werden.

Doch die Sorge brauchte ich gar nicht haben, denn jetzt hatte ich eine Neue.

Mir wurden brutal die Beine unterm Körper weggerissen, ich einmal der Länge nach umgedreht und nicht mal eine Sekunde später wurde ich in die Luft gezogen. Mit meinen Händen griff ich verzweifelt nach einigen Nadeln und Laub, als könnte mir das Etwas bringen. Aber nichts konnte verhindern, dass ich letztlich kopfüber in der Luft hing, ungefähr eineinhalb Meter über dem Boden.

Der überraschte und zugleich schimpfende Laut neben mir, ließ mich zusammenzucken und als ich meinen Kopf in besagte Richtung drehte, baumelte neben mir der Angreifer.

Meinte er vielleicht diese altmodischen Fallen mit, dass es keine gute Idee sei?

„Vielen Dank auch!", zeterte er neben mir und schwang hin und her, um sich aus der Falle zu befreien.

Entsetzt riss ich die Augenbrauen nach oben. „Du bist mir doch hinterhergerannt! Was kann ich denn dafür?!"

Eine Weile lang sah er mich skeptisch an, ehe er weiter an der Falle zerrte. Sein Reißen und Fluchen brachten ihm jedoch nichts und irgendwann musste auch er einsehen, dass es hoffnungslos war. Seufzend ließ er die Arme nach unten sinken und sah mich lange schweigend an. Seine stechend grünen Augen dabei böse zusammengekniffen.

„Ich bin Luke, falls es dich immer noch interessiert", stellte ich mich vor.

Der Grünäugige verzog seinen Mund zu einem Strich. „Was?"

„Du wolltest doch wissen, wer ich bin", erklärte ich.

Als er meine Anspielung auf vorhin erkannte, entspannte sich sein Gesicht etwas und geschlagen entgegnete er, „Darryl."

His Green EyesWhere stories live. Discover now