2 - Der Teufel höchstpersönlich

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Der Mittwochmorgen beginnt so, wie der gestrige Tag geendet ist: In einem Desaster.

Als ich um halb sechs aufstehe, ist es draußen noch dunkel und im Haus so still, dass ich meinen eigenen Herzschlag hören kann. Schwarze Augenringe zeichnen sich unter meinen Lidern ab und bilden somit einen starken Kontrast zu meiner blassen Haut. Ich sehe aus, wie ein Vampir.

Da ich aber auch keine Lust habe, mich zu schminken oder anderweitig hübsch zu machen, nehme ich es mit der Jogginghose und dem ausgewaschenen XL-Pullover von Dad in Kauf, weiterhin ungepflegt auszusehen. Wenigstens sind die Klamotten bequem.

Passend zu meiner schlechten Laune dröhnt Alone von Alan Walker aus meinem Handylautsprecher, sodass ich gereizt die Augen schließe. Ich spüre jetzt schon, dass dieser Tag nicht im Geringsten besser wird, als der gestrige.

Tja, aber schlimmer geht immer, richtig?

Zwanzig Minuten später ist meine Gemütslage immer noch an ihrem Tiefpunkt und zu allem Überfluss beginnt es, zu regnen. Die Tröpfchen prasseln erbarmungslos auf mich nieder und zeichnen Muster auf meine Haut.

Erst als ich klitschnass im Bus sitze und mich mittels Musik von der Außenwelt abkapseln kann, steigt meine Laune wieder minimal an.

Der vergangene Abend sitzt noch tief in meinen Knochen. Ich habe schon lange nicht mehr geweint, aber gestern sind jegliche Schutzmauern gefallen. Plötzlich war mein Herz aus Stahl gar nicht mehr so hart, sondern weich und zerbrechlich.

„Wow, da hat aber jemand gute Laune", reißt mich Roxys Stimme aus meinen Gedanken, als ich das Schultor erreiche. Schulterzuckend kicke ich einen Kieselstein zur Seite und versuche ihrem Blick auszuweichen. Ein Augenblick, in dem ihre Augen auf meine treffen, würde nämlich ausreichen, damit sie all meine Emotionen sehen kann. Roxy kennt mich einfach zu gut.

„Raus mit der Sprache, Lucy. Was ist los?", fragt sie mich, während wir uns unseren Weg zum Klassenzimmer erkämpfen. Überall lauern irgendwelche kleinen Kinder, die durch die Gänge rennen und dabei keine Rücksicht auf ihre Mitmenschen nehmen.

„Es ist nichts. Mir geht es bestens", lüge ich und reibe mir über die Augen. Fünf Stunden unruhiger Schlaf inklusive nervenzerreißender Gedanken waren keine gute Kombination.

„Ist etwas mit Chaya passiert?" Ich schüttele den Kopf. Meiner kleinen Schwester geht es ziemlich gut - im Gegensatz zu mir. Ich würde mich am liebsten unter meiner Bettdecke verkriechen und nie wieder aus meinem Versteck hervorkommen. „Was ist denn dann los?", bohrt Roxy weiter nach. „Rede mit mir, Lucy!"

Irgendwann in der ersten Pause gebe ich dann tatsächlich nach und erzähle meinen drei besten Freundinnen - Roxy, Leia und Mayleen - vom Vortag. Selbstverständlich wissen sie von Lucia und nehmen mich deshalb auch tröstend in den Arm, als ich von dem verschwundenen Foto berichte.

Lucia bleibt aber nicht lange Gesprächsthema Nummer Eins.

„Also ich würde an deiner Stelle nicht zu Blake gehen", rät mir Leia mit zusammengekniffenen Augenbrauen, wofür sie einstimmiges Nicken von Roxy und May erhält. „Du weißt, wie er ist", fügt Roxy hinzu. Sie hat mir schon viel über den Blauäugigen erzählt, immerhin ist ihr Freund Fayn der beste Freund von Blake. „Er wird dich nur auslachen und sich über dich lustig machen, Lucy. Tu dir diesen Spott nicht an."

Auch wenn ich ganz genau weiß, dass meine Freundinnen Recht haben, muss ich mich bei Blake bedanken. Außerdem habe ich meiner Mutter erst heute Morgen erneut versprechen müssen, mit ihm zu reden. Nach unserem Streit möchte ich sie nicht enttäuschen.

„Ihr versteht das vielleicht nicht, aber ich muss das machen", murmele ich und erhebe mich von meinem Stuhl. „Bin gleich wieder da." Mit diesen Worten verlasse ich den Klassenraum und eile auf den Schulhof.

Paper HeartsWhere stories live. Discover now