29 - Ein See aus Tränen

374 29 12
                                    

Der Regen prasselt gegen die Fensterscheibe und hinterlässt Muster auf dem Glas. Es ist faszinierend, zu beobachten, wie sich die Tropfen fortbewegen, da sie wahrscheinlich das Spiegelbild meiner Tränen sind.

Ich liege schluchzend in meinem Bett, halte das Einhornstofftier fest umklammert und starre auf die Fensterscheibe. Jeder Atemzug schmerzt und drückt auf die Scherben meines Herzens. Ich wünschte, ich wäre ein bedeutungsloser Regentropfen, der über das Glas tanzt und irgendwann verschwindet.

Wie konnte mir Blake das nur antun? Mich so dermaßen zu hintergehen? Weitere Tränen rinnen meine Wangen hinab.

Es kostet mich große Überwindung, aufzustehen und ins Badezimmer zu schlurfen. Ich putze mir die Zähne, wasche mein Gesicht und schlüpfe dann in meinen Schlafanzug. Auch wenn mein Wecker erst 18:21 Uhr anzeigt, lege ich mich wieder ins Bett und versuche mit Tränen in den Augen einzuschlafen. Das Land der Träume ist der einzige Ort, der mir meinen Schmerz nehmen kann.

-

Der Montagmorgen beginnt alles andere als erholsam. Ich verschlafe fast eine halbe Stunde und muss mich deshalb total abhetzen, um meinen Bus nicht zu verpassen. Ironischerweise regnet es draußen mal wieder, sodass ich klitschnass an der Bushaltestelle ankomme.

Einen Vorteil hat der Regen allerdings - man kann meine Tränen nicht sehen.

Die kalten Tropfen perlen über mein Gesicht und durchweichen meine Lederjacke. In der ganzen Hektik habe ich versehentlich nach der Leder- und nicht nach der Winterjacke gegriffen.

„Lucy!"

Ich erstarre. Seine Stimme schneidet sich durch meine Haut und hängt beißend schwer in der Luft. Was um alles in der Welt hat Blake hier verloren? „Ich habe dir doch geschrieben, dass ich dich heute abhole", beantwortet er meine unausgesprochene Frage. Das war dann wohl die Nachricht, die ich ohne zu lesen gelöscht habe. „Steig ein. Du bist schon ganz nass und zitterst."

Es fällt mir schwer, meinen Kopf nicht zu ihm zu drehen und in seinen Augen zu ertrinken. Die Faszination, die Blake gilt, ist deutlich größer als der Schmerz, der in meinem Inneren herrscht. Dennoch bemühe ich mich darum, den Boden zu fokussieren. „Lucy?", hakt Blake unsicher nach. Ich bleibe konsequent und würdige ihn keines Blickes.

Glücklicherweise hat der Regen noch nicht nachgelassen, sodass sich meine Tränen mit den Tropfen vermischen können. Ich möchte ihm nämlich nicht die Genugtuung geben, mich leiden zu sehen.

„Was ist denn los?" Besorgnis schwingt in Blakes Stimme mit. Ich stoße einen Seufzer aus, ehe ich meine Kopfhörer aus dem Schulrucksack krame und mich mittels Musik von meiner Umwelt abkapsele. Ich weiß, dass der Blondhaarige nicht zu mir kommen wird, da er immer noch im Auto sitzt und jeden Moment für den Bus Platz machen muss.

„I wish somebody would have told me, Babe, that someday, these will be the good old days. All the love you won't forget und all these reckless nights you won't reget." Ich schlucke, als Keshas Stimme ertönt. Das Lied Good old days trägt nicht gerade dazu bei, dass meine Stimmung steigt. Im Gegenteil. Immer mehr Glasperlen kullern über meine Wangen und tropfen von meinem Kinn zu Boden.

Ich habe Blake vertraut und an dem Gedanken festgehalten, dass er ebenfalls Gefühle für mich hat, doch ich habe mich getäuscht. Er hätte mich einfach in jener Nacht vor das Auto laufen lassen sollen, denn dann hätte ich mir diesen Schmerz sparen können.

Dann würde ich nicht mit geschlossenen Augen im Regen stehen und versuchen, nicht an den Splittern meines Herzens zu ersticken.

Plötzlich legt sich eine Hand auf meine Schulter, weshalb ich zusammenzucke und dann die Kopfhörer aus meinen Ohren nehme. Ich stelle fest, dass der Bus bereits abgefahren ist und Blake vor mir steht. Seine Augen suchen meinen Blick, doch ich weiche ihm aus.

Paper HeartsWhere stories live. Discover now