Kapitel 2

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Ich riss meinen Kopf schockiert hoch. Wie jetzt? Warum denn schon Abgabe? Ich war doch noch gar nicht fertig. Das ging doch nicht. Doch, so wie es aussah. Deprimiert ließ ich meinen Stift auf den Tisch plumpsen. Das war es dann wohl mit meinem Studium. Ich hatte nur die Hälfte meiner Aufgaben geschafft. Was sollte ich denn jetzt machen? Vielleicht erst einmal die Uni verlassen und nach Hause gehen. Dort konnte ich dann ja in Ruhe überlegen, wie es weitergehen sollte. Papa und Mama waren bestimmt total von mir enttäuscht. Und Luca.....der .... der würde wahrscheinlich platzen und mir an den Kopf schmeißen, dass ich selbst schuld war, weil ich nicht genug dafür getan hatte. Gestern hatte er ja erst wieder sich dazu geäußert. Okay, ganz unrecht hatte er ja nicht, denn ich hatte es wirklich ziemlich schleifen lassen, bevor Lucy mir Genia zur Nachhilfe empfohlen hatte. Obwohl schleifen lassen war auch nicht der richtige Ausdruck. Ich hatte schon gelernt, nur mit weniger Zeitaufwand und völlig ziel- und erfolglos. Irgendwie hatte ich weder gewusst, wo ich anfangen sollte noch hatte ich wirklich begriffen, was ich mir angeschaut hatte. Gerade als ich die Haustür aufschloss, bimmelte mein Handy. Genia! Sie wollte bestimmt hören, wie es gelaufen war. Jedenfalls hoffte ich das, denn wenn etwas mit dem Baby war, würde mich garantiert die nächste Panik ergreifen. Egal, solange Tessa und Lucy auf Ibiza waren, sollte ich sie unterstützen. Irgendetwas würde mir schon einfallen. Zum Beispiel die 112 anzurufen. Das war auf keinen Fall falsch. „Hallo, wie ist es gelaufen?" Erleichtert atmete ich auf. Kein Problem mit dem Baby. „Beschissen wäre geprahlt", rutschte es mir heraus. „Wieso?" Genias Stimme war Verständnislosigkeit anzuhören. „Du hattest es doch gestern alles drauf." Ja, gestern schon, aber heute war ein anderer Tag. „Als das Aufgabenblatt vor mir lag hatte ich einen ganz heftigen 404 Error." „404 Error?" Okay, sie war ein echtes Mathegenie, aber mit PCs war das etwas anderes. „Das ist der HTTP-Statuscode, der besagt, dass die aufgerufene Webseite nicht auf dem Webserver zu finden ist und die Inhalte entweder entfernt oder auf eine andere URL verlegt wurden." „URL?" kam natürlich die nächste Frage sofort. „Internetadresse", hielt ich meine Erklärung diesmal kurz. „Und hast du die neue URL gefunden oder war der Inhalt entfernt?" Schön, das Genia im Gegensatz zu mir neue Dinge so schnell begriff und abspeicherte. Ihr Speichermedium war wohl qualitativ um einiges besser als meins. „Ich habe die neue URL gefunden, aber blöderweise hat mir dann die Zugriffszeit einen Strich durch die Rechnung gemacht und meine Sitzung war abgelaufen. Will sagen, ich habe nur einen Teil, der Aufgaben bearbeiten können." Das war echt zu blöd. „Kopf hoch." Scheinbar hatte sie meinen niedergeschlagenen Tonfall bemerkt. „Du musst ja nicht gleich eine eins raushauen. Vielleicht reicht das, was du geschrieben hast ja zum Durchkommen aus. Vier gewinnt." Das bezweifelte ich zwar, aber die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. „Wann bekommst du denn das Ergebnis?" Wenn es nach mir ging niemals. „Keine Ahnung. Ich glaube, die sind nicht die Schnellsten." Jedenfalls hoffte ich das. So langsam war es nämlich an der Zeit, dass ich Luca darauf vorbereitete, dass es mit meinem Studium nichts mehr werden würde. Und mir grauste vor diesem Moment ziemlich. Genau wie vor dem, wenn ich es Papa und Mama erzählte. Mit Sicherheit wäre es besser, wenn ich dann schon einen Plan B und C zur Hand hätte. Dummerweise wusste ich nur nicht im geringsten, wie die Pläne aussehen sollten. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass man da so schnell raus war, nur weil man das dritte Mal die Prüfung in den Sand gesetzt hatte. Wie machten das dann bitte diese oft beschimpften ewigen Studenten? „Ich drücke dir jedenfalls die Daumen, dass es gereicht hat", verabschiedete sich Genia. Ja, das wäre cool, aber der Glaube daran fehlte mir. Ich sollte auf alle Fälle überlegen, was ich machte, wenn es nicht gereicht hatte. Ein anderes Studium? Aber was bitte? Auf alle Fälle nichts , wo Mathematik und Informatik darin vorkam. Dafür war ich ja dann gesperrt. Also blieb noch Kunstgeschichte, Sprachen oder eine andere brotlose Kunst, wie Luca es immer nannte. Für ihn zählten nur naturwissenschaftliche oder wirtschaftsbetonte Studiengänge. Oder natürlich Jura. Aber da sah ich mich ja überhaupt nicht. Dann blieb mir wohl nur eine Ausbildung wie bei Tessa. Scheinbar lag das dann wohl an unserem Zwillingsgen. Aber was für eine Ausbildung sollte ich machen? Auf alle Fälle nichts mit Computern. Da hatte ich ja schon grandios bewiesen, dass das nicht meins war. Sonst hätte es ja mit dem Studium besser geklappt. Man sollte doch immer seine Talente bei der Berufswahl nutzen. Ich konnte wirklich gut einkaufen, also wartete der Einzelhandel wohl auf mich. Ein höhnischer Lacher entfloh mir. Na dann stand doch schon einmal Plan B. Dummerweise befürchtete ich, dass man dort auch nicht auf einen Studienabbrecher wie mich wartete. Wie auch immer, auf alle Fälle musste ich unbedingt mit Luca reden. Und zwar sofort. Ich ließ mich auf das Sofa im Wohnzimmer fallen und starrte mein Handy an, das ich immer noch in der Hand hielt. Ja, ich sollte wirklich sofort mit ihm reden, bevor ich mich wieder hinter irgendeiner Ausrede verkroch. Ehrlichkeit gehörte doch zu einer Beziehung. Wie auf Kommando schloß die Haustür auf. „Biene, bist du schon zurück?" Wieso rief er denn durch die Gegend? Er hatte sich wohl schon meiner lautstarken Familie angepasst. Und was meinte er wohl, wer mein Auto in der Auffahrt geparkt hatte? „Hier.", gab ich ihm dann doch einen Hinweis. Keine Minute später setzte er sich neben mir auf das Sofa. „Und? Wie ist es gelaufen?" Okay, das war dann wohl der Moment der Wahrheit. Ich atmete einmal tief durch. „Na ja, also...", begann ich, als sein Handy los scherbelte. Er hob seine Hand. „Moment. Ich gehe nur kurz dran." Ich nickte. Also ein weiterer Aufschub für dieses Gespräch störte mich nicht, auch wenn ich ihm heute reinen Wein einschenken musste. „Hallo Dodo, wie lebt es sich so am Strand?" Ja, klar Lucy war natürlich wichtig! Und ihre Ausführungen über die Wassertemperatur auf Ibiza. Wieder kam eine unglaubliche Sehnsucht in mir auf. Besonders auch nach Tessa, die auch gerade auf Ibiza war. Meine Zwillingsschwester hätte bestimmt eine gute Idee für Plan B und C. Sie hatte immer die besseren Ideen von uns beiden. Sie war die laute, bodenständige und praktische von uns beiden. Und was war ich? Die ruhige, angepasste, die sich immer nach den Wünschen der anderen richtete. Toll, das brachte mich aber überhaupt nicht weiter. „Ihr habt was? Echt jetzt? Das wurde ja auch mal Zeit." Luca grinste breit. „Na dann wünsche ich euch ganz viel Glück. Du weißt ja wohl, wer dein Trauzeuge wird!" Wie Trauzeuge? Das hieß dann ja....Ich drehte mich zur Seite, damit Luca mein Gesicht nicht sah. Wieder heiratete eine von meinen Freundinnen. Dann war ich also die letzte von uns, die immer noch darauf wartete, gefragt zu werden. Hatte Luca eben nicht gesagt, das wurde aber auch mal Zeit? Seine Schwester Lucy und ihr Freund Andi waren doch gerade einmal ein paar Monate zusammen. Okay, da war dieser große Altersunterschied, aber.... Luca beendete das Gespräch. „Wenn es bei den beiden endlich mal Zeit wird, was wird es denn dann bei uns nach vier Jahren?", rutschte es mir heraus, ehe ich es stoppen konnte. „Ach Biene, jetzt fang nicht schon wieder damit an. Wir hatten das Thema doch erst gestern." Luca verzog genervt sein Gesicht. „Wir machen das alles, wenn wir unser Studium durchgezogen haben." Also nie, schoss es mir durch den Kopf. „Nun sag aber erst mal, wie die Prüfung gelaufen ist." Ich zuckte mit den Schultern. „Ich denke ganz gut." Das war zwar schlichtweg gelogen, aber im Moment war wohl gerade nicht der bester Zeitpunkt für die Wahrheit.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt