Kapitel 72

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Nachdem wir Tanja verlassen hatten, waren wir zurück nach Dortmund gefahren. „Hast du Lust dir noch ein wenig die Stadt anzuschauen?" Irgendwie hatte ich nicht das Bedürfnis Papa schon wieder über den Weg zu laufen. Gestern hatte er zwar nur noch einmal den Aufstand geprobt, als es darum ging, wo Will schlafen sollte, aber trotzdem war nicht zu übersehen, dass er ihn nicht wirklich mochte. Und ich hatte ehrlich gesagt überhaupt keinen Plan, warum das so war. Mama schien jedenfalls keinerlei Probleme mit Will zu haben. Gestern Abend hatten die beiden sich ewig lange über  Berlin unterhalten. Ich schaute zu Will auf dem Beifahrersitz „Na klar, wenn ich schon die perfekte Stadtführerin an meiner Seite habe", zwinkerte er mir zu und wurde dann wieder ernst. „ Danke nochmal, dass du mit mir nach Lüdenscheid gefahren bist." „Das habe ich doch gerne gemacht Ich glaube sie hat sich riesig gefreut, dich zu sehen. Und sie sah auch schon viel besser aus als beim letzten Mal in Berlin. Bestimmt gibt ihr das jetzt noch mehr Aufschwung." Will zuckte mit den Schultern. „Aber auch nur wieder bis sie zu Hause ist und den nächsten Rückschlag hat." Ich sah ihm seine Hoffnungslosigkeit an. Und das tat mir im Herzen weh. „Bestimmt schafft sie es diesmal." Will verzog sein Gesicht. „Das habe ich schon so oft geglaubt, aber es hat nie lange funktioniert. Spätestens wenn sie wieder in Berlin ist und keinen Job findet, geht es von vorne los." „ Aber wieso sollte sie keinen Job finden? Sie ist doch eine begnadete Schneiderin." Ich musste an die wunderschöne Decke denken, die sie mir geschenkt hatte. „Das schon, aber keiner braucht eine Schneiderin. Die Sachen werden doch heute alle in Bangladesh, Pakistan oder China billig hergestellt. Oder wo produziert deine Mutter?" Ich zuckt mit den Schultern. Wenn ich ehrlich war, wusste ich das gar nicht. Ich hatte nur ab und zu Model gestanden für ihren Katalog und die Sachen auch so getragen. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass sie wirklich in diesen Billigländern Leute unter unwürdigen Bedingungen für sich nähen ließ. Das musste ich sie echt einmal bei nächster Gelegenheit fragen. „Worauf hast du denn Lust? Was möchtest du gerne sehen?" Will zuckte mit den Schultern „Schwer zu sagen, wenn man nicht weiß, was es hier so gibt."
Ich musste lachen. Ja, das war eine wirklich dämliche Frage von mir. Ich begann also alles aufzuzählen, was mir gerade indem Kopf schoss. „ Westfalenhalle hört sich cool an." Na damit konnte ich doch arbeiten. Ich fädelte mich Richtung B1 ein....
„Die Halle war echt der Hammer. So etwas baut man ja heute gar nicht mehr", schwärmte Will eine Stunde später. „Da wäre ich gerne mal als Tontechniker bei einem Konzert aktiv." Seine Augen glänzten immer noch als er sich neben mir wieder auf den Beifahrersitz fallen ließ. „Wie lange haben wir überhaupt noch Zeit?" Ich schaute auf das Display. Es war gerade 13 Uhr. Papa hatte sich ja noch nicht ausgelassen, was geplant war und nur die Anweisung gegeben, dass wir pünktlich um 18 Uhr an einer bestimmten Adresse zu sein hatten. „Wir haben noch fünf Stunden." Will fing an zu grinsen. „Perfekt, dann gehen wir jetzt erst einmal essen und dann sucht sich das Geburtstagskind aus, was wir machen. Hast du einen Laden, wo man hier gut essen kann? Ich lade dich auch ein." Ich überlegte kurz. Es sollte auf keinen Fall teuer, aber lecker sein. „Magst du indisch?" „Klaro" war die prompte Antwort. Ich startete den Motor und machte mich auf den Weg Richtung Innenstadt....
„Das war echt lecker und total günstig." Will steckte sein Portemonnaie wieder in seine Jackentasche, nachdem wir den Inder verlassen hatten. „Und jetzt?" Ich zuckte mit den Schultern. Mein Blick fiel zu dem Friseurgeschäft, an dem wir gerade vorbeiliefen. Das Bild mit dem Frisurenmodel im Schaufenster sprang mich förmlich an. Ich zückte mein Handy und fotografierte das Bild. „Machst du das öfter?" Will schaute mich irritiert an. Ich lachte und schüttelte den Kopf. „Nee, nur wenn ich die Frisur toll finde und sie in Berlin einem Friseur zeigen will." „Wieso in Berlin?" Was für eine dumme Frage „Weil ich hier keine Zeit habe." „Wieso nicht? Du hast gesagt wir müssen erst um 18 Uhr zurück sein. Das heißt du hast noch vier Stunden Zeit." Ich schüttelte meinen Kopf. „Ich kann doch nicht zum Friseur. Wir wollten uns doch noch die Stadt anschauen." „Doch du kannst." Will schob mich einfach zur Eingangstür. „ Ich könnte auch mal wieder einen neuen Haarschnitt gebrauchen. Dann ist dein Vater vielleicht auch besser auf mich zu sprechen." Mist, dann hatte er gestern Abend gehört, wie Papa sich bei Mama über Wills Zottelbirne aufgeregt hatte. „Aber..." „Nichts aber. Du lässt dir jetzt deine Traumfrisur machen und ich lasse mich zivilisieren." Da musste ich wohl nachgeben. Keine fünf Minuten später saß ich auf dem Friseurstuhl. „Die Frisur würde dir wirklich gut stehen." Die Friseurin wuschelte durch meine Haare. „Du hast wunderschöne grüne Augen." Sie klopfte sich ans Kinn. „Ich hätte da eine Idee. Hast du zwei Stunden Zeit?" Ehe ich antworten konnte, kam schon hinter mir die Antwort. „Ja hat sie und sie hat heute Geburtstag. Also verwöhnen sie sie richtig." Will war echt ein Spinner. „Dein Freund ist echt ein Lieber. Mein Freund wäre da nicht so geduldig", lächelte sie mich über den Spiegel an und machte sich ans Werk, während sie mir von ihrem ungeduldigen Kerl und ihren Beziehungsproblemen erzählte. Manchmal fragte ich mich, ob Friseurinnen eigentlich ein besonderes Kommunikationsgen hatten oder es sogar zum Jobprofil gehörte anderen Leuten ohne Punkt und Komma das Ohr abzukauen. Vielleicht sammelten sie aber auch nur die Daten für die NSA oder einen anderen Geheimdienst und es gehörte zu ihrer Taktik die Leute voll zu quatschen bis sie ihnen alles verrieten. Das würde mit mir jedenfalls nicht funktionieren, denn ich hatte meinen Empfang ausgeschaltet, als die Worte dein Freund diese Firewall doch durchbrachen. „Ähm was?"  „Dein Freund sieht jetzt noch besser aus mit dem neuen Haarschnitt. Und wenn ich mit dir fertig bin, werden ihm die Augen herausfallen." Ich nickte nur und sah Will, wie er im Wartebereich hinter mir Platz nahm. Er zwinkerte mir zu. Wow, die kurzen Haare standen ihm wirklich super. Hatte sie ihn wirklich für meinen Freund gehalten? Mm, ehrlich gesagt, hatte ich mit dem Thema ja eigentlich erst einmal abgeschlossen. Schließlich wollte ich mich komplett auf mein Studium konzentrieren, aber andererseits Will war schon cool und wir verstanden uns super.
„So fertig!" Pia - ja, ich kannte mittlerweile den Namen der Friseurin, den Namen ihres Freundes, ihrer beiden Kleidungs- und Schuhgrößen und die wahrscheinlichen Namen ihrer zukünftigen Kinder, die mir jetzt schon leid taten- klatschte begeistert in ihre Hände. „Und wie gefällt es dir?" Ich schaute erstaunt in den Spiegel. „Wow" war alles, was über meine Lippen kam. War das wirklich ich? Ich konnte es gar nicht glauben. Das sah...das sh so hammer aus.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt