Kapitel 19

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„Hör auf zu lachen", grummelte sie. „Du siehst in dem Haushaltskleid auch nicht besser aus." Hinter ihr tauchte Papa auf. Auch in Tracht. Aus meinem Kichern wurde ein lautes Lachen, denn er sah irgendwie urkomisch mit den Strickwadlern um seine Beine und dem Hut mit riesigem Gamsbart auf dem Kopf aus. „Ich habe doch gesagt, dass das total albern aussieht", giftete er in Richtung Leon, der neben ihm in der gleichen Verkleidung aufgetaucht war, und der sich mindestens genauso unwohl darin fühlte, so wie er schaute. „Wieso konntest du den Quatsch nicht verhindern?", maulte Papa seinen Bestbro an. „Das ist Karma, weil du mich unbedingt zu einem Brautkleid vergattert hast", lachte Tessa und erntete dafür nur ein Schnauben. „Mensch Schnutzelchen, jetzt hab dich nicht so. Du wirst das doch heute wohl überstehen. An Karneval hast du doch auch keine Probleme dich zum Deppen zu machen." Ja, Karneval war immer noch etwas, was für Mama als Berlinerin unverständlich war. „Das ist doch etwas ganz anderes, Prinzessin. Das ist Tradition, aber...." „Das ist auch Tradition", mischte sich Lisa sofort ein, ehe sie sich dann aber dem Fotografen zuwandte, um ihm Anweisungen zu erteilen. Ja, heute als Brautmutter konnte sie ja schlecht selbst fotografieren. Man sah ihr an, wie schwer ihr das fiel. Also ich mochte nicht in der Haut des Fotografen stecken, falls er etwas vergeigte. „Ähm, also da wären eure Plätze", schritt ich trotzdem schnell ein, ehe hier noch alles eskalierte, weil Papa sich über die Kleidungsordnung echauffierte. Außerdem wollte ich heute auch nicht noch einmal Luca enttäuschen, weil ich es nicht schaffte alle Gäste rechtzeitig auf ihren Plätzen zu haben. Schnell dirigierte ich alle auf ihre Stühle und die vorher so schöne Stille war durchbrochen von aufgeregtem Geschnatter. Ich ließ einmal meinen Blick durch den Raum gleiten. So, wie es aussah, waren alle da, nur das Brautpaar und die Trauzeugen fehlten noch..... und Luca. Aber das war ja klar, denn er erwartete sie ja an der Seilbahn. Zusammen mit Phil. Hoffentlich gab das keinen Zoff. Besonders nach der Ansprache vorhin. Nein, würde es nicht. Die beiden würden sich Lucy zu Liebe zusammenreißen. Von weitem hörte ich eine Kapelle. Hieß das etwa.... Ich steckte meinen Kopf durch die Tür und linste hinaus. Ja, da kam Lucy an Andis Arm, vor ihnen liefen Carmen und Dani und streuten Blumen. Lucy trug ein traumhaftes dreiviertellanges weißes Dirndlkleid. Ihre Haare waren zu einem kunstvollen Kranz um ihren Kopf geflochten. In ihrer Hand hielt sie einen Brautstrauß in Herzform, der aus weißen Rosen und blauen Kornblumen bestand. Sie strahlte mir entgegen. Und auch Andi lächelte über das ganze Gesicht. Erstaunlicherweise sah er in seinen Lederhosen nicht halb so lächerlich aus wie Papa und Leon. Es schien fast so, als hätte er nie etwas anderes getragen. Ehrlich gesagt musste ich das auch bei Phil zugeben, der hinter ihnen neben Luca lief. Meine beiden Lieblingsmänner strotzten nur so vor Selbstbewusstsein. Hinter den vieren lief eine kleine Trachtenkapelle an deren Spitze ein Fahnenträger lief. Ich hielt dem Brautpaar die Tür auf. „Wow, das ist ja der Wahnsinn!" Lucy schlug sich die Hand vor den Mund. „Wir heiraten in dem Fernrohr. Das habe ich schon als kleines Kind immer bewundert." Andi beugte sich zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Mit einem Mal drehte sich Lucy um und umarmte Luca. „Du bist der beste Bruder, den man sich wünschen kann." Völlig überrumpelt hob er seine Arme „Ich habe damit nichts zutun, das waren Oma und dein Verlobter." „Ja, wenn du mir aber nicht davon erzählt hättest, wie gerne Luz hier ist, dann wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen." Carmen drehte sich zu ihrem Vater um und schaute ihn empört an. „Mensch Papa, jetzt sabbel nicht so viel, ich will dass Lucy endlich meine Mama wird." Das sorgte für einige Lacher. Die Kleine hatte ein genau passendes Dirndl zu dem Hochzeitsdirndl ihrer zukünftigen Mutter an und strahlte in ihre Richtung. Irgendwie bewunderte ich Lucy ja dafür, dass sie bereit war die Verantwortung dafür zu übernehmen. Ich war mir nicht sicher, ob ich mir das zutrauen würde. Besonders nachdem ich gerade so versagt hatte. Andererseits.....mein Blick fiel zu Tessa, die gerade eine meiner Nichten auf ihrem Schoß hatte und mit ihr schäkerte. Sie sah dabei so glücklich aus. Irgendwann wollte ich das auch. Aber erst einmal musste ich wieder auf die Beine kommen. Mein Blick fiel zu Phil, der mir im Vorbeigehen zuzwinkerte. Ja, mit seiner Hilfe würde ich das garantiert schaffen. Als letzte betrat ich den Trauraum und setzte mich auf einen Stuhl in der letzten Reihe neben Luca. „Grias Gott alle miteinand. Es ist mir a ganz besondere Ehre...." Der Standesbeamte begann seine Rede, die sogar in fast Hochdeutsch abgefasst war. Ich sog jedes Wort in mir auf. Es war eine wirklich schöne emotionale Rede. Ich musste vor Rührung schlucken. Eine warme Hand legte sich über meine und drückte sie sanft. Ich schaute auf und direkt in diese braunen Augen, die ich so liebte und die mir liebevoll zuzwinkerten. Luca lächelte mich an. „Ja, er will. Stimmt's, Papa?" War wieder Carmens bestimmte Stimme zu hören als der Standesbeamte die berühmte Frage stellte. Natürlich sorgte das wieder für einige Lacher. „Wenn des junge Fräulein des a sehr bestimmt vorträgt, müsst i des sch no von erna selbst höra", schmunzelte der Standesbeamte nachdem wieder etwas Ruhe eingekehrt war. „Ja, ich will", kam es mit sehr kräftiger Stimme von Andi und Lucys „Ja, i wui", war dagegen schon etwas piepsiger. Ich musste heftig schlucken. Dann war auch meine nächste Freundin jetzt verheiratet. Das fühlte sich irgendwie komisch an, dass ich die einzige Unverheiratete war. Nee, es fühlte sich nicht komisch an, sondern nach Versagen, so wie bei meinem Studium. Ich spürte, wie mir eine Träne über die Wange lief. Luca musste es wohl auch bemerkt haben, denn er wischte mit seinem Daumen über meine Wange und beugte sich zu mir. „Ach, Bienchen, du bist immer so sentimental." Der aufbrandende Applaus riss meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne zu dem Brautpaar, dass sich gerade küsste. Luca stieß mich an. „Komm, wir müssen raus uns um die Luftballons und Rosen für das Spalier kümmern. Leise schlichen wir uns hinaus und wurden schon von einem Mitarbeiter der Seilbahn erwartet, der uns einen riesigen Wust an Herzballons in die Hand drückte. „Die Rosen stäng do im Kübi." Er deutete mit seiner Hand auf einen riesigen Eimer. Ich hatte noch keine Ahnung, wie wir die an alle verteilen sollten, ehe das Brautpaar herauskam. Scheinbar sah man mir das an, denn Luca legte seine Hand auf meinen Arm. „Keine Angst, die beiden werden erst noch drinnen vom Fotograf aufgehalten. Wir beide schaffen das schon. Wir sind doch ein super Team und das beste Kranzlpaar
überhaupt." Das war möglich. Trotzdem hoffte ich, dass wir das nie wieder sein mussten. Sondern dass das nächste Mal, es jemand bei unserer Hochzeit war.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt