Kapitel 29

335 54 26
                                    


In meinem Kopf tobte ein Wirbelsturm. Wie sollte ich meinen Eltern das Desaster am besten erklären? Und wie sollte ich ihnen erklären, warum ich es ihnen noch nicht erzählt hatte. „Der Brief ist an mich adressiert. Warum hast du ihn geöffnet?", hörte ich mich anstelle einer Erklärung sagen. Und meine Stimme klang ziemlich patzig in meinen Ohren. Scheinbar nicht nur in meinen, denn ich hörte Luca hinter mir nach Luft schnappen und Papa lief noch roter im Gesicht an, wenn das überhaupt noch möglich war. In meinem Kopf manifestierte sich gerade ein Bild von einem gekochten Hummer, der explodierte und mir entfleuchte ein unterdrücktes Kichern. Nein, verflixt! Ich wollte doch nicht kichern. Dazu war as alles viel zu ernst. Aber scheinbar war mein Gehirn total am Durchdrehen. System Error, gehackt vom wilden Wahnsinn. Kein Zugriff auf die ausgewählten Partitionen meiner Festplatte mehr. „Das findest du also komisch?", wetterte Papa schon weiter. „Also ich finde es nicht einmal ansatzweise komisch, wenn meine Tochter mir verschweigt, dass sie von der Uni fliegt. Und zu deiner Info, ich habe den Brief geöffnet, weil ich dachte es wäre das Schreiben für die Gebühren für das neue Semester." Papa schüttelte seinen Kopf und öffnete schon wieder den Mund. „Ich bin so...." „Schnutzelchen", unterbrach ihn Mama und schaute ihn warnend an „Jetzt gib Maja doch erst einmal die Chance sich zu setzen und uns alles in Ruhe zu erklären." Sie zog den Stuhl neben sich vor und gab mir ein Zeichen, mich dort zu platzieren. „Sie kann ruhig stehen", knurrte Papa. „Lügner müssen es nicht auch noch bequem haben." „Marco!" Mama schaute Papa jetzt ebenfalls sauer an. Und das war sie mir Sicherheit auch, wenn sie ihn nicht Schnutzelchen, sondern bei seinem richtigen Namen nannte. Das war doch richtiger Mist. Ich wollte doch nicht, dass Papa und Mama sich wegen mir stritten. Nee, das sollte auf keinen Fall passieren. Ich kniff mir mit meinem Daumennagel in den Zeigefinger, um nicht aufzuschluchzen. Mist,Mist, Mist! Was hatte ich nur angestellt! Ich schluckte gegen den Kloß in meinem Hals an. „Ich habe eine Mathe-Prüfung dreimal nicht bestanden und werde deshalb exmatrikuliert", presste ich heraus. „Du hast was?" Hinter mir ertönte Lucas fassungslose Stimme. „Ach, dann hast du es deinem Freund also auch verschwiegen." Papa schaute mich kopfschüttelnd an. Seine Augen funkelten sauer. Hatte ich ihn jemals schon so wütend erlebt? Nicht, dass ich mich erinnern konnte. „Das ist doch nicht dein Ernst, Maja! Ich wusste davon überhaupt nichts. Sonst hätte ich ja wohl nicht eine Wohnung für uns organisiert. Wie soll die denn bezahlt werden?" Was hatte das bitte mit dem Studium zutun?  Die Wohnung war doch wohl für uns, weil wir uns liebten und immer zusammensein wollten, und nicht weil ich eine erfolgreiche Studentin war. Und mit einem Studium konnte man ja wohl auch nicht bezahlen, sondern nur mit einem Job und den hatte ich. „Bezahlen kann ich mit meinem Job", polterte ich heraus. „Das wird ja immer besser." Papa schlug mit seiner flachen Hand auf den Tisch. „Was hast du uns denn noch alles verheimlicht?" Seine Augen fixierten mich. „Was für einen Job?" Luca hörte sich auch ziemlich sauer an. Ich traute mich gar nicht zu ihm zu schauen. „Ja, was für einen Job? Als ungelernte Toilettenfrau, oder was?", giftete Papa in meine Richtung. „Marco", kam es verwarnend von Mama „Toilettenfrau ist kein Zuckerschlecken und eine durchaus ehrbare Tätigkeit."  „Genau", stimmte ich Mama zu. „Und du bist ja auch ungelernt und hast keine Ausbildung", schoss ich noch hinterher. Papa schnappte nach Luft. „Ich war Fußballer und ihr lebt ja davon wohl nicht schlecht." „Fußballer ist aber kein Ausbildungsberuf", sprang mir Mama wieder zur Seite. „Und ich bin nicht Toilettenfrau sondern Stadionguide beim BVB." Darauf war ich nämlich stolz. Papa verdrehte seine Augen „Lass mich raten, Tessa weiß über den ganzen Mist Bescheid und hat dir den Job besorgt." Was sollte ich denn jetzt machen? Wenn ich es zugab, war Papa auch noch auf Tessa sauer. Ich wollte sie doch da nicht auch noch mit reinziehen. Es reichte doch, wenn er auf mich sauer war. „Keine Antwort ist auch eine Antwort", stöhnte er. „Ihr habt ja schon immer zusammengehalten. So langsam reicht es mir aber , dass meine Familie mich ständig verarscht und Geheimnisse vor mir hat. So geht das nicht weiter. Ab jetzt hat das Konsequenzen." Papa schaute mich mit zusammengekniffenen Augen an. „Da du ja einen Job hast, ist es ja kein Problem für dich, wenn ich dir mit sofortiger Wirkung deine Unterhaltszahlungen streiche. Und da du ja sowieso ausziehen wolltest, kannst du das auch sofort tun. Pack deine Sachen." Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter. Das konnte er doch nicht einfach machen. „Marco, sag mal spinnst du total?" Mama war von ihrem Stuhl aufgesprungen und starrte Papa sauer an. Manno, ich wollte nicht, dass die beiden sich wegen mir stritten. „Ja, das ist doch wohl nicht dein Ernst, Papa, dass du Maja so fallen lässt. Sie hat einfach den falschen Studiengang gewählt, aber wir haben uns ja schon über neue erkundigt und gehen morgen da hin, um sie umzuimmatrikulieren", meldete sich Phil zu Wort, der bis jetzt geschwiegen hatte. „Ich fasse es nicht, selbst das Großmaul steckt mit ihr unter einer Decke. Aber, was wundert es mich, war ja bei Tessas Hochzeit auch nicht anders." Papa schüttelte fassungslos seinen Kopf. „Ich bin grenzenlos enttäuscht von dir, dass du kein Vertrauen zu mir hattest." Wieder schaute er mich aus zusammengekniffenen Augen an. „Aber ich bleibe bei den Konsequenzen. Diesmal reicht es mir endgültig. Du musst jetzt sehen, wie du das alleine hinbekommst. Und es ist mir egal, ob du weiter studierst oder Toiletten putzt oder dich von deinem Freund aushalten lässt. Von mir bekommst du nichts mehr." Er schaute zu Phil „Und du Verschwörer auch nicht. Dann könnt ihr zusammen unter der Brücke kuscheln." „Nee, ich habe ja eine Wohnung, in die Maja jederzeit gerne mit einziehen kann. Und Geld verdiene ich auch, das reicht für uns beide." Phil schaute Papa gelassen an. Ihm schien das gar nichts auszumachen. „Wem gehört die Wohnung?", schoss Papa sofort wieder heraus. „Mir. Ich stehe im Grundbuch, falls du das vergessen haben solltest. Geschenk zum Abi" Er grinste provozierend. Manno, nicht noch mehr Streit, bitte. Mir war hundeelend. „Macht doch alle, was ihr wollt! Aber ohne meine Unterstützung." Papa sprang auf und stürzte aus der Küche. „So nicht, Marco! Das sind unsere Kinder!" Mama sprang auch auf und lief ihm hinterher. „Wie lange belügst du mich schon? Oder anders gesagt, seit wann weißt du, dass das mit dem Studium durch ist?"Luca schaute mich finster an. „Seit ein paar Wochen. Ich wollte es dir ja immer sagen, aber irgendwie hat sich nie eine Gelegenheit ergeben", entschuldigte ich mich. „Nicht?!" sein zynischer Tonfall war gar nicht gut. „Also es hat sich keine Gelegenheit gefunden, während du mir die Wohnung schmackhaft gemacht hast? Willst du mich verarschen? Du wusstest genau, dass ich dann niemals in Betracht gezogen hätte zusammenzuziehen. Das nenne ich berechnend und verlogen." „Nun brems dich mal und überlege dir gut, was du zu meiner Schwester sagst." Phil baute sich zu seiner ganzen Größe drohend vor Luca auf. „Sie hätte das mit mir besprechen müssen", beharrte der trotzdem. Und damit hatte er ja auch recht. Das wusste ich. „Wenn du Informatik vergeigt hast, dann bist du auch für alles mit Mathe gesperrt. Was willst du denn studieren? Portugiesische Kunstgeschichte?" Er lachte verächtlich. „Dachtest du dir, ich werde uns dann schon versorgen?" Er schüttelte enttäuscht seinen Kopf. „Dann habe ich eine Neuigkeit für dich. Das kannst du vergessen. Für mich war es das. Ich hoffe, du bist zufrieden, dass du unsere Beziehung gegen die Wand gefahren hast. Ich wünsche dir viel Glück für die Zukunft. Du wirst es brauchen können." „Spinnst du?" Phil schubste ihn gegen die Brust. „Du kannst doch deshalb nicht Schluss machen." Luca rempelte mit seiner Schulter zurück. „Und ob ich das kann. Ich muss mir das nicht geben und mich so verarschen lassen. Ich hätte wissen müssen, dass das bei euch in der Familie liegt." Ehe ich alles, was er gesagt hatte überhaupt realisierte, war er auch schon verschwunden. Ich schaute Luca hinterher und schluchzte auf. „Was soll ich denn jetzt machen?" Ich hatte alles verloren und das nur, weil ich nicht rechtzeitig die Wahrheit gesagt hatte. Dabei wollte ich doch nur das Problem erst einmal alleine lösen und dann alle informieren.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt