Kapitel 53

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Ich griff mir meine wunderschöne neue Gitarre, die ich von Papa und Mama zu Weihnachten bekommen hatte. „Na dann los" Tessa klatschte begeistert in die Hände. „Und was, wenn Luca gerade kommt?", brachte ich meine Bedenken doch noch zur Sprache. Tessa schaute mich mit großen Augen an. „Weißt du noch gar nicht, dass er heute gar nicht kommt?" Wie Luca kam nicht? Das....das ging doch nicht. Ich wollte mich doch mit ihm aussprechen. „Lucy hat mich vorhin angerufen und mir einen guten Rutsch gewünscht. Sie und der Langweiler schmoren auf irgendeiner Berghütte bei den Bazis und versuchen sich die Knochen zu brechen. War wohl ein kurzfristiges Geschenk von ihren Großeltern für sie, Andi und Carmen. Nur Lisa und Leon kommen heute." Tessa zuckte mit den Schultern und ich musste fest gegen einen Kloß anschlucken. Früher wäre ich jetzt auch mit auf der Berghütte gewesen. Also nicht, dass ich dort lieber wäre, als hier bei meiner Familie, aber irgendwie verdeutlichte es unsere getrennten Wege. „Mensch jetzt schau doch nicht wie ein geprügelter Köter." Tessa legte mir einen Arm um die Schulter. „Du siehst den Idioten schon noch früh genug, um ihm klar zu machen, wie Scheiße er war und was ihm durch die Lappen gegangen ist." Für sie war das alles schon klar. Für mich noch nicht. Vielleicht gab es ja doch noch.....nein, wenn ich ehrlich zu mir war, gab es nicht wirklich noch einen Weg für uns. Nicht, wenn es jetzt keine Aussprache gab. Wenn er daran Interesse gehabt hätte mich zu sehen, wäre er mit seinen Eltern zurückgefahren. Aber das war ja dann auch ein Statement. „Ach Mensch, das Neuste weißt du ja noch gar nicht." Tessa fing an zu grinsen. „Bei Lucy hat auch der Storch zugeschlagen." Ich schaute sie überrascht an. Lucy hatte doch aber gerade erst mit ihrem Studium begonnen. „Im Sommer wird Leon dann doch neben einer echten Großmutter schlafen müssen", kicherte sie. Ja, mein Fast-Schwiegervater hatte da so seine ganz persönliche Meinung zu. „Wie soll das denn mit ihrem Studium und einem Baby funktionieren?" Tessa grunzte. „Na jedenfalls leichter als bei mir und der Ausbildung. Sie kann das sich ja besser einteilen und hat keinen Nine-to-five-Job." In dem Moment wurde mir erst richtig klar, was meine andere Hälfte da eigentlich leistete. Und mir kamen Mamas Worte in Erinnerung, dass das Leben mehr bot, als nur Lehrbücher. Vielleicht sollte ich mich wirklich mehr in die Musik knien. Ich strich liebevoll über den Corpus meiner Gitarre und setzte mich in Bewegung. Im Wohnzimmer wartete schon Tante Melanie mit einem Barhocker auf dem ich mich platzieren konnte. Sie gab Tante Yvo ein Zeichen und die Musik aus der Anlage verstummte. „So, jetzt mal Ruhe. We are proudly to present den neuen Star am Musikhimmel. Unsere Maja!" Bei ihrer Ansprache spürte ich, wie mein Herz schneller zu schlagen begann, egal wie albern sie war. Scheinbar hatte sie aber alle damit erreicht, denn es war wirklich schlagartig Ruhe und keiner unterhielt sich mehr. Ich räusperte mich einmal kurz, ehe ich begann die ersten Seiten zu zupfen. Und dann lief es wie von alleine. Ich hatte mein übliches Repertoire heruntergespielt. Sollte ich noch das Lied von Chris und mir bringen? Ohne ihn wirkte es bestimmt nicht. Andererseits war es ja auch mal ein Test, wie es ankam. Hier waren mir doch alle wohlgesonnen. Jedenfalls hoffte ich das. Bis jetzt hatte ja noch niemand gebuht. Ohne weiter zu überlegen schlug ich die ersten Töne an und konzentrierte mich voll auf das Lied. Ich legte mein ganzes Gefühl hinein. Ich sang von der Liebe, die einem ein ganz neues Leben eröffnete. Vielleicht war es auch für mich an der Zeit, mich neu zu orientieren. In meinem Kopf tauchte ein dunkelhaariger Schopf auf und ich ließ den letzten Ton verklingen. Im Wohnzimmer meiner Eltern herrschte absolute Stille. „Bekomme ich noch ein Glas Champus", hörte ich nur die Stimme von Tessas Schwiegermutter. Na bravo, die musste sich wohl erst einmal die Ohren damit spülen. Ich schaute hoch und sah lauter Augen, die mich anstarrten. War es so schlimm? Scheinbar nicht, denn ich entdeckte Begeisterung in den Gesichtern. Mit einem Mal fingen alle an zu klatschen und ich sah, wie Oma und Mama sich sogar ein paar Tränchen wegwischten. Mein Blick ging weiter und ich sah, dass es sogar nicht nur Mama und Oma waren, sondern auch Opa, Papa und noch ein paar andere Leute. „Du bist echt der Wahnsinn!" Tessa umarmte mich überschwänglich. „Du gehörst absolut auf die Bühne. Und damit eins klar ist, ich stehe da voll hinter dir. Mir ist es total latte, ob ich da jedesmal am nächsten Tag unter Schlafmangel leide. Ich bin immer am Handy dabei, wenn es dir hilft. Dafür sind Zwillinge doch da." Ja, da hatte sie recht. Ich würde auch jederzeit für sie ins Stadion gehen und sie anfeuern. „Hier sind Knallbonbons" Papa drückte uns jedem einen in die Hand und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Du hast echt schön gesungen." Ich sah den Stolz in seinen Augen. „Ja, das ist ganz was anderes als Justin Biber und Harry Styles, ne!" Phil schaute ihn wieder provozierend an. Okay, jeder von uns Kindern konnte diese Musik nicht mehr hören. Ich hielt Papa einfach meinen Knallbonbon hin, um eine weitere Diskussion schon im Keim zu unterbinden. Gemeinsam zogen wir daran und zum Vorschein kam ein Notenschlüssel. „Na wenn das mal kein Omen ist", grinste Phil und zwinkerte mir zu. Ich entfaltete das Papier, das dabei lag. Nutzen Sie Ihre Chance War die Musik vielleicht wirklich meine Chance? Ich schnappte mir meine Gitarre und lief wieder in mein Zimmer, um sie in Sicherheit zu bringen. Irgendwie zog mich mein Bett magisch an und ich setzte mich darauf. Meine Finger begannen wieder wie von alleine zu spielen. Ich spielte irgendwie unterbewusst das Lied, dass Luca und ich immer in unserem ersten Urlaub auf Ibiza gehört hatten, als wir uns dort kennengelernt hatten. Selbst der spanische Text fiel mir nicht schwer. Meine Gedanken wanderten weiter zu unserem ersten Silvester und dem Theater mit den Schalke und BVB Pfannkuchen, das Papa und Leon veranstaltet hatten. Und natürlich zu dem Kuss um Mitternacht. Damals waren wir uns so sicher, dass unsere Liebe für ewig halten würde. Genaugenommen waren wir das sogar letztes Silvester noch. Ich schaute auf die Uhr auf meinem Nachttisch. Gleich war es Mitternacht und das neue Jahr begann. Diesmal ohne einen Neujahrskuss von Luca. Er zog es ja vor mich zu meiden. Ein paar Tränen liefen mir über das Gesicht. Das piepsen meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Vielleicht war es ja eine Nachricht von ihm. Vielleicht hatte er ja die gleichen Gedanken wie ich und hatte sich an unsere gemeinsame Zeit erinnert. Vielleicht wollte er mich um ein Gespräch bitten und alles wieder in Ordnung bringen. Hoffnungsvoll und mit klopfendem Herzen öffnete ich schnell die Nachricht Ich wünsche dir einen guten Rutsch und freue mich schon auf unsere gemeinsamen Erfolge im neuen Jahr, Bussi Chris Die Nachricht war ja gar nicht von Luca, sondern von Chris. Darauf hatte ich vor Aufregung gar nicht geachtet. Der kurze Anflug von Enttäuschung verschwand sofort wieder. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, dass ich das Alte hinter mir ließ und etwas Neues begann. Ich sah Chris Gesicht vor mir und sein schelmisches Grinsen. Ja, es war definitiv an der Zeit. Luca hatte seine Chance und hatte sie liegen gelassen. Das war sein Pech. Dann würde ich jetzt meine Chance nutzen und mich in die Musik stürzen. Und vielleicht hatte ich ja auch eine Chance bei Chris. Ich tippte schnell auch eine Nachricht an ihn und drückte meine Lippen auf das Display. Ja, bestimmt hatte ich auch bei ihm eine Chance.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt