Kapitel 25

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Schweigend blickten sich die übrigen Drachen an. Evils Blick war starr und vor Trauer ganz trüb,  und sie zitterte heftig. Ciaras Worte mussten sie hart getroffen haben. Um die dunkelgraue Drachin wenigstens ein bisschen zu trösten, legte Skyla den linken Flügel über ihren Rücken und leckte Evil mit ihrer gespaltenen Zunge einmal über das graue Horn. "Hör' nicht auf das, was Ciara sagt. Sie entscheidet nicht, wen Lennox mögen darf und wen nicht - und dich mag er auf jeden Fall. Er entscheidet selbst. Und ich bin mir sicher, dass ihr euch bald wiedersehen werdet." Skyla hoffte zutiefst, dass sie nun keine falschen Hoffnungen in ihrer Freundin entfacht hatte und ihr Versprechen wahr werden würde. Evil schaute zu der Silbernen hoch. "Denkst du?", fragte sie hoffnungsvoll. Skyla lächelte und nickte. "Klaro" Die Graue schmiegte sich an ihren Hals. "Wirst schon sehen."

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Die frische Waldluft tat allen gut. Dieses Mal war Skyla zwischen Evil und Tikani geblieben und sie hatte die engen Gänge gut überstanden. Onyx seufzte gerade eine kleine Stichflamme aus seinen Nüstern, als die Silberne ihren Blick über die Lichtung schweifen ließ. Sie hatten anscheinend die ganze Nacht in der Ruine verbracht, denn am Horizont färbte sich der Himmel schon rosa. Und kein Anzeichen von anderen Drachen; weder von Ciara und Lennox, noch von sonstigen Echsen. Nach einigen Augenblicken Stille durchbrach Arkady diese. "Ich denke, es wäre gut wenn wir zum Lilienstamm zurückfliegen. Die Nacht war lang und wir müssen uns alle mal ausruhen." 

Zustimmendes Gemurmel war die Antwort und sie breiteten nacheinander ihre Schwingen auf. Das leise Rascheln der Flügel war das einzige, was in diesem Moment zu hören war, abgesehen vom Gezwitscher der Vögel und das Rauschen der vertrockneten Blätter im Wind. Mit zwei kräftigen Flügelschlägen hatte Onyx als erster die Baumkronen erreicht, und gefolgt von Tikani ließ sich der Weiße von einer kühlen Winterbrise tragen. Nun war Skyla an der Reihe und stieß sich mit den Hinterklauen vom Boden ab. Ungefähr drei Drachenlängen vom Boden entfernt wartete sie geduldig auf Arkady und Evil, die sie einen Augenblick später überholt hatten. Die Silberne konnte dies nicht auf sich sitzen lassen. Vorsichtig, um den Kristall nicht aus den Klauen zu verlieren, jagte sie den anderen hinterher. Auf Evils Höhe passte sie sich dem Tempo der dunklen Drachin an und flog so nah wie möglich an sie heran. Als sich ihre Flügelspitzen fast berührten, schaute Evil auf. 

Ihn ihrem Gesicht spiegelten sich gemischte Gefühle. Zuversicht und Freude, aber auch Trauer und Ungewissheit - aber als Skyla in ihre violetten Augen sah, wusste sie genau, was ihre Freundin fühlte. Schmerz. Tiefen Schmerz. Dass Lennox nicht dort war, über Ciaras Worte, und über die plötzliche Einsamkeit, die Evil nun wahrscheinlich deutlicher spürte als je zuvor. 

Skyla stupste sie leicht mit dem Flügel an und versuchte, zuversichtlich zu wirken. Aber in Wirklichkeit wusste sie nicht, wie und wo sie weitermachen sollten. Sie hatten zwei Kristalle. Vier fehlten noch. Aber wo sollten sie als nächstes suchen? Was sollten sie als nächstes suchen? Auf diese Fragen hatte die Silberne keine Antwort. Die Wächter wissen mit Sicherheit von den Kristallen, wenn sie zwei von ihnen hüten. Und da sie der Legende nach sehr gut auf die Steine aufpassen, werden sie diese sicherlich nicht einfach herausrücken wie die Heiler. Wir werden kämpfen müssen. Die einzigen beiden anderen Möglichkeiten wären die Boten oder die Jäger. Gerade würde Skyla sogar das Reich der Wasserdrachen bevorzugen, obwohl sie das kühle Nass normalerweise überhaupt nicht leiden konnte. Sie war ja schließlich ein Feuerdrache. Aber die Berge des Botenreiches sind viel näher. Es wäre schlauer, erst zu ihnen zu reisen, dachte sie sich.

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Das Lager des Lilienstammes lag bereits unter ihnen, als sich Skyla aus ihren Gedanken zurück in die Wirklichkeit kämpfte. Zusammen mit Evil hatte sie das Schlusslicht der Formation gebildet. In langen Schleifen ließen sich die Drachen immer weiter nach unten fallen. Tikani landete nicht wie die anderen auf dem Boden, sondern klammerte sich an einen dicken Ast recht weit oben. Sie verlor beim Aufkommen kurz das Gleichgewicht, balancierte sich schnell mit ihrem langen Schwanz aus und schlang diesen um den Ast, um sich festzuhalten. Von dort aus konnte Skyla beobachten, wie die Heilerin vorsichtig weiter in Richtung des Stammes kroch. Mit dem Kopf zum Boden gerichtet kletterte sie wie ein Salamander den Baum hinunter. 

Dragonhearted - die sechs KristalleWhere stories live. Discover now