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[F L A S B A C K]

Mit einem fetten Lächeln in Gesicht rannte der kleine Junge die Treppe hinab. Erst kurz zuvor hatte er aus seinem Fenster geschaut und die vielen, kleinen, weißen Flocken gesehen, die sich draußen auf die Dächer und Straßen niederließen und eine eintönige, dicke Schicht hinterließen.

Sein Weg bahnte sich durch den Flur geradewegs ins Wohnzimmer, wo er sich vor die bodentiefe Fenster sellte, die den Blick auf den kleinen Garten freigaben, nur um seine Nase an der Scheibe platt drücken zu können und zuzusehen, wie der Schnee fiel.

Schnee. Schnee war es, der seine liebste Jahreszeit als den Winter vorgab. Schnee ließ ihn innerlich warm fühlen. Egal wie kalt es draußen war, wieviel er sich anziehen musste, um nicht zu erfrieren, von seinem Herz ging eine warme, beruhigende Wärme aus. Doch zu seinem Pech, hatte er bis jetzt noch niemanden kennengelernt, der ihn verstand, der genauso fühlte, der den Winter genauso liebte. Aber dafür hatte er ja noch genügend Zeit.

„Taehyung. Gehen wir nach draußen? Dann kannst du einen Schneemann bauen", erklang eine sanfte Stimme, deren Unterton ein leichtes Zittern aufwies, den der Fünfjährige gekonnt überhörte.

Seine Mutter stand in der Tür. Ihre Finger krallten sich fest in das Holz des Türrahmens und sie beobachtete, wie erfreut ihr Sohn wohl über den Schneefall sein musste, wie auch jedes einzelne Jahr zuvor.

Es brachte ihr ein Lächeln auf die spröden, rissigen Lippen, die sie seit längerer Zeit schon nicht mehr beachtet hatte. Generell entsprach ihr Gesicht nicht mehr ihrem und dem gesellschaftlichen Ideal. Unter ihren Augen lagen tiefblaue Augenringe, ihre Haut und ihre ganze Statur war in sich zusammengefallen und ihre Haare waren ebenfalls seit mehreren Tagen nicht mehr gewaschen worden.

Ihr ging es nicht gut. Schon länger nicht, doch momentan, war ihr mentaler Zustand am schlechtesten. Und das spürte auch Taehyung, der es aber so gut er konnte versteckte. Er wollte seiner Mutter nicht noch ein schlechtes Gewissen machen. Zudem verstand er in diesem Alter nicht einmal wirklich, was überhaupt mit seiner Mutter los war.

„Ui jaaa", kam es daher nur aus dem Fünfjährigen, als er sich von der Fensterscheibe wegdrehte und die braunhaarige, erwachsene Frau mit großen Augen ansah. Die letzten Jahre war sie nie mit nach draußen gegangen, wenn er mit seinem Vater draußen rumgetobt hatte, im Gegensatz zu seinen ersten Jahren, in denen sie alle zusammen einen gemeinsamen Schneemann gebaut hatten, um dann lachend eine heiße Schokolade unter unzähligen Decken zu trinken. Daher freute es ihn um so mehr, dass seine Mutter ihn das nun anbot.

Diese zwang sich ebenfalls ein Lächeln auf die Lippen, strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr, bevor sie nach der kleinen, weichen Hand ihres Sohnes griff und ihn mit sich in den Flur zog.

Der Braunhaarige liebte seine Mutter. Sie hatte sich zwar für die letzten Jahre zurückgezogen, sich nicht häufig blicken lassen und auch Taehyung hatte bemerkt, wie schlecht es ihr ging, doch wusste nicht, wie er ihr helfen sollte. Aber trotzdem sprühtet er jedesmal, wenn sie in seiner Nähe war, wie sehr auch sie ihn liebte. Sie musste es ihm nicht sagen, er wusste es einfach.

Und allein diese Momente, in denen sie wieder Zeit zusammen verbrachten, waren es, die den Fünfjährigen vor Glück explodieren ließen.

„Na komm, dann lass uns dich mal anziehen gehen", meinte die dunkelhaarige Frau und zog die dicken Winterschuhe aus dem Regal, während ihr Sohn sich auf die kleine Bank vor der Haustür niederließ und vor Vorfreude mit den Beinen schwingend auf der Glasscheibe der Haustür blickte.

Er konnte es gar nicht mehr abwarten, endlich wieder mit seiner Mutter vor die Tür zu treten und im Schnee zu toben.

Die dicken Stiefel und die gelbe Winterjacke waren schnell angezogen, sodass sich Taehyung lediglich noch seine roten Handschuhe überzog, während seine Mutter ihm einen ebenfalls roten, selbst gehäkelten Schal umlegte und eine grüne Mütze bis über die Ohren zog.

Sie selbst trug nur ihre dunkelbraune, alte Winterjacke und ihre schwarzen Sneaker, da sie dieses Jahr noch nicht den Nerv dazu gehabt hatte sich neue, passende Stiefel für den Winter zu kaufen.

Die Sechsunddreißigjährige nahm ihren Sohn abermals an die Hand, drehte den Schlüssel in der Haustür, bevor sie zusammen in die eisige Kälte traten und den ersten Schritt in den knirschenden Schnee setzten.

Jedoch blieb es nicht lange bei einem Schritt, vor allem nicht bei Taehyung, der sich gleich von der Hand seiner Mutter losriss und die Einfahrt runter auf die unbefahrbare Straße rannte.

Sein Gesicht zierte ein breites Kastenlächeln, während er in den Himmel blickte und kleine Lacher über seine Lippen ließ, sobald kleine Schneeflocken auf seinem Gesicht landeten und dort zerschmolzen. Er hatte sich das ganze Jahr über darauf gefreut, endlich wieder im Schnee spielen zu können und die leichten Sorgen, die er wegen seiner Mutter hatte, für einen Moment vergessen zu können.

Doch hatte er definitiv nicht mit dem gerechnet, was noch passieren sollte.

Snow Flower ⚣𝗄𝗈𝗈𝗄𝗍𝖺𝖾Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt