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Mit einem Lächeln auf den Lippen näherte sich Jungkook dem Braunhaarigen, der nun schon seit circa zehn Minuten vor dem großen Fenster stand und so aussah, als würde er nachdenke.

Worüber wohl? Über das, was Frau Im gesagt hatte? Dass sie sich verhielten, als wären sie zusammen? Als würden sie sich einander lieben? So wie der Jüngere es sich all die Jahre vorgestellt hatte, wie er gehofft hatte, dass es so passieren würde? Jungkook hoffte einfach, er würde nicht der einzige sein, der so etwas empfand, der wollte, dass mehr zwischen ihnen war.

Aber vielleicht dachte er ja auch an seine Mutter und an seinen Vater. Er musste sie vermissen. Alle beide. Es kam ihm so vor, als hätte Taehyung auch seinen Vater für eine lange Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen. Als hätte auch er sich zurückgezogen seit er von dem Tod seiner Frau erfahren hatte. Auch wenn es schon so lange her war. Es musste schmerzen, jeden Winter, jeden Augenblick in dem eine Schneeflocke vor ihm auftauchte, jeden Monat, in dem die Welt unter einer weißen, kalten Decke lag, jedes Weihnachten, dass er ohne sie feiern muss. Es musste hart sein. Nicht nur für Taehyung, sondern für jeden, der sie kannte, für jeden, der sie geliebt hatte.

Jungkook blieb hinter dem Braunhaarigen stehen. Er schien ihn nicht bemerkte zu haben. Jedenfalls zeigte er keine Reaktion, war zu tief in seinen Gedanken versunken, sodass er zusammenzuckte, als er die kalten Finger Jungkooks an der Stelle seiner Schulter spüren konnte, wo der Pullover zur Seite gerutscht war, dass man seine helle, makellose Haut problemlos bewundern konnte.

Jedoch schienen sich seine starrenden Augen nicht von den zugeschneiten Dächern, der qualmenden Schornsteine und den spielenden Kindern auf der Straße losreißen zu wollen, auch wenn er realisiert hatte, dass der Jüngere ihn offensichtlich sprechen wollte.

„Tae... Was meinst du? Sollen wir nach draußen gehen? Vielleicht eine kleine Runde drehen?", wollte dieser wissen, sein Daumen sanft auf der warmen, entblößten Haut bewegend, in der Hoffnung, es würde ihm dabei helfen Taehyung aus diesem Tagtraum zu holen, in dem dieser gerade versunken war.

Zu seinem Glück funktionierte das auch, denn es dauerte nicht lange, da lag der durchdringende Blick des Älteren auf ihm. Und erst da bemerkte Jungkook die glänzenden Tränen, die sich in Taehyungs geröteten Augen gebildet hatten und nun drohten, seinen unteren Wimpernkranz zu überschreiten und folglich seine Wangen zu befeuchten.

Schniefend wischte sich der Braunhaarige die Tränen hastig aus dem Gesicht, benutzte dafür seine Pulloverärmel, in den sich die Flüssigkeit zog, bevor sein Blick wieder dem Mann vor sich galt.

Dieser sah ihn schockiert an. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Taehyung weinen würde. Und es brach im sein Herz. „Tae... Ich wusste nicht- Wenn du reden willst, dann bin ich da, okay? Ich werde dich auch nicht für irgendetwas verurteilen oder so. Das verspreche ich dir", meinte er, sah den Älteren dabei mit einem aufmunternden Lächeln an, bevor er seine Hand weiter auf den Rücken seines Gegenübers schob und ihn mit seiner anderen an der Taille zu sich zog.

Der Braunhaarige schien gleich sein Angebot annehmen zu wollen, krallte sich in den Pullover des Jüngeren und konnte sich auch keine Sekunde länger zügeln, brach daher in Tränen aus. Sein Körper bebte in den Armen Jungkooks, der immer und immer wieder auf den Älteren einredete und ihn näher an sich zog.

Einige Minuten standen sie dort am Fenster, während Taehyung sich immer mehr beruhigen konnte und schlussendlich nur noch ein letztes Schluchzen über die Lippen brachte, bevor er sich vom Jüngeren löste und sich die Tränen ein weiteres Mal aus dem Gesicht wischte, ehe Jungkook ihn richtig ansehen konnte.

„Tut mir leid... Ich hätte mich besser im Zaum halten sollen und dich nicht so bedrängen. Das war... kindisch und-" „Sei leise Tae! Du hast rein gar nichts getan, für dass du dich schämen und entschuldigen musst. Es ist wichtig, sich manchmal auszuweinen, damit all das Schlecht endlich aus deinen Gedanken verschwinden kann und du wieder an die positiven Dinge denken kannst", unterbrach ihn der Schwarzhaarige, fuhr ein paar letzte Male über die Schulter seines Gegenübers, der auf Grund seiner Worte nur lächeln konnte, bevor er einmal laut schniefte.

„Du... hast recht. T'schuldige", meinte er noch, was Jungkook ein schon beinahe stolzes Lächeln entlockte. Er musste zugeben, es interessierte ihn, was der Grund für Taehyungs Tränenausbruch war, aber dieser schien nicht so, als würde er darüber reden wollen. Also wollte er ihn nicht dazu drängen, sondern fragte lieber, ob der Ältere sein Angebot denn jetzt eigentlich annehmen wollen würde und sie zusammen nach draußen gehen sollten.

Als Antwort bekam er ein schmunzelndes Nicken, bevor er auch schon zum Eingang gezogen wurde, wo sie sich für das kalte Wetter vor der Tür schützend anzogen.

Draußen angekommen liefen sie die Einfahrt hinunter, auf die unbefahrene Straße, auf der die Kinder der Nachbarschaft immer noch am spielen waren, was beide jungen Männer mit einem Schmunzeln musterten.

Vor allem Jungkook, der Kinder liebte und nicht aufhören könnte, dabei zuzusehen, wie sie mit ihren keinen Händen, eingepackt in einer keinen Winterhose, die unter den Schuhen mit einem Gummiband festgehalten wurde, in ihren kleinen, dicken Winterjacken und den kleinen Handschuhen, Mützen und Schals. Es sah einfach nur süß aus, wenn sie lachend losrannten, den Schlitten vor sich in ihren Händen, ehe sie sich mit dem Schlitten nach vorne fallen ließen und die nächsten Meter entlang glitten.

Jedoch konnte er seine Aussicht nicht noch länger genießen, als er auf einmal von etwas kaltem im Gesicht getroffen wurde, dass ihn wieder aus seiner Gedankenwelt zurück in die Realität riss. Es war ein Schneeball gewesen. Geformt von den Händen Taehyungs, der nur lachend dabei zusah, wie sein Opfer sich den Rest Schnee aus dem Gesicht wischte, ehe er mit finsterer Miene zu seinem Gegenüber blickte.

„Oh warte nur ab, das kriegst du zurück!", war das Einzige, das er noch sagte, bevor er sich selbst eine große Schneekugel machte und auf den Älteren zu rannte, der nur nach Erbarmen und Hilfe schreiend wegrennen konnte.

Snow Flower ⚣𝗄𝗈𝗈𝗄𝗍𝖺𝖾Where stories live. Discover now