2

107 7 0
                                    

Völlig übermüdet öffnete ich die Augen. Ich hatte erst sehr spät geschlafen und war immer wieder wach geworden. Psychisch ging es mir nicht gut, was wiederum auf meinen Magen schlug. Seufzend schlug ich die Decke weg und stand frierend auf. Das Fenster blieb trotzdem offen. Zum Frühstück aß ich 100g Apfel Aprikosenmus,56kcal, notiert. Völlig ausgelaugt packte ich meine Schulsachen zusammen und huschte noch einmal aufs Klo. Das warme Wasser mit dem ich meine Hände wusch tat gut. Genervt packte ich meine schulsachen und lief los zur Schule.

In der Schule konnte ich mich überhaupt nicht konzentrieren. Ich holte meinen Zeichenblock raus und begann zu malen, aber nicht mal dafür reichte meine konzentration. Frustriert räumte ich meine Sachen wieder weg und plauderte mit dem Lehrer. Bloß nichts anmerken lassen, bloß keine Aufmerksamkeit aufs lernen ziehen. Irgendwie schaffte ich es etwas früher aus dem Klassenraum zu huschen und eilte zurück auf meine Station. Draußen war es nass und kalt, der Wind hatte ordentlich an Stärke gewonnen. Im Kopf ging ich durch was ich wohl als Nächstes essen würde, oder wie ich es schaffen würde die nächste Mahlzwit ausfallen zu lassen. Und wenn ich nur einen Alpro essen würde? Der hatte 100. Oder doch ein halbes Brötchen? Das hatte auch 100. Ich musste essen, schließlich durfte keiner Verdacht schöpfen. In diesem Moment fühlte ich mich so einsam wie lange nicht mehr. Ich wusch meine kalten Hände unter heißem Wasser und lief zum Frühstück in die Küche.

Ich aß ein halbes Körnerbrötchen und Honig, das machte 160. 160+56=216. Das war zu viel... mein schlechtes Gewissen nagte an mir wie ein Bieber am Baum. Fröstelnd verkrümelte ich mich mit meinem heißen Tee auf mein Bett und schrillte gelangweilt durch insta. Um 11 hatte ich Therapie, bis dahin war noch gut eine halbe Stunde Zeit. Zu wenig um zu schlafen, zu viel um nichts zu tun. Sicherlich würde meine Therapeutin mich sowohl auf mein Essverhalten als auch auf die Verlegung ansprechen. Entnervt machte ich meine Musikbox an und lauschte den Texten.

Auch ich musste wohl mal Glück haben, denn meine Therapeutin meldete sich krank. Gelangweilt stellte ich mich an die offene Terassentür und lauschte dem Regen. Gedankenverloren zitterte ich also vor mich hin. Eine andere Therapeutin, meine lieblingstherapeutin, kam auf mich zu und forderte mich zu einer Partie Tischtennis raus. Dankend nahm ich diese an und erzählte ihr währenddessen meine Fortschritte. Die Riesen Rückschritte die ich grade machte ließ ich bewusst weg. Sie sollte ja keinen Verdacht schöpfen. Ich zeichnete danach noch ein Bild und begab mich nach einer weiteren Partie Tischtennis mit einem PED zum Mittagessen.

Das Mittagessen war ein Kampf. Ich habe mit ach und Krach nur die Hälfte geschafft, sprich 250kcal. Und 200ml Saft, 86. Das macht 336. Das wiederum machte bereits mittags 552. Mein schlechtes Gewissen war enorm. Krampfhaft versuchte ich mich zu übergeben, aber obwohl mir schlecht war klappte dies nicht. Vielleicht war das auch mein Glück. Ich fühlte mich eklig in meiner Haut. Ich beschloss Duschen zu gehen, in der Hoffnung dieses wiederliche Gefühl loszuwerden.

Das warme Wasser tat gut, ich genoss die kurze Ruhe in meinem Alltag. Ich ließ meine Gedanken schweifen und fiel in einen meditativen Zustand. Dann dachte ich über Ana nach. Sie ist ruhiger geworden. Wie paradox... ich wollte immer das sie leiser wird aber als sie es dann wurde vermisste ich sie. Ohne Ana fühlte ich mich einsam. Alleine. Dabei hatte sie mich erst einsam gemacht. Aber ich hatte es nie sehen können. Ich dachte Ana und ich, das würde ewig halten, mehr bräuchte ich nicht. Falsch gedacht. Ich stellte das Wasser ab und nahm meine Kleidung von der Heizung. Ich schlüpfte in die warmen  viel zu weiten Klamotten und huschte zurück in mein Zimmer. Ich wollte meine Ruhe haben. Mein Kreislauf machte Theater und ich war müde. Ich hatte sowieso nichts besseres zu tun, also legte ich mich zum schlafen hin.

Als ich nach zwei Stunden wieder wach wurde fühlte ich mich wie gerädert. Ich merkte langsam aber sicher den Nahrungsmangel. Ich beschloss eine Runde spazieren zu gehen. Es war nass und kalt draußen und in der WhatsApp recovery Gruppe gab es Stress. Verletzende Worte fielen, eine verließ die Gruppe freiwillig, die andere schmiss ich raus. Die Worte saßen. Mein Tagesziel war gewesen 1500kcal zu essen und sie redete mir ein das dies ja viel zu wenig war und so würde ich ja nicht an mein Ziel kommen. Es könnte mir eigentlich egal sein, aber mit der Tatsache das ich die 1500kcal nicht schaffte setzte es mir doch sehr zu. Als ich vorne am Haupthaus chillte um Wlan zu gammeln traf ich eine alte Klassenkameradin die eine zeitlang meine Dealerin war. Sie versprach sich bei ihren Dealer Freunden umzuhören für mich denn sie selbst war clean und vertickte nicht mehr. Es war kalt und mein Kreislauf machte zicken, außerdem gab es bald schon wieder essen also ging ich wieder rein.

Zur Zwischenmahlzeit aß ich einen Alpro mit 100kcal und trank 200ml Saft/86. ich hatte ein schlechtes Gewissen und ärgerte mich das ich mich hatte bequatschen lassen. Mühsam versuchte ich das gegessene in mir zu behalten und setzte mich mit meinem Handy in den Gruppenraum. Tik tok lenkte mich ganz gut ab, ich fand einige lustige Videos. Die Zeit verging und ich spielte noch eine Runde Tischtennis mit einem PED und einer mitpatientin. Endlich kam der große Ausgang in dem ich oft joggen ging oder heimlich zu Rewe huschte. Diesmal gingen wir zu zweit heimlich zu Rewe und ließen Energys mitgehen. 250ml hatten 4,5 kcal. Mit einem etwas schlechten Gewissen meinem Herzen gegenüber trank ich ihn in einem Zug weg. Wir machten uns auf zum Hauptbaus denn wir brauchten dringend eine Zigarette. Der Tabak war extrem stark, viel stärker als ich es gewohnt war. Ich hatte einen heftigen Nikotin Schock, mein mangelernährter Körper steckte das nicht sonderlich gut weg. Kurz dachte ich, ich kippe um, aber ich schaffte es bis zu Station. Hier durfte ich mir allerdings nichts anmerken lassen. Ich hatte ein so schlechtes Gewissen. Es war grausam wie ich mit meinem Körper umging. Ich ging mit den Essenswagen holen und sank dann erschöpft zu Boden. Und dann war wieder essen dran.

Beim Essen hatte ich eine lange Diskussion mit Ana. Sie tobte mal wieder in meinem Kopf und ich war doch schon so geschwächt. Wir einigten uns auf einen Alpro, bzw ich aß ihn einfach unter lautem Protest. Also nochmal 100kcal mehr. Wie viel hatte ich jetzt heute gegessen? 838kcal. So viel... ich hatte viel zu viel gegessen. Mein Kopf tat weh. Mein schlechtes Gewissen war enorm. Der Drang nach selbstverletzung war groß. Irgendwie schaffte ich es aber mich abzulenken. Eine Welle der Hoffnungslosigkeit überkam mich. Ich hatte das Gefühl nichts zu schaffen. Hatte das Gefühl zu ertrinken. Ich musste einfach gleich noch Sport machen dann würde das schon gehen. Meine mum rief mich wie jeden Abend an und ich versuchte smalltalk zu führen, aber ist meine mum, sie merkt mittlerweile wenn es mir nicht so gut geht. Ich fühle mich hilflos und einsam. Ich brauche jemanden zum reden, aber ich weiß nicht mit wem ich reden soll. Ich fühle mic einsam. Mir kann hier grade akut keiner helfen, also wieso reden? Und wie sollte ich ein solches Gespräch überhaupt starten? Es ist unnötig zu reden wenn ich doch weiß das mir akut grade keiner helfen kann. Ich kenne die langfristigen und die kurzfristigen Folgen und Konsequenzen. Ich weiß was ich meinem Körper antue, aber ich schaffe es einfach nicht es zu ändern. Ich weiß das es wieder auf die Sonde zuläuft. Ich will das alles nicht! Ich weiß, ich bin ein Rebell. Und ich werde bis zu meinem letzten Atemzug einer bleiben. Ich werde mich wehren. Ich weiß nur grade nicht gegen was. Gegen alles denke ich. Niemanden an mich ran lassen sagt Ana. Dann bin ich sicher sagt sie. Ja vielleicht, aber vor allem sind Einzelkämpfer einsam. Einsam, aber oft stark. Ich bin nicht stark. Ich bin nur einsam. Ein Blick auf die Uhr sagte mir das bereits wieder ein Ausgang Anstand, den wollte ich selbstverständlich nutzen.

Der Ausgang tat mir gut. Mein Kreislauf stabilisierte sich wieder etwas und ich nutzte die Zeit zum durchatmen. Ich mochte den dunklen Park. Ich konnte eine gute Runde laufen ehe ich wieder rein musste. Meine Laune ging wieder in den Keller und besserte sich erst wieder etwas als ich mit den anderen quatschte. Ich machte mir noch einen Tee, dann verzog ich mich wieder ins Zimmer. Der Hunger nagte an mir. Zu allem Überfluss wurde die kinderstation noch zu uns aufgeteilt und als ob das nicht schon genug ist, kam ausgerechnet zu mir ins Zimmer eine 11 jährige. Gut sie war nett, aber das passte mir heute gar nicht in den Kram. Ich war trotzdem nett zu ihr aber ich hätte lieber meine Ruhe gehabt. Die Müdigkeit nagte wieder an mir. Außerdem war mir langweilig, also beschloss ich, nachdem ich gezeichnet hatte und mein Bullet Journal weiter geführt hatte, schlafen zu gehen. Ein Blick auf die Uhr sagte mir das es noch gar nicht so spät war. Jetzt musste ich nur noch das Mädchen dazu bringen ebenfalls zu schlafen. Das konnte ja was werden. Zum Glück war es nur für eine Nacht...

Nie gut genug Where stories live. Discover now