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Langsam setzte ich die Klinge an und hielt unbewusst die Luft an. Es würde besser werden, ganz bestimmt. Ich konnte noch immer nicht weinen und die unterdrückten Emotionen bahnten sich so ihren Weg an die Oberfläche. Ich übte etwas Druck aus und zog zügig den scharfen Gegenstand über meinen Unterarm. Es brannte eine Millisekunde, sonst spürte ich nichts. Anflüge von Panik breiteten sich in mir aus. Ich musste etwas spüren. Ich hasste diesen wiederlichen Körper. Ich musste ihn kaputt machen. Also schnitt ich erneut. Wieder und wieder. Blut rann aus meinem Unterarm in das mit Wasser vollgelaufene Waschbecken. Tropfen um Tropfen fiel in das Wasser welches sich in einer stillen ästhetischen Art und Weise rot färbte. Der trigger heute war einer zu viel gewesen. Mir Mühe hatte ich mir nicht die Sonde gezogen. Jetzt musste es eben so raus. Es brannte leicht, aber übertönte meinen emotionalen Schmerz nicht. Traurig wusch ich meinen Arm ab, presste ein Handtuch drauf bis die Blutung stoppte und schmierte bepanthen drauf. Müde machte ich mich Bettfertig und kroch mit dem warmen Kirschkernkissen unter die Decke. Ich trug kurz mein Protokoll zum Tag ein und widmete mich dann meinem Handy um Wattpad zu schreiben.

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Das Wochenende war hart gewesen. Ich hatte nun seid fast einer Woche die Sonde und es irgendwie geschafft sie mir noch nicht zu ziehen. Allerdings war alles was mich davon abgehalten hat der Grund das ich wusste dass sie mich fixieren würden und auf die geschlossene stecken würden um eine neue zu legen. Das war das schlimme, ich fühlte mich nicht nur machtlos sondern ich war es auch. Ich hatte keine andere Wahl als mich dem zu fügen und das wollte ich nicht. Das war komplett gegen meine Natur, so war ich nicht. Ich tat nie was andere mir sagten, es sei denn ich erachtete es selbst als sinnvoll. Zugegeben diese Eigenschaft ist nicht wirklich gut, aber sie gehört neunmal zu mir, es ist eine fest verankerte Charakter Eigenschaft und ich hatte noch ein paar gute die diese Eigenschaft ausbügelten und überhaupt tragbar machten. Ich konnte gut auf mich acht geben. Gut genug das ich mich nicht umbrachte, das reichte. {Ich hab ein fettes déjà-vu grade, kennt ihr das? Als hättet ihr das alles schon geträumt und wisst was als Nächstes passiert?? In diesem déjà-vu war es nicht so gut das ich weiter schreibe... mach ich es jetzt trotzdem? Oder sollte ich es heute sein lassen? Mein Bauch sagt ich soll es lassen. Btw hab heute schon nen Teller fallen lassen und so ziemlich alles ist schief gelaufen was schief laufen kann, also höre ich besser auf meinen Bauch und riskiere nichts. Bis morgen meine Freunde ;) }

Heute ist wahrlich ein besserer Tag. Auch wenn es sich immer noch falsch anfühlt zu schreiben, es fühlt sich falsch an all diese Gedanken und Gefühle mit der Welt zu teilen. Ich kann nicht mal drüber reden, aber auf der anderen Seite liest das hier sowieso kaum einer, worüber ich tatsächlich froh bin. Jedes Wort ist eigentlich einzig und alleine für mich bestimmt, nur ein paar wenige haben die Erlaubnis es zu lesen. Und alle anderen, nun ja, kommt und geht wie ihr wollt, aber erwartet nicht zu viel hier. Es passiert immer etwas, aber spannend? Eher weniger. Mehr so das unruhige Leben einer durchgeknallten psychisch gestörten 16 jährigen. Nichts besonderes. Aber es wird wieder bessere Tagen geben. Muss einfach. Btw meine Nase tut grade echt weh, ich muss morgen mal das sondenpflaster ändern. Zurück zum Thema, was ist das eigentlich hier? Diary... vielleicht sollte ich anfangen es als ein solches zu behandeln. Frei meine Gedanken äußern, hier kann mir keiner etwas. Aber ich fühle mich so kraftlos... die sondennahrung bringt nur bedingt Kraft und heute habe ich mehr verbraucht als ich hatte, der Tag war anstrengend. Grade fühle ich mich unfassbar mutlos und klein. Morgen ist HPG(Hilfe-Plan-Gespräch) mit dem Jugendamt und meiner Mutter. Auch meine Einzelfallhilfe werde ich kennen lernen ebenso wie die Familien Hilfe.  Es kommt jetzt viel auf mich zu und ich fühle mich all dem einfach nicht gewachsen... und da sind sie wieder die Fluchtgedanken. Ich lebe gerne, keine Frage, aber in solchen Momenten der Überforderung, des Alleinseins, möchte ich einfach nur weg, alles beenden. Verdammt, eigentlich habe ich nur verdammt Sehnsucht nach den Pferden, nach dem reiten und dem kuscheln mit opening, oroya oder orinda. Ich will rennen können, joggen gehen und Erfolge sehen. In die Schule gehen zu meinen Freunden, alles geben und Lob erhalten wie gut ich sei. Denn das war ich, stets eine gute bemühte lernfreudige Schülerin. Ich wollte mit opening in der Halle galoppieren und danach mit Oroya in der Box zusammen essen. Dann orinda longieren und müde nach Hause fahren. Müde aber glücklich. Dann unter die warme Dusche, zu Abend essen und für die Schule lernen. Nebenbei den Fernseher laufen lassen damit es nicht so still ist. Und einfach glücklich sein. Todmüde und glücklich ins Bett fallen und darauf freuen wenn der Wecker geht, damit ich meiner geliebten Routine nachgehen kann. Und jetzt? Jetzt komme ich morgens kaum aus dem Bett. Liege da und starre die Wand an und frage mich wofür es sich lohnt aufzustehen. Psychisch müde, körperlich müde. Dann quäle ich mich mühsam aus dem Bett und flüchte in weite Klamotten um dann zum wiegen zu schlurfen. Frühstück aß ich nicht, kurz darauf die erste Sondierung. Irgendwie ohne Kraft 200m zur Schule quälen ohne jede Motivation und wieder die Wand anstarren. Im Internet surfen und frustriert sein weil man nichts zu tun hat. Meine Gedanken sind wie durch Honig, langsam, zäh, undeutlich, nicht verständlich. Mit anderen Worten, ich kann gar nicht denken. Frustriert weil ich nichts für die Schule schaffe. Gegen 10 dann zurück auf Station schlurfen um mit Glück ein halbes Brötchen runter zu würgen. Dann auf die Couch legen weil man zu erschöpft von allem ist, Radio an und Wand anstarren. Zur Sondierung schleichen und wieder die Wand anstarren. Zurück zur Schule. Wieder nicht denken können. Frustriert die Wand anstarren und warten das es vorbei geht. Panik schieben weil man Abgabetermine nicht einhalten kann. Dann realisieren das eh alles fürn arsch ist und den Kopf auf den Tisch legen. Schulschluss, Mittagessen. Irgendwas paar Gabeln runter würgen, wieder auf die Couch legen und wieder die Wand anstarren. Ab und an zu ein zwei Therapien quälen. Endlich in den ersten Ausgang gehen, frierend und kraftlos. Voll mit Emotionen die man nicht rauslassen kann. Weil man kein Ventil hat. Zurück auf Station und einen Joghurt runter würgen, den ich meist nichtmal schaffe. Und wieder Sondierung. Wieder die Wand anstarren und beten das es vorbei geht. Wieder mal die Übelkeit aushalten. So tun als sei alles okay. Innerlich aber eigentlich völlig apathisch.  Zwischendrin die Hände mit so heißem Wasser waschen das sie ewig rot sind, aufspringen und kaum noch zu spüren sind. Dann mit dem Handy auf der Couch chillen weil zu allem anderen die Kraft fehlt. Frustriert sein weil der Tag fast rum war und ich nichts geschafft hatte. Nichts außer frustriert und traurig Wände anzustarren und kraftlos irgendwo rum zu hängen. Wieder ein ausgang den ich selten ganz nutze weil mir die Kraft fehlte. Zurück auf die Couch. Essen. Sondieren. Couch. Wieder sondieren. Tee trinken. Ins Bett gehen. Und so läuft jeder einzelne Tag. Wie soll es mir hier gut gehen? Wie soll ich so Fortschritte machen? Heute war es ein wenig anders, heute hatte ich ein gutes Therapie Gespräch. Frau R ist mit mir raus gegangen und ich hatte 15 Minuten Zeit alles rauszulassen und sie stimmt mir einfach zu. Es tat gut, all die Emotionen die ich seit dem legen der Sonde in mir trug konnten mal raus. Ich wusste nicht das man mit Sonde trotzdem und ohne schmerzen so gut schreien und kreischen kann. Also habe ich geschrien. Stöcke an Bäumen zerschlagen. Mich aufgeregt. Kurz geweint. Weiter geschrien. Wie scheiße alles sei, meine Angst vor den Kalorien, das ich mir die Sonde ziehen wollte. Das meine mum meine Jacke gewaschen hat was ja eigentlich super lieb ist. Hab dich lieb Mama. Auch wenn das vermutlich nicht auf Gegenseitigkeit beruht, ich liebe dich. Egal was ich versuche mir einzureden vermutlich werde ich das auch nie ändern können. Ich habe mit den Füßen gestampft und so laut gekreischt das meiner Therapeutin auch 15 Minuten später noch die Ohren klangen. Früher als Kind habe ich so meinen Willen bekommen. Damals hab ich das eine halbe Stunde gemacht, dann konnte meine mum nicht mehr und ich hab bekommen was ich wollte. Dann hab ich mich heute noch mehr drüber aufgeregt dass das nicht mehr so ist. Aber danach war es tatsächlich besser, ich war völlig erschöpft, aber es ging mir relativ gut, ich fühlte mich seit langem mal wieder ausgeglichen.
Ich hasse die Sonde immer noch, aber vielleicht stellt sich langsam Akzeptanz ein. Ich weiß nicht ob ich das alles jemals wirklich akzeptieren kann, aber zumindest ein Stück. Denn erst wenn ich anfange es zu alzeptieren weiß ich das es besser wird. Streng genommen ist es wie ein Drogenentzug, wenn die Droge ( hier die Essstörung) nicht mehr konsumiert (hier ausgelebt) werden kann stellen sich entzigserscheinung ein, man spricht wie ein Süchtiger, man handelt so. „Ich könne jederzeit aufhören, ich will nur nicht , bla bla." könnte ich nicht. Denn ich wollte. Aber konnte nicht. Die Stimme der Sucht ist laut, und die ersten tage, Wochen eines Entzugs sind am schlimmsten, aber meinen Erfahrungen nach wird es danach meist besser. Obwohl der psychische Entzug deutlich länger dauert. Monate, Jahre. Je nachdem welcher schweregrad. Magersucht ist auch eine Sucht, eine Sucht die genauso tödlich sein kann. Und ich bin, Hand aufs Herz, mehr als süchtig. Manchmal frage ich mich, ob es einen Weg ins Licht zurück gibt, nach so vielen Jahren intensive Sucht. Mir geht ein Satz nicht aus dem Kopf: „überleg dir Bitte welches Signal du damit Senders. Wer zweimal eine Sonde braucht ist schon wirklich sehr sehr krank." dies sagte mir Ende letzten Jahres die Oberärztin der Geschützen Station als ich erneut eine Sonde bekommen sollte bzw. als ich danach gefragt hatte weil es mir wirklich schlecht ging. Ich hatte dann die Kurve nochmal bekommen, mich aufgerappelt und wieder gegessen, aber diesmal war eine ganz andere Situation. Diesmal hatte das nichts mehr mit wollen oder nicht wollen zu tun, denn diesmal hatte das Hungern andere Gründe. Diesmal waren es andere Umstände. Und dennoch hatte ich nun zum zweiten Mal eine Sonde. Hatte sie recht? War ich jetzt wirklich wirklich krank? Ich wusste (weiß) das ich wirklich krank bin, auch wenn ich immer wieder die Augen davor verschließe, aber was meinte sie damals damit? Ich weiß doch das ich krank bin! Oder wollte sie sagen das ich so krank sei das es keine Hoffnung mehr gab? Jetzt wo ich ein zweites Mal die Sonde hatte? Hatte sie mich aufgegeben? Ich hab seit der legung nicht mit ihr gesprochen.
(Ich bekomme grade echt nen Kollaps hier könnte so ausrasten grade, mein Gehirn macht gar nicht mehr mit. Wann schreibt man nochmal seiD und wann seiT??? Eigentlich weiß ich das, keine Ahnung was da grade los ist... das ist das was ich oben beschrieben habe, ich bin absolut zu nichts zu gebrauchen.)
Ach ja die Schule... ich muss noch eine Mathe Arbeit nachschreiben, englisch mündlich üben da sind bald Prüfungen und sämtliche Abgabe Termine sowohl in Erdkunde, Mathe und deutsch hab ich verpasst. Und ich bin mir grad absolut nicht sicher wie ich morgen dem Gespräch folgen soll. Mit welchem Gehirn das sich alles merkt? Es ist schon wirklich schwer Gesprächen zu folgen.  Und das gesagte zu verstehen.
Ich will ana endlich los werden. Ich will nicht immer nur nach meinem Körper und meinem Gewicht beurteilt werden, ich bin so viel mehr als das.... Ich will so sehr mein Leben zurück haben. Das was ich grade habe kann man nicht mehr leben nennen. Das ist lediglich überleben  und das macht keinen Spaß und lohnt sich auch nicht. Ich will selbstständig sein, in meine eigene Wohnung ziehen aber gleichzeitig überfordert mich das alles, das ich alles iwi alleine regeln muss, Bewerbungen schreiben, planen, rechnen, Ausbildung? Berufskolleg? Abi? Studium? Wohnungssuche, Einzelfallhilfe, Therapieplatz. Und Zack da sind sie wieder die Fluchtgedanken. Vielleicht sollte ich aufhören über so etwas vor dem schlafengehen nachzudenken.
Der Druck ist groß, die Klinge liegt auf dem Tisch... ist es mir das wert? Btw kurzes Sonden Update: ich spüre sie fast gar nicht mehr, nur manchmal tut die Nase etwas weh wenn sie verrutscht. Also die Sonde nicht die Nase. Verrustcht. Was auch immer. Ic springe schon wieder es tut mir leid, aber exakt dieses hin und her an Gedanken ist grade in meinem Kopf und es wird immer schlimmer. Es ist also ein gewisser müdigkeitspunkt Überschritten. Ich sollte schlafen gehen. Heute kann ich sowieso nichts mehr ändern. Und die Klinge bleibt wo sie ist. Nur noch schlafen. Und morgen wieder nicht aus dem Bett kommen. Es wird wieder alles wie immer sein. Vielleicht bleib ich diesmal einfach liegen. Es lohnt sich nicht wirklich aufzustehen. Mal schauen.

Nie gut genug Where stories live. Discover now