Ace ergreift die Initiative

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Ace hatte sich einen hübschen Flecken gesucht und las noch einmal über den Text, den er mühevoll auf seinem Handy zusammengeschustert hatte.

Hallo Katherine,

hier ist Ace. Keine Sorge, es geht nicht um ne Anmache oder so.


Den Teil musste er ergänzen, seit jemand – also, jemand aus den Reihen der üblichen Arschlöcher – an seinem dreizehnten Geburtstag das erste Manuskript seiner Fantasiegeschichte gefunden hatte. Ace, der damals noch auf den Tod geschworen hatte, hetero zu sein, hatte sich dort nicht etwa mit dem dunklen mysteriösen Badboy Damian verkuppelt, sondern mit der sonnenhaarigen Magierin Katherine, die für die Rechte von magischen Wesen und unterdrückter Bevölkerung einstand und Asriels heimliche Verbündete war. Ja, es hatte zwischendurch eine süße Kussszene gegeben. Und ja, jemand hatte diese Kussszene gescreenshottet, in sämtliche Klassengruppen gepostet und die Geschichte noch ein bisschen weitergesponnen - bis hin in abartige Porno-Bereiche.

Die folgenden zwei Jahre hatte er es nicht geschafft, auch nur einen Satz zu Papier zu bringen. Über alles danach lohnte sich schon gar nicht mehr, zu reden... Ace wollte nicht den Teufel an die Wand malen, aber mit etwas Pech sah seine Kurssprecherin in ihm immer noch den Perversen, der ihr mit Dreizehn schon auf seltsamste Weise an die Wäsche wollte.


Aber ich weiß, du engagierst dich stark für Frauenrechte und so, und wir haben ein Mädchen in unserer Klasse, um das ich mir Sorgen mache. Ihre Beziehung tut ihr nicht gut. Kannst du vielleicht mal mit Quinn reden? (Und sag ihr Bitte nicht, dass es von mir kommt.)


Denn ansonsten würde man seinen Körper vielleicht nicht mehr wiedererkennen, wenn die anderen Jungen mit ihm fertig waren. Er schrieb ‚Liebe Grüße', ehe er es noch einmal vorsichtshalber löschte und in ‚freundliche Grüße' umänderte.

Dein Ace.


Das war okay - oder? Es war besser als nichts, und noch keine direkte Einmischung in Quinns Leben. Er zupfte mit Magenflattern an der Hosentasche seiner Badehose, dann drückte er auf Absenden. Und zurück zum Entspannen.


Ace hatte eine Viertelstunde damit verbracht, durch den Park zu schlendern und gelegentliche Fotos zu machen. Die Typhon Lagoon war nach Art einer Urlaubsinsel gestaltet, die von einem großen Unwetter vernichtet wurde, und wenn er sich ein paar Mal strahlend vor kaputt gestaltete Dekorationen stellte und andere Urlauber um Fotoassistenz bat, dann hatte er Bilder, die den Eindruck erweckten, er hätte Spaß. Seine Mum würde das mögen. Es war ihr immer sehr wichtig, dass er Spaß auf Klassenausflügen hatte, denn ‚wenn er schon Zuhause so ein Stubenhocker ist, soll er sich doch wenigstens in der Schule mit den Anderen verstehen'. Das Einzige, was ihm in seiner Tarnung noch fehlte, war ein Junge in seinem Alter, der einen von Aces nicht vorhandenen Freunden spielen würde. Aber so hoch schraubte er seine Ansprüche gar nicht.

Er war gerade nah an die Umzäunung des aufgespießten Bootes getreten, als er leise Stimmen dahinter hörte. Und als wäre das nicht genug, musste Ace nur die Nase rümpfen, um den Geruch zu erkennen. Irgendwelche ganz besonders schlauen Leute hatten sich das Wäldchen ausgesucht, um in einer Pause Weed zu rauchen.

Mit zwei Schritten war er unter der Holzlatte hindurchgetaucht, um weiter durch die Bäume zu schlüpfen. Wenn er Recht hatte, und die Stimme Sean gehörte... Wollten diese Idioten wirklich riskieren, dass ihre ganze Klasse Disney-Verbot auf Lebenszeit bekam? Denn gerade schienen sie es drauf anzulegen.

Ace war klug genug, nicht direkt hineinzuplatzen, aber er schlich sich näher an die Lichtung für Parkpersonal, auf der vier Jungen einträchtig plaudernd ihre Zigaretten herumreichten. Das Handy hatte er gerade auf Schulterhöhe gehoben und die ersten Bilder geknipst – Nero war auf zweien unscharf, Devon sah man nur von hinten, Sean zog komische Gesichter, aber Richard erwies sich als vergleichsweise fotogen – als die laute Stimme ertönte.

„Hey-... hey, seid ihr Besucher? Hier gehört hier nicht her, das ist abgesperrter Bereich..." Und dann, als allmählich klarer zu werden schien, was bei dem Grüppchen vorging: „Was macht ihr da?!" Das schien das Stichwort. Richard war als Erstes auf den Beinen, wie von der Tarantel gestochen, und hastete zurück. Ethan folgte ihm so rasch, als wolle er Geschwindigkeitsrekorde aufstellen. Devon blieb noch bei Nero zurück, als der das glimmende Ende austrat, und dann jagten sie hinterher. Nicht in die Richtung von Richard, sondern in die seine.

Ace riss die Augen erschrocken auf und versuchte zur Seite zu robben, als der erste auch schon über ihn hinwegsprang und seine Anwesenheit lediglich mit einem „Was zum F-!" zu kommentieren wusste. Devon aber konnte einen längeren Blick auf ihn erhaschen. Ace konnte nur beten, dass sein Handy sein Gesicht zur Gänze verdeckt hielt. Und gefärbte Haare konnte ja jeder haben, oder nicht?

Als der Parkmitarbeiter vorbeirannte, saß er schon wieder hinter einem Baum und rang nach Atem. Aber Ace hatte die Bilder, sagte er sich. Sie würden ihm doch sicher nichts tun. Er hatte die Bilder ... und damit hatte er etwas in der Hand. Außerdem gab es viele Dinge, mit denen er leben konnte, aber ein Disneyland-Verbot gehörte nicht dazu.


„Fuckfaaace." Den Ace-Teil betonte Nero besonders jovial, als er sich im Bus neben ihm fallen ließ. „Was machst du denn so allein hier vorne? Willst du nicht mit uns nach hinten kommen?" Die Lehrerin warf ihnen von draußen einen prüfenden Blick zu, und Nero sandte ein strahlendes Lächeln zurück. Ace drückte sich noch ein wenig enger ans Fenster.

„Verschwinde." Nero sackte seufzend zurück.

„Hab ich mich irgendwie seltsam ausgedrückt? Dann Sorry. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass das ein Vorschlag wäre." Der Ton blieb gleich, aber mit den letzten Worten schloss sich seine Hand um Aces Oberarm. Für jemanden mit Aces sportlicher Betätigung von ‚einmal am Tag den Weg in die Küche finden' fühlte der Griff sich eisenhart an.

Ace schluckte und flüsterte zornig: „Ich könnte schreien!" Vor ihnen stand Chris, der sich besonders dämlich dabei anstellte, seine Tasche die Bustreppe hochzubekommen. Er versperrte den Blick auf die Lehrerin fast kunstvoll, und so, wie er grinste, war das wahrscheinlich genau seine Absicht.

„Klar. Mach ruhig. Gibt noch mehr als einen Duschabfluss in unserer Herberge – nur, um das mal so zu erwähnen." Aces Knie mussten inzwischen schon fast automatisch wegknicken, wenn der Ekel wieder in ihm aufkam. Anders ließ es sich nicht erklären, dass Nero ihn so mühelos in die Höhe zerren konnte. Er wollte noch fragen, wie Nero ihn gewaltsam vorbeischleifen würde an unbeteiligten Schülern, aber da lockerte sich die Hand wieder. Ah, ja – Mrs. Goldstein hatte es endlich geschafft, Chris mit seiner Tasche zu assistieren.

Nero nickte ihm zu, als wäre das Drohung genug. Unter anderen Umständen wäre es das – aber in seinem Kopf lief immer derselbe Text.

Letzte Schulwoche. Wenn sie zurückkamen, waren Ferien. Und wie viel wollten sie ihm in zwei Tagen Florida noch antun? Während man in den Ferien vielleicht Gelegenheit hatte, sehr, sehr viele Probleme auf einmal zu lösen, wenn man ein bestimmtes Foto der Schulleitung zukommen ließ...

Ace blieb sitzen. Und als Mrs. Goldstein ins Innere kam und den Platz auf der anderen Seite des Ganges einnahm, lächelte er ihr sogar schwach zu. Der Gedanke an potentielle Rache nahm einen Teil der Angst, so klein sie auch sein mochte.

Vorausgesetzt, er überlebte den Rest ihres Tagesprogramms.

FrostbyteWhere stories live. Discover now