Frostbyte

'Mitleid' ist ein Konzept für andere Leute

"Brauchst du etwas zu trinken?" Ace nickte langsam, und kümmerlich, und kugelte sich ein, um noch mitleidserregender zu wirken.

Einerseits fühlte er sich natürlich elend. Nicht schmerzleidend-elend, seltsamerweise, aber vielleicht war das auch nur der Schock ... Und doch ausreichend elend. Er war glücklich, dass sie seinen Arm mit einer Plane umwickelt hatten, denn er hätte es nicht geschafft, hinzuschauen. Allein der Gedanke bereitete ihm schmerzhaftes Magenschlingern.

Vor allem hatte er aber festgestellt, dass Nero um einiges netter zu ihm war, solange er davon ausging, dass Ace gerade geistig weit weg festhing. Wo sein Ausmaß an Freundlichkeit normalerweise nicht hinausging über 'Kannst auch unser Mikroskop benutzen, das funktioniert eh scheiße', benahm er sich diesmal ausgesprochen menschlich. Für Nero-Standards sogar über-menschlich.

Nachdem ihnen die Flucht geglückt schien und die Sonne am Himmel in Richtung Horizont gewandert war, war Nero angehalten, um ihnen im Schutz einiger Bäume und Sträucher eine Schneekuhle zu graben und soweit an den Wänden zu verdicken, dass die Kälte von außen gedämmt werden konnte. Ace hatte dagesessen, eingepackt in zwei Jacken, und zitternd ins Leere gestarrt.

Mit zwei knickbaren Leuchtstoffröhren, die Nero aus Aces Rucksack gefischt hatte, hatten sie ihre winzige Schneehöhle soweit erhellt, dass man zumindest sehen würde, wann das erste gruselige Monster zu ihnen herunterstarrte. Und dann galt es nur, der Stille zu lauschen, die der schneebedeckte Wald zu ihnen trug.

Ace hatte das Gefühl, dass er zwischendurch immer wieder wegdriftete. Er konnte nicht jedes Mal den Finger drauflegen, aber immer, wenn er die Augen öffnete und Nero plötzlich ganz anders da saß als zuvor, war ihm klar, dass Zeit vergangen sein musste. Zeit, von der er nichts mitgekriegt hatte.

Nun starrte er mit erschöpften Augen auf den Schneehaufen, bis ihn jemand sachte gegen die Schulter stupste. Die Wasserflasche hielt Nero dabei bereits in der Hand. "Ace? Willst du jetzt oder nicht? ... Du musst ein bisschen Flüssigkeit in deinen Körper zurückkriegen." Obwohl der krächzende Ton eigentlich wenig Einordnung erlauben sollte, kamen Ace die Worte rücksichtsvoller vor als Neros gewohntes Geplauder. Besorgter. Er streckte eine klamme Hand langsam nach der Flasche aus und steigerte sich komplett in die Schwäche hinein, die seinen Körper aktuell erfasst hatte - so sehr, dass er das Wasser versehentlich fallen ließ. Nero schnappte danach, zischte kurz und ließ es zu Boden plumpsen, ehe er mit der anderen Hand danach langte. Unter anderen Umständen hätte das Ace zu denken gegeben, aber aktuell wollte er nicht denken. Aktuell wollte er nur umsorgt werden. Nero reichte ihm das Wasser bereits zurück und stützte Aces Hand, selbst als der die eigenen Finger um die Flasche schloss. Ein Teil von Ace überlegte, ob er zu dick auftrug. Andererseits - wann hatte man so eine Gelegenheit schon? Und außerdem genügte ein Blick zur Plane um seinen Arm, und die Schwäche stellte sich wie von selbst ein.

"Hey. Nicht schlappmachen." Sein Kopf wurde angehoben. Nero führte Aces Hand in Richtung Mund, bis er sich sicher sein konnte, dass Ace selbst in der Lage war zu trinken. Wahrscheinlich war die Hilfestellung gar nicht schlecht - mit links war es viel zu ungewohnt, Dinge zu erledigen. Und Ace sah sich schon beinahe verrutschen und all das Wasser über seinen Kopf gießen.

Nero wartete, bis er einige Züge genommen hatte, und nahm ihm die Flasche beim Absetzen wieder aus der Hand. "Bist du gerade geistig da?"

"Hmhm", brummte Ace, sehr langsam und in einer Art, die Nero gerne als 'Nein' interpretieren durfte. Er hatte nichts dagegen, noch ein wenig mehr Vorzugsbehandlung zu genießen. Scheiße, immerhin hatte die ihn genug gekostet - und noch immer weigerte er sich, wirklich über das Geschehene nachzudenken. Scherze machen konnte Ace, aber sobald er sich in ernstere Gedankengefilde wagte, erfüllte ihn Entsetzen. Mit Entsetzen konnte er nichts anfangen. Lieber wollte er bei Scherzen bleiben.