Kapitel 4

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BRUNO

Ich hatte den Spaziergang ins Dorf mit Lia gestern Abend genossen und mich abends noch mit Mamá ausgesprochen. Den ganzen heutigen Tag hatte ich mit meinen Schwestern verbracht, damit sie mir noch einmal zeigten, wie man richtig tanzte, weil ich das nicht allzu gut konnte. Abends waren Pepa, Julieta und Mamá schon ins Dorf gegangen, während ich in meinem Zimmer stand und mit Amigo und Carla überlegte, was ich anziehen sollte. Die zwei kleinen Ratten wollten unbedingt mitkommen, aber das durften sie nicht, sonst würde ich bloß alle verschrecken. Also durften die zwei mir bloß beim Aussuchen von Klamotten helfen, aber irgendwie wusste ich trotzdem nicht so wirklich, was ich anziehen sollte. Ich entschied mich schließlich einfach für mein braunes Hemd und den grünen Poncho. So sah ich zwar aus wie immer, aber egal. Ich wollte mich nicht wirklich für Leute rausputzen, die ich nicht mochte. Ich versuchte trotzdem nicht allzu schlecht auszusehen und mir meine Haare zu richten, aber die wirren schwarzen Locken wollten mir einfach nicht gehorchen. Nach einigen Minuten gab ich es mit meiner Bürste auf und sorgte einfach dafür, dass mir die Locken nicht ins Auge fielen. Das musste reichen. Hoffentlich war Lia dann wenigstens mit mir zufrieden! Ich überlegte mir, ob ich schon mal vorgehen sollte, um sie abzuholen, aber dazu müsste ich durch das ganze Dorf laufen und das wollte ich nicht. Also entschied ich mich dafür hier zu warten und mich solange noch ein bisschen mit den Ratten beschäftigen. Ich holte das Drehbuch von heute Mittag aus meiner Kommode, die neben meinem alten Kinderbett stand. Ich schlief immer in unserem alten Kinderzimmer, da mein magisches Zimmer, mein Turm, nicht gerade sehr gemütlich war. Um Visionen zu haben, war er zwar genau richtig, mit den hohen Decken und dem Raum voller Sand, aber zum Schlafen war er wirklich ungemütlich. Also war ich im Kinderzimmer geblieben. Da klapperte Casita mit einigen Ziegeln, aber bevor ich nachsehen konnte, wieso sie das tat, schob sie mich mit ihren Fließen hinauf auf den Gang. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, als sie mich zur Treppe schob und als ich diese betreten wollte, verwandelte sie sich in eine Rutsche. Ich rutschte auf dieser ungeschickterweise aus und landete unsanft auf dem Boden im Erdgeschoss. Ich hörte jemanden lachen und sah auf. Lia. Sie trug ein grünes Kleid, das eng anlag und wirklich toll an ihr aussah. Sie hatte ihre Haare wieder zu einem Zopf geflochten und hatte eine kleine, lila Blume im Haar, die sie wahrscheinlich draußen in unserem Garten gepflückt hatte. Sie lachte, während sie mich wieder auf die Füße zog.
"Ich hab Casita zwar gebeten, dich zu holen, aber da bin ich nicht davon ausgegangen, dass sie dich einfach runterschmeißt", lachte sie und sah mich an. "Aber du siehst gut aus. Haben Amigo und Carla dir geholfen?"
"Ja, ein bisschen. Du siehst aber auch sehr hübsch aus. Mir gefällt die Blume", erwiderte ich und klopfte mir etwas Staub von der Hose.
"Danke, ich hab sie von einem Kind aus dem Dorf bekommen, als ich hergelaufen bin", sagte sie und lächelte leicht, bevor sie mich ansah. "Können wir schon gehen oder willst du noch ein bisschen hier bleiben?"
"Nein, wir können gehen, dann haben wir das Schlimmste schon hinter uns", antwortete ich ihr, worauf sie sich bei mir unterharkte.
"Dann los, Brunito! Lass uns Spaß haben gehen!", rief sie aufgeregt und zog mich dann schon nach draußen. Es war schon dunkel und das Dorf wurde von vielen Kerzen erhellt. Sie brannten in jedem Fenster und waren wirklich schön anzusehen. Mir gefielen die Dekorationen, die überall angebracht waren. Kleine Banner hingen an einigen Masten und umrandeten den vollen Marktplatz, auf dem alle schon tanzten und Spaß hatten. Ich wurde sofort nervös und tänzelte unsicher über die Fugen der Steine im Boden. Wieso hatte ich mich von Lia überreden lassen herzukommen? Ich wollte nicht hier sein und von allen angestarrt werden! Was war, wenn ich mich noch mehr blamierte? Ich wurde zunehmend nervöser, aber Lia drückte daraufhin bestärkend meine Hand. "Keine Panik, ja? Wir kriegen das zusammen schon hin. Konzentrier dich bloß auf mich." Ich nickte nervös, worauf Lia mich sofort auf die Tanzfläche zog. Einige Leute sahen uns sofort komisch an, aber bevor ich nervös werden konnte, hielt Lia mich fest und lächelte. "Nur wir zwei, denk dran. Alle anderen sind uninteressant." Ich nickte wieder und als wir zu tanzen begannen, musste ich zugeben, dass ich das gar nicht so schlecht machte. Ich hatte sogar wirklich Spaß und musste lachen, was Lia auch zum Lachen brachte.
"Du hattest recht, das macht Spaß!", rief ich über den Lärm hinweg.
"Das hatte ich dir doch gesagt!", erwiderte sie glücklich. Mir war es plötzlich sogar egal, dass ich auf Risse und Fugen trat und alle anderen uns komisch beäugten. Ich wollte nur Spaß mit meiner besten Freundin haben und nichts weiter!

Gegen ein Uhr nachts verzogen wir uns auf eine freie Bank im hinteren Teil des Dorfes. Wir waren etwas vom Marktplatz entfernt und die Musik drang nur noch leise zu uns durch. Hier hatten wir unsere Ruhe, um uns in Ruhe zu unterhalten, da wir genug vom Tanzen hatten. Ich hatte trotzdem großen Spaß gehabt und war froh gewesen, dass Lia mich doch überredet hatte, herzukommen. Während wir so auf der Bank saßen und die nächtliche Luft genossen, fiel mir zum ersten Mal auf, dass meine beste Freundin die einzige war, die mich noch nie nach ihrer Zukunft gefragt hatte. Wieso wohl? Jeder hatte mich mindestens ein Mal gefragt, nur Lia nicht. Wollte sie ihre Zukunft vielleicht gar nicht wissen? Oder hatte sie Angst davor, weil sie genau wusste, dass ich bloß etwas Schlechtes sehen würde? Ich könnte es ihr nicht verübeln. Wenn ich in ihrer Position wäre, würde ich mich auch nicht fragen.
"Sag mal, Lia, wieso hast du mich eigentlich noch nie nach deiner Zukunft gefragt?", fragte ich neugierig nach und sah meine beste Freundin an.
"Wieso hätte ich sollen?", fragte sie zurück und erwiderte meinen Blick.
"Na ja, weil das jeder macht. Bist du denn gar nicht neugierig?", erwiderte ich, sie schüttelte den Kopf.
"Nein, um ehrlich zu sein nicht. Ich lasse mich lieber überraschen und solange du in meiner Zukunft irgendeine Rolle spielst, ist auch alles gut. Außerdem weiß ich, wie ungern du Visionen hast, also wieso sollte ich dich dazu zwingen?", erklärte sie. Mit so einer Antwort hatte ich nicht gerechnet. Aber es war nett von ihr das zu sagen, weswegen ich sie anlächelte.
"Danke, Lia. Ich dachte schon, dass du mich nicht fragst, weil ich dir sonst deine Zukunft verbaue", gab ich zu.
"Das könntest du nie! Wie gesagt, solange du nur irgendwie in meiner Zukunft dabei bist, ist mir alles recht. Und ich würde dich auch nie dafür verantwortlich machen, wenn doch mal etwas sein sollte", widersprach sie mir und lächelte mich an. Ich wollte gerade etwas sagen, als sich plötzlich jemand neben uns räusperte. Ich zuckte erschrocken zusammen und drehte mich um. Der Bauer Juan stand vor uns.
"Hola, ihr zwei. Amalia, dürfte ich Bruno mal kurz entführen? Ich bräuchte eine kleine Vision", sagte er, worauf mir sofort unwohl wurde. Ich begann unwillkürlich zu schwitzen und schluckte, was Lia wohl zu bemerken schien, denn sie stand auf.
"Tut mir leid, Juan, aber im Moment geht das nicht. Bruno und ich sind vom Fest weggegangen, weil er Kopfschmerzen hat. Könnten wir das vielleicht verschieben, bis es ihm besser geht?", log sie ohne mit der Wimper zu zucken und ich beneidete sie darum, dass sie einfach jemanden ablehnen konnte, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Juan sah mich an, worauf ich nur stumm nickte und mir die Hand an den Kopf hielt.
"Oh, natürlich, klar. Dann gute Besserung und komm vorbei, wenn es dir besser geht", beeilte Juan sich zu sagen, bevor er wieder ging und Lia sich wieder zu mir setzte. Ich sah meine beste Freundin an.
"Danke dir. Ich wollte jetzt wirklich keine schlechte Vision haben, wenn ich gleich schlafen gehe. Das würde mich wieder die ganze Nacht lang verfolgen", sagte ich dankbar, Lia zuckte die Schultern und lächelte mich an.
"Gern geschehen, Brunito. Dann komm, lass uns zu Casita laufen, bevor noch andere eine Vision haben wollen. Bei dir zuhause haben wir unsere Ruhe", erwiderte sie und stand auf.
"Sollte ich dich nicht lieber nach Hause bringen?", fragte ich nach, aber sie schüttelte den Kopf.
"Nein, ich bringe dich nach Hause, du kleiner Rattenkönig. Ich lasse dich bestimmt nicht alleine durch das Dorf laufen, wenn alle draußen sind! Ich bringe dich jetzt nach Hause und dann gehe ich auch. So ist es besser für dich", antwortete sie und harkte sich wieder bei mir unter. Wie hatte ich Lia nur verdient? Sie war wirklich rücksichtsvoll und nett, ich musste ihr dringend etwas zurückgeben. Nur was? Da kam mir eine Idee. Ich war gut im Nähen, vielleicht konnte ich ihr ein neues Kleid nähen. Darüber würde sie sich bestimmt freuen und ich würde ihr etwas zurückgeben können. Und da sie sowieso bald Geburtstag hatte, war das vielleicht sogar eine sehr gute Idee. Ja, das war sie. Dann wusste ich ja, was ich zu tun hatte.

Ich brauche dich, BrunoDonde viven las historias. Descúbrelo ahora