Kapitel 9

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AMALIA

Ich konnte es nicht fassen. Mein Vater würde mit seiner verrückten Idee doch tatsächlich durchkommen! Wieso hatte ich Bruno auch gebeten in die Zukunft zu sehen? Ich hätte das nicht tun sollen, aber ich war zu neugierig gewesen. Ich lief die Galerie entlang und wollte die Treppe runtergehen, aber da wurde ich festgehalten. Ich blieb stehen und drehte mich um. Bruno hielt mich fest, während Linda und er hinter mir standen.
"Ich weiß, du willst alleine sein, aber ich fühle mich unwohl dabei, dich jetzt alleine zu lassen. Lass uns bei dir bleiben, ja?", bat er, ich seufzte und nickte. Ich würde die beiden sowieso nicht davon abhalten können, also was für einen Sinn hatte es denn, die beiden abzuwimmeln? Aufgeben würden sie ohnehin nicht.
"Na gut, meinetwegen", willigte ich ein. "Aber ich bin gerade nicht sehr gesellig oder redselig."
"Ist ok, du musst auch nichts sagen. Lass uns einfach nur bei dir bleiben", wandte Linda schnell ein und lächelte mich beruhigend an. Ich nickte nur stumm und machte mich von Bruno los, bevor ich die Treppe hinunterging. Ich wollte gerade die Tür öffnen und den Weg zu Brunos und meiner Lichtung einschlagen, als die Tür wie von selbst aufschwang. Ich erschrak, als ich meinen Vater sah, der mich wütend ansah.
"Was tust du hier?! Du solltest zuhause sein! Und dann rennst du auch noch zu diesem nichtsnutzigen Bengel!", brüllte er mich wütend an.
"Zuhause bleiben konnte ich ja nicht! Du drehst durch! Ich werde diesen Idioten nicht heiraten, ich hasse Cristiano! Ich entscheide selbst, wen ich heirate! Und Bruno ist ein guter Freund! Er steht wenigstens hinter mir!", schrie ich meinen Vater wütend an, weil ich nicht glauben konnte, dass er hierher gekommen war, um mich zusammenzuschreien. Und natürlich wetterte er sofort gegen Bruno! Der konnte mal absolut gar nichts dafür, dass ich weggelaufen war! Ganz im Gegenteil, er war sogar der einzige Grund, warum ich in meiner Verzweiflung überhaupt in Encanto geblieben war!
"Ein guter Freund! Er zerstört dem ganzen Dorf die Zukunft - und dir erst recht! Du hast doch keine Ahnung, was du da tust!", brüllte Papá mich an.
"Er zerstört gar keine Zukunft, er kann absolut nichts dafür! Und mir zerstört er gar nichts - im Gegenteil! Er ist mein bester Freund!", widersprach ich und obwohl ich spürte, dass Bruno und Linda mich vorsichtig zurückziehen wollten, schüttelte ich die zwei ab. Ich musste das jetzt alleine mit meinem Vater klären und vor allem Bruno beschützen.
"Wenn er dein bester Freund ist, dann bin ich nicht dein Vater!", rief Papá wütend und obwohl ich wusste, dass er das ironisch meinte, ging ich darauf ein.
"Ganz genau, das bist du auch nicht mehr!", stimmte ich ihm zu. "Wenn du mich nicht respektieren kannst, dann lass mich in Ruhe!" Für einen kurzen Moment blieb mein Vater erschrocken still, bevor er ausholte und mir ins Gesicht schlug. Ich schrie auf und spürte das warme Blut, das mir im Mund zusammenlief. Ich hielt mir eine Hand auf die Wange, bevor ich mich umdrehte und die Treppe nach oben rannte. Ich musste sofort weg. Ich hörte Schritte hinter mir, während ich hinter das Gemälde kletterte, hinter dem sich Brunos und mein Geheimgang befand. Ich rannte den Gang entlang und kauerte mich dann in dem kleinen Loch zusammen. Das Blut lief mir aus dem Mund, sodass ich es mir mit dem Zipfel meines Kleides abwischte. Ich hatte gerade definitiv überreagiert, aber ich konnte trotzdem nicht glauben, dass mein Vater mich einfach geschlagen hatte. Ich hätte ihn nicht provozieren sollen, aber ich konnte das alles auch nicht einfach auf mir sitzen lassen. Wie hatte dieser Tag nur so schrecklich werden können? Ich begann verzweifelt zu weinen, als ich Schritte über mir hörte. Nur wenige Sekunden später setzte sich jemand neben mich. Ich roch Brunos angenehmen Körpergeruch, als er sich neben mir niederließ und mich in den Arm nahm.
"Linda kümmert sich um deinen Vater. Sie hat nach Mamá gerufen, sie kommt sofort", sagte er, ich nickte nur, konnte aber nicht aufhören zu weinen. "Soll ich Julieta holen? Sie kann dir bestimmt mit deinem Mund helfen, das sieht übel aus." Ich schüttelte den Kopf und vergrub meinen Kopf in meinen Händen, während ich erschöpft an seine Seite sank.
"Wieso muss er mir das antun?", schluchzte ich verzweifelt.
"Ich weiß es nicht, Lia. Ich weiß es wirklich nicht", erwiderte er unsicher und drückte mich an sich. "Aber du musst es auf jeden Fall deiner Mutter sagen, sie muss dringend mit Esteban reden. Er dreht jetzt komplett durch! So kann das nicht weitergehen! Erst eine Zwangsheirat und dann schlägt er dich! Das geht nicht!" Ich nickte und wischte mir die Tränen ab.
"Ich weiß, aber Mamá kann bestimmt auch nicht viel machen. Was ist, wenn er sie dann auch schlägt? Dafür will ich nicht verantwortlich sein!", wandte ich besorgt ein.
"Bist du auch nicht, aber du kannst es deiner Mutter nicht verschweigen! Sie muss es wissen und sich darum kümmern! Ich glaube nämlich nicht, dass Mamá das alleine regeln können wird. Ines muss es wissen", beruhigte er mich. "Wirklich, Lia, das ist ernst. Sag es bitte deiner Mutter."
"Mach ich, aber ich glaube nicht, dass sie viel tun können wird", erwiderte ich niedergeschlagen und sah ihn an. "Tut mir leid, dass ich Linda und dir den Tag versaue."
"Ach was, sag so was nicht! Du kannst ja nichts dafür, dass dein Vater das alles erzwingen will!", wehrte er schnell ab. "Mir müsste es wegen meiner Vision leidtun. Ich hab immer noch keine Ahnung, wer der Mann war und warum du Casita gewunken hast."
"Das war doch offensichtlich, oder? Ich habe Casita gewunken, weil ich sie nie wieder sehen werde, wenn ich erst mal mit Cristiano verheiratet bin!", antwortete ich ihm.
"Das weißt du doch nicht! Diese Person könnte jeder gewesen sein!", wandte Bruno ein.
"Ach ja? Wer denn?", hakte ich nach, worauf er unsicher still blieb. "Da siehst du es!"
"Eins verspreche ich dir, Lia. Wenn Esteban dich wirklich zu dieser Hochzeit zwingt, dann werde ich derjenige sein, der in die Kirche stürmt und Einspruch erhebt. Nie im Leben lasse ich zu, dass du dieses unglückliche Leben führen musst", sagte er und sah mich ernst an. "Wir kriegen das wieder hin, ja? Wir zwei gegen den Rest der Welt." Ich lächelte ihn an.
"Ja, du hast recht. Danke, Brunito. Du weißt immer, was du sagen musst", meinte ich und wischte mir die letzten Tränen weg. "Dann lass uns mal nach Linda sehen, bevor mein Vater sie auch noch schlägt." Bruno nahm meine Hand und führte mich den Gang hinab. Ich hatte mich noch nie so sicher bei ihm gefühlt wie jetzt gerade. Er war wirklich immer für mich da und ich wusste genau, dass er mich beschützen würde, wenn etwas sein sollte. Auf ihn konnte ich immer zählen. Ich musste lächeln, sah meinen besten Freund an und ertappte mich dabei, wie mein Herz höher schlug. Er war der beste Mensch der Welt. Er war derjenige, mit dem ich mein ganzes Leben verbringen wollte - egal ob freundschaftlich oder romantisch. Er würde derjenige in der Vision sein, zu dem ich ging und niemand sonst.

Ich brauche dich, BrunoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt