Kapitel 19

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BRUNO

Drei Tage war Lia schon weg. Ich hatte wieder und wieder nach ihr gesucht, war sogar in Höhlen geklettert, aber sie war wie vom Erdboden verschluckt. Wo war sie nur hin? Wieso war sie weggelaufen? Und dann noch alleine! Ich machte mir wirklich Sorgen um sie und schaffte es vor Kummer kaum, etwas zu essen. Ines ging es so ähnlich, täglich kam sie vorbei, um nach Lia zu fragen. Sie schlich sich aus dem Haus, sobald Esteban es nicht mitbekam, da er zurück gekommen war. Ich wusste nicht, wo er gewesen war, aber ich wollte es auch gar nicht wissen. Denn eines war klar: Lia war nicht bei ihm, also interessierte es mich auch nicht. Mamá hatte versucht mit ihm zu reden, aber natürlich hatte er keinerlei Schuldbewusstsein. Es war im Gespräch ihn aus dem Dorf zu verweisen, aber das würde eine Trennung von Ines und ihm zur Folge haben und das wollte Ines nicht. Sie wollte nicht, dass er dann uns oder ihr gegenüber wieder gewalttätig wurde und deswegen hatte sie uns gebeten, es einfach sein zu lassen. Jetzt saß ich in Lias und meinem Geheimzimmer und starrte auf die Holzwand gegenüber des roten Sessels, auf dem ich saß. Ich hatte keine Idee mehr, wo ich Lia noch suchen sollte und hatte jede Hoffnung bereits aufgegeben, sie je wieder zu sehen. Sie war weg, für immer. Die Zukunft hatte sich verändert. Lia und ich würden nicht heiraten. Sie würde nicht zu mir zurück kommen, sie war weg. Ich war wieder alleine und dieses Mal war ich es für immer. Es gab niemanden mehr, der zu mir hielt. Ich hatte niemanden mehr. Lia war weg. Ich schrie vor Verzweiflung auf, bis meine Stimme heiser wurde und krallte meine Nägel in meine Haare, bis ich das Gefühl hatte zu bluten. Tränen bahnten sich den Weg über meine Wange, ich konnte sie nicht aufhalten. Was hätte das auch für einen Sinn gehabt? Lia war weg, ich würde sie nie wieder sehen. Es gab nur noch eine Möglichkeit, sie mir in Erinnerung zu behalten. Ich wischte mir die Tränen ab und quälte mich aus dem Sessel, um hinauf in meine Visionshöhle zu gehen. Eine letzte Vision von Lia. Eine allerletzte für mich. Die Treppen kamen mir heute noch steiler und länger vor als sonst und ich musste eine Pause machen, um mich auszuruhen. Ich setzte mich auf die Treppenstufe und vergrub den Kopf in den Händen. Nach einer Minute stemmte ich mich wieder hoch und ging in meine Höhle. Ich setzte mich in den weichen Sand und schloss die Augen. Ich stellte mir Lia vor - lachend - und die Zeiger, die sich drehten und als ich den Wind aufheulen hörte, öffnete ich die Augen. Ich sah wieder dieselbe Vision vor mir. Lia im Hochzeitskleid. Wie konnte das sein? Wieso logen mich meine eigenen Kräfte an? Lia kam bestimmt nicht zurück, sonst wäre sie schon wieder hier bei mir. Ich konnte meiner Vision nicht glauben, es war einfach zu unrealistisch. Ich versuchte mich auf eine andere Zukunft mit Lia zu konzentrieren, aber es kam nichts anderes. Was sollte das? Ich schrie auf, verzweifelt darüber, dass ich auch schon die Kontrolle über meine Gabe verlor und sofort fiel der Sand in sich zusammen. Die grüne Tafel erschien vor mir, aber ohne zu zögern, hob ich sie hoch und warf sie gegen die Wand, wo sie schellend in mehrere Teile zerschmetterte. Ich stand auf und verließ meinen Turm, bevor ich nach draußen ging. Ich brauchte frische Luft, sofort. Ich lief so es schnell ging nach draußen, wo es im Moment regnete. Seit Lias Verschwinden waren alle im Dorf besorgt um sie und suchten nach ihr, aber keiner hatte sie finden können. Auch Pepa war besorgt und das wirkte sich natürlich auf das Wetter aus. Seit Tagen regnete es, sodass ich mir meine Kapuze überzog und über den schlammigen Boden in den Wald lief. Ohne wirklich zu wissen, wohin ich lief, trottete ich durch den Wald und ließ mich durchnässen, weil ich ja sowieso nichts gegen den Regen tun konnte. Genauso wenig wie ich Lia finden konnte. Als ich auf der Lichtung ankam, die Lia mir gezeigt hatte, seufzte ich leise und setzte mich auf den nassen Baumstamm. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, aber die kühle, nasse Luft tat mir gut und beruhigte mich tatsächlich ein wenig. Das erste Mal seit Tagen konnte ich kurz durchatmen, aber das wurde sofort wieder von den Sorgen um Lia übermannt. Mir klebten meine Haare und meine Klamotten am Körper und das fühlte sich absolut unangenehm an, aber ich hatte nicht die Kraft, um aufzustehen und nach Hause zu gehen. Also blieb ich einfach im Regen sitzen und wartete darauf, dass meine Kraft von alleine wieder zurückkam.
"Darf ich mich zu dir setzen?" Ich sah auf und hoffte im ersten Moment Lia zu sehen, aber es war Linda, die zu mir gekommen war. Ich seufzte enttäuscht, nickte aber.
"Klar. Woher weißt du von dieser Lichtung?", erwiderte ich und sah wieder auf den schlammigen Boden.
"Ich bin dem Fluss gefolgt, in der Hoffnung, Lia zu finden. Du wohl auch, oder?", antwortete sie, ich nickte.
"So in der Art, aber ich habe die Hoffnung bereits aufgegeben. Sie kommt nicht wieder und ich kann sie auch nicht finden, also war es das. Und dabei dachte ich gerade, dass jetzt endlich alles besser wird", meinte ich niedergeschlagen und zuckte die Schultern.
"Ich auch. Ich kann immer noch nicht fassen, dass sie seit drei Tagen verschwunden ist. Wo kann sie nur sein? Ganz Encanto wurde schon von oben bis unten abgesucht! Ich weiß auch nicht mehr, wo ich noch suchen soll", erwiderte Linda und sah mich an. "Du bist ihr nächster Vertrauter, hast du denn gar keine Idee mehr?"
"Nein, hab ich nicht. Ich hab schon jeden uns wichtigen Ort abgesucht, aber sie war nirgends aufzufinden. Ich hab es wirklich aufgegeben. Nicht mal meine Visionen wollen mir noch helfen", antwortete ich und zuckte die Schultern. Linda seufzte und nickte.
"Schade, aber dann können wir wohl nichts tun. Wir müssen wohl einfach abwarten, wann sie wiederkommt", erwiderte sie.
"Falls sie zurückkommt. Ich weiß nicht, ob sie es jemals tut. Denn, wenn sie vorhätte, zurück zu kommen, dann wäre sie schon wieder hier. Ich weiß ja nicht mal genau, wieso sie überhaupt gegangen ist!", konterte ich und kratzte mich nervös am Arm.
"Sie hat sich schuldig gefühlt, weil ihre Mutter verletzt wurde, aber dass sie sie gleich ganz im Stich lässt, kann ich auch nicht ganz nachvollziehen. Esteban hat zwar davon erfahren, dass sie weg ist, aber es interessiert ihn nicht mal", erklärte Linda und schüttelte ungläubig den Kopf.
"Das ist wirklich unglaublich! Verschlägt seine Frau, vertreibt seine Tochter und kümmert sich nicht mal darum! Am liebsten würde ich ihm mal richtig die Meinung geigen und ihm ins Gesicht schlagen, aber Gewalt ist keine Lösung. Auch, wenn er es verdient hätte", regte ich mich auf und atmete tief durch. Ich sah Linda verzweifelt an. "Was sollen wir tun? Ich kann ohne Lia nicht leben!"
"Ich auch nicht, Bruno, ich auch nicht. Aber ich weiß es wirklich nicht, es tut mir leid", erwiderte sie. Also blieben wir auf dem Baumstamm sitzen und starrten beide den Boden an. Ich wollte ohne Lia nicht mehr leben, ich konnte das nicht. Ich brauchte sie, sonst war ich verloren. Wenn sie nicht bald wiederkam, würde ich eingehen.

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Sorry, dass ich Bruno in diesem Kapitel so depressiv darstelle, aber ich wollte mal zeigen, wie er sich ohne Lia fühlt😅hoffe, ihr könnt mir das verzeihen. Und lasst auch gerne wieder Kommentare und Feedback da!😊

Eure Cassy

Ich brauche dich, BrunoNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ