Kapitel 15

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AMALIA

Heute war der große Tag. Die Hochzeit. Ich war wirklich nervös, ich wusste schließlich nicht, ob Bruno meinen Brief überhaupt erhalten hatte. Was war, wenn er nicht kommen würde? Was war, wenn er den Zettel nicht gefunden hatte? Was sollte ich dann tun? Ich konnte nicht mein ganzes Leben mit Cristiano verbringen! Die letzten Tage waren schon schlimm genug gewesen, ich hatte es kaum mit diesem arroganten Schnösel ausgehalten und mich so oft es ging in meinem Zimmer verkrochen. Aber heute ging das nicht. Ich saß in meinem Zimmer, weinte und versuchte das weiße Kleid, das an meinem Schrank hielt, so gut es ging zu ignorieren. Mein Vater hatte es für mich ausgesucht und ich hasste dieses Kleid jetzt schon auf den Tod. Es hatte Rüschen und Spitze und das waren zwei Sachen, die ich an Kleidern einfach nicht leiden konnte. Zudem war es noch für eine Hochzeit, die ich absolut nicht wollte. Ich wischte mir die Tränen ab und versuchte mich zu beruhigen, aber das war kaum möglich. Ich wollte einfach nur noch meine Ruhe, mehr nicht. Ich wollte in diesem Zimmer bleiben, bis Bruno kam. Ich strich mir eine lose Strähne zurück und atmete tief durch. Ich musste jetzt ruhig bleiben. Bruno hatte den Brief bestimmt bekommen und würde mir helfen. Hoffentlich zumindest. Da klopfte es an meine Tür, bevor meine Mutter reinkam.
"Lia, amor, wie geht es dir?", fragte sie besorgt nach und setzte sich zu mir auf das Bett. Sie griff nach meiner Hand und drückte sie, ich zuckte die Schultern.
"Es war schon einmal besser", antwortete ich. "Ich will das nicht tun, Mamá. Ich hasse Cristiano." Sie seufzte leise und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
"Ich weiß, amor, aber dein Vater meint es nur gut. Ich weiß, er hat eine seltsame Art, das zu zeigen, aber es ist jetzt nun einmal so. Es tut mir leid, aber ich kann nichts tun. Ich habe immer gehofft, dass dein Vater dir gegenüber nicht handgreiflich wird, so wie zu mir früher immer, aber ich kann nichts gegen ihn tun. Es tut mir wirklich leid, Lia. Aber es wird besser, das verspreche ich dir. Du wirst schon mit Cristiano auskommen", erwiderte sie und umarmte mich, aber ich schob sie weg.
"Du hättest dich von ihm trennen sollen", sagte ich hart und machte meine Hand von ihr los.
"Das konnte ich nicht, Lia. Du warst schon geboren und ohne Vater aufzuwachsen wäre schrecklich für dich gewesen", wandte sie ein, aber ich schüttelte den Kopf.
"Kein Vater wäre besser gewesen als meiner! Ich kann das nicht, Mamá. Ich werde Cristiano nicht heiraten!", erwiderte ich und stand auf.
"Ich kann den Plan deines Vaters nicht ändern, Lia. Es tut mir leid, aber es geht nicht anders. Und jetzt komm, lass mich dir die Haare machen und dir dein Kleid anziehen. Du wirst wunderschön aussehen, das weiß ich jetzt schon", meinte sie und schob mich auf den meinen kleinen Stuhl am Fenster. Sie machte sich an meinen Haaren zu schaffen, ich hielt einfach still. Was wollte ich denn sonst auch tun? Mir blieb ja keine andere Wahl!
Zwei Stunden später war es soweit. Mir war richtig übel und ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Brunos Vision würde wahr werden. Ich würde Casita winken, weil ich sie nie wieder sehen würde. Und Bruno, den einzigen Menschen, den ich je geliebt hatte, würde ich auch nie wieder sehen. Jetzt war mir wirklich schlecht. Mamá lächelte mich an.
"Du siehst wunderschön aus, amor", sagte sie stolz und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich sah mich im Spiegel an. Ich hasste das Kleid immer noch, es sah schrecklich aus. Und der Strauß Blumen und meine hochgesteckten Haare gefielen mir auch nicht. Ich hatte nie schlimmer ausgesehen. Wenigstens passte es dann. Ein schreckliches Aussehen an einem schrecklichen Tag. Perfekt. Am liebsten hätte ich meine Haare geöffnet und mir das Kleid zerrissen, aber das war nicht möglich. Nicht jetzt. Da kam mein Vater nach unten und lächelte mich an.
"Du bist wunderschön, mi hija", sagte er stolz, ich nickte nur. Er harkte sich an einer Seite bei mir unter, Mamá an der anderen. "Na los, es wird Zeit. Die anderen warten alle schon auf dich." Ich nickte nur, worauf er mich nach draußen führte. Alle warteten schon in der Kirche, in der auch schon die Glocken klingelten. Ich sah mich um, konnte Bruno aber nirgends sehen. Hatte er meinen Brief vielleicht nicht bekommen? Was war, wenn er wirklich nicht kommen würde? Was würde ich dann tun? Mein Leben in Schande verbringen? Unglücklich sein? Wahrscheinlich alles davon. Meine Eltern führten mich zum Eingang der Kirche, bevor sie dort stehen blieben. Mir wurde noch übler und ich wusste nicht, ob ich mich überhaupt noch eine Sekunde lang auf den Beinen halten konnte. Aber ich konnte nicht wegrennen, denn meine Eltern zogen mich urplötzlich ohne Vorwarnung in die Kirche. Ich folgte ihnen und musste fast weinen, als ich Cristiano vorne beim Priester stehen sah. Ich sah mich in der Kirche um und entdeckte Julieta, Pepa und Alma in einer der vorderen Reihen. Kein Wunder, sie saßen bei jeder Hochzeit ganz vorne, weil sie die magische Kerze der Familie Madrigal auf den Altar stellten. Als Zeichen der Verbundenheit zur Gemeinde. Die Kerze stand auch jetzt dort, aber sie schien schwächer zu leuchten als sonst. Merkte sie vielleicht, dass hier etwas nicht stimmte? Meine Eltern ließen mich los, als ich bei Cristiano stand. Jetzt wurde es ernst. Wenn das hier misslang, würde ich keinen Tag mehr glücklich leben können. Der Priester begann zu sprechen, aber ich hörte ihm gar nicht wirklich zu. Ich wurde immer nervöser, weil Bruno nicht auftauchte und so langsam machte es mich irre. Ich hatte nicht ewig Zeit! Bruno musste auftauchen! Er musste einfach! Da räusperte sich der Priester, worauf ich ihn ansah.
"Und habe jemand in diesem Saal etwas gegen diese Ehe, so möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen!", rief er durch die Kirche, aber nichts passierte. Keine Tür öffnete sich, keiner widersprach. Bruno hatte es vergessen. Er würde nicht kommen. In meinen Augen sammelten sich Tränen und ich war mir nicht sicher, ob sie wegblinzeln konnte. Wieso taten Julieta, Pepa und Alma nur nichts?! Sie wussten doch, dass ich das nicht wollte! Sie hatten doch geschworen, dem Dorf zu helfen! Wieso taten sie dann nichts?!
"Nun gut, es gibt anscheinend keine Einwände", fuhr der Priester fort. "Also, Kraft des mir verliehenen Amtes erkläre ich Sie nun zu..."
"Halt! Stoppt die Zeremonie! Sofort!"

Ich brauche dich, BrunoWhere stories live. Discover now