Kapitel 90: Kriese aufm Klo

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Kapitel 90: Kriese aufm Klo

Es war Freitag.
Sein Vater zwang ihn zur Schule zu gehen. 

Alle Ausreden a la 'Es ist doch nur noch ein Tag, dann ist ohnehin Wochenende' ließ Jonny nicht gelten. Immerhin kam demnächst die Prüfungszeit und erst gestern hatte die Rektorin bei ihm angerufen.

Zögerlich hatte er zugegeben, dass sein Sohn lediglich einen psychischen Zusammenbruch erlitten hatte, anstatt vorzugeben er sei krank. Sie zeigte sich überraschend verständnisvoll, bestand aber darauf, dass er bald wiederkam.

So saß er also da.
Mit dem Kopf auf dem Tisch und sah aus dem Fenster.

Direkt neben sich, nicht neben Kaiba. Er zwang sich, nicht zu ihm nach vorne zu sehen. Das kostete Kraft. 

Als es zur Mittagspause läutete, war Seto wie immer der Letzte im Klassenzimmer. Er blieb immer noch etwas länger und genoss für einen Augenblick die vorübergehende Stille, die ihm ermöglichte, seine Nachrichten in Ruhe zu checken. 

Als er schon beinahe bei der Tür war und er ein letztes Mal seinen Blick durch den Raum schweifen ließ, fiel ihm auf, dass Joey noch auf seinem Tisch lag.

Er dachte darüber nach, ihn einfach liegen zu lassen. Wieso hatten sich auch seine 'ach so tollen' Freunde nicht um ihn gekümmert? 

„Wheeler?!", rief er. Eine Sekunde später, wollte er sich dafür schon wieder ohrfeigen, doch Joey rührte sich ohnehin nicht. 

„Hm...?"
Verwundert ging Seto um den Tisch.
„...Komm. Es ist Pause."

Er erschrak. Joeys Augen waren tiefrot unterlaufen und seine Wangen ganz blass. „Lass mich doch einfach liegen.", nuschelte er unverständlich. 

Kaiba haderte mit sich. Er gab sich einen Ruck und richtete Joey am Oberarm auf. „Du siehst furchtbar aus." „Rate mal, wessen Schuld das ist." 

Demonstrativ sah Seto in eine andere Richtung. „Deine eigene. Und jetzt steh schon auf! Ich will dich nicht tragen müssen." 

Joey torkelte etwas. Beim Aufstehen fiel er, mitsamt dem Stuhl, um.

Seto schrie ihn an:
„Bist du besoffen?!" 

Joey blickte auf.
„Kann sein..." 

„Du bist echt nicht mehr zu retten! Du kannst doch nicht alkoholisiert zum Unterricht erscheinen! Bist du lebensmüde?!"

„Weißt du? Ich hab nichts mehr zu verlieren..." 

Seto schüttelte verständnislos den Kopf und half ihm auf. Umständlich schleppte er ihn auf die Männertoilette und klatschte ihm unter dem laufenden Hahn ein wenig Wasser ins Gesicht. Dann verlor Joey wieder das Gleichgewicht... 

Seto setzte ihn auf dem schmutzigen Boden ab und drückte seinen Kopf forsch gegen die Wand „Wenn du vorhast dich zu übergeben, ziele bitte nicht in meine Richtung!" Ein breites Grinsen machte sich auf Joeys Gesicht breit. „Ich könnte jederzeit was anderes auf dich zielen..." 

Auf einmal lachte er so laut auf, dass Seto fürchterlich erschrak. „Kannst du dir das vorstellen?! Ich bin so fucking high, dass ich mir grad tatsächlich einbilde du würdest mit mir reden. So als wärst du echt hier mit mir in diesem Zimmer. Hier gleich neben mir. Ich kann dich sehen und hören. Ist das nicht abgefahren?!" 

Joey lachte wieder, bis sein Lachen langsam Ton für Ton von einem Schluchzen abgelöst wurde. „Ich sollte das öfter machen. Es ist schön, wenn du bei mir bist. Auch wenn es nur in meinem verdammten Kopf ist. FUCK! Es dreht sich..."

„Den Teufel wirst du tun, Wheeler, hörst du?!
Du bist besser als das!" 

Plötzlich zog Joey ruckartig an seiner Hand.
„Tea? Tea bist du's?"
Seto beschloss einfach nichts mehr zu sagen. 

Joeys Griff war so erbarmungslos, dass er nicht mehr lange gegenhalten konnte. Er setzte sich daneben, obwohl er sich schrecklich vor dem versifften Schultoilettenboden ekelte.

Wieder begann Joey unkontrolliert zu schluchzen. „Tea... er ist weg, Tea... und... er hat wieder angefangen. Es geht wieder los, Yugi. Rette mich! Rette mich, bevor er mich wieder-!" 

Er heulte unangenehm laut, nachdem er einen lauten Zischlaut von sich gegeben hatte. Zaghaft tätschelte Seto seinen Kopf, um ihn zu beruhigen. „Psst, ist ja gut."

Tatsächlich versiegten seine Tränen wie aufs Stichwort und er lehnte seinen Kopf gegen Setos Schulter. Er löste den viel zu festen Griff um Setos Handgelenk und ließ die Hand einen Hauch weiter nach unten gleiten. Fest drückte er zu. 

Seto ließ zu, dass er seine Hand hielt, obwohl es ihm eigentlich alles andere als Recht war.  Auch ungeachtet der besonderen Umstände, war seine Hand unangenehm schwitzig und kalt.

Plötzlich öffnete sich die Tür zum Flur.
Seto schreckte auf.

„Tristan? Oh, Gott sei Dank! Du musst mir helfen!" 

Obwohl Seto ihn bisher noch nie beim Vornamen genannt hatte, blieb der Angesprochene erschreckend ruhig. „Ha! Nenn es Intuition. Ich geh sonst nie in der Pause pissen. Was ist mit ihm?" „Keine Ahnung. Hat wohl gesoffen..." 

Mit fachmännischem Blick beugte sich Tristan nach unten und schob mit zwei Fingern Joeys Augenlieder auseinander.

„Papa? Seto ist weg.", nuschelte Joey geistesabwesend vor sich hin. 

„Wenn du mich fragst, hat der was eingeworfen. Alkohol allein ballert keinen so weit ins Nirvana...", lautete Tristans fachgerechte Diagnose. 

Beim Wort 'Nirvana' musste Seto unweigerlich an die Nacht denken, in der sie sich das erste Mal so richtig, freiwillig und ausgiebig, geküsst hatten. Als Joey ihm gestanden hatte, dass er sich mehr Nähe von ihm wünschte. Als er über seinen Schatten gesprungen war, um das Experiment 'Beziehung' mit dem Hetero- Jungen zu wagen, dem er ohnehin nie auch nur ein Wort seiner überschwänglichen Zuneigungsbekundungen abgekauft hatte. 

Trotzdem musste er sich eingestehen, dass es sowohl körperlich als auch mental durchaus erfüllend war, solange es eben angedauert hatte...

Der kurze Gedanke daran allein jagte ihm einen heißen Schauer über den Rücken, den er schnell zu verdrängen versuchte. „Mir ist offen gestanden völlig gleichgültig, welche Kombination ominöser Substanzen da nun präzise in seiner Blutbahn herumschwimmt. Müssen wir ihm den Magen auspumpen lassen?" 

„Hmm... ne, ich denk es reicht vollkommen, wenn er sich ne Weile schlafen legt." „Wie auch immer. Hier können wir ihn jedenfalls unmöglich lassen..." 

Tristan verstand sofort den versteckten Apell und nickte. „Ich hol Yugi. Wir tragen ihn nach Hause." „Ich kann auch-" 

Ruhig schüttelte Tristan den Kopf. „Er checkt nicht, dass du hier bist. Es ist vielleicht auch besser, wenn das so bleibt. Außer natürlich du hast vor dich wieder mit ihm versöhnen..." Kaiba schüttelte eilig den Kopf. 

„...Siehst du? Wenn du ihm jetzt hilfst, macht er sich nur wieder irgendwelche unnötigen Hoffnungen und dann geht das Spiel gerade so lustig weiter..." 

Tristan hatte Recht.

Mittlerweile kannten alle drei Freunde, beide Seiten des Konflikts. Keiner von ihnen wollte Partei ergreifen. War ja schließlich auch nicht notwendig.

Beide Standpunkte waren für alle logisch nachvollziehbar und gleichermaßen ernstzunehmend. Es gab kein böses Blut. Die Freunde sahen ein, dass es für beide Parteien ähnlich schmerzhaft war.

Yugi und Tristan schulterten Joey von beiden Seiten und Seto hielt ihnen die Tür auf. 

Im Vorbeigehen tätschelte Tristan Seto überraschend freundschaftlich die Schulter. „Danke, dass du nach ihm geschaut hast. Kannst du uns beim Lehrer entschuldigen?"

Seto nickte. „Sicher... Meldet euch bei mir, falls ihr irgendetwas benötigen solltet. Ich kann euch einen Wagen organisieren..." „Besser nicht. Nachher kotzt er den noch voll..."

„Zurück?"
Tristan lächelte.
„Das wäre nett." 

Kaiba war eben doch kein schlechter Typ und dessen Gefühle für seinen besten Freund tiefer und aufrichtiger, als es zu Beginn den Anschein gemacht hatte. Rückwirkend schämte sich Tristan ein wenig dafür, dass er so lange misstrauisch ihm gegenüber gewesen war. 

PARADIES - XXL #Puppyshipping FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt