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"Kommst du bitte einmal?" Ich hatte eine Weile Isabelle im Aufenthaltsraum beobachtete und mir ihr Verhalten ganz genau angesehen. Neulich war sie ein schüchternes Mädchen das kaum sprach als sie mir begegnete, danach war sie mit den anderen Mädchen mehr als nur aktiv am interagieren. Es gab Momente in denen sie leise, fast schon depressiv, war und wie auf Knopfdruck hing sie im nächsten Augenblick an einem im wie eine Klette. Sie schien sich für ihre Stiefmutter, wenn auch unterbewusst, dünn zu Hungern, aber auf der anderen Seite kein Problem zu haben reichlich zu essen sobald Jin anwesend war. Sollte sie tatsächlich seine verschollene Schwester sein wäre es durchaus möglich, dass all dieses widersprüchliche Verhalten keine Böswilligkeit war, sondern vielleicht genau so krankhaft sein wie das ihrer Mutter. Dissoziative Identitätsstörung war mittlerweile die Diagnose der Mutter, aber das würde nicht zu ihr passen. Dennoch tendierte ich mittlerweile zu einer anderen Persönlichkeitsstörung und musste dafür noch einiges an Arbeit leisten um es auch definitiv sagen zu können.
Nachdem ich sie gerufen hatte eilte sie direkt auf mich zu, glücklich sah sie aber nicht wirklich aus. Direkt auf dem Fuße, es fehlten nur wenige Zentimeter, folgte sie mir in mein Zimmer und setzte sich auf einen meiner Sessel.

"Nichtmanifestierte Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen und Störung der Familiärensozialverbindung.", fing ich an und bekam einen mehr als nur verwirrten Blick zugeworfen.
"Das habe ich hier für dich aufgeschrieben, komm näher und ich erkläre es dir." Sie kam an meine Seite aufs Sofa und blickte auf ein Stück Papier das ich ihr hin hielt. "Das ganze hat eine gute Sache und eine schlechte. Das Gute: mit viel Arbeit von allen Beteiligten ist das bei dir alles noch gerade zu biegen. Das Schlechte aber ist das ich nicht dabei beteiligt sein werde." Kaum hatte sie es einigermaßen verstanden blitzte ein Funken in ihren Augen auf. "Aber wieso? Soll das ein anderer Arzt machen?" Sie hatte es sofort begriffen und deshalb nickte ich nur. "Ja, exakt aus zwei Gründen. Erstens: Ich bin für eine derartige Therapie noch nicht qualifiziert, dafür fehlt mir noch einiges im Studium. Zweitens: darf ich es schlicht weg einfach nicht. Und wenn du kurz darüber nach denkst fällt dir sicher auch ein wieso. Was meinst du wieso das so ist?"
Sie überlegte eine Weile und dachte weiterhin kein Stück daran mir endlich alles zu erzählen. "Keine Ahnung?"
Ich wartete noch eine Weile bis ich schließlich laut seufzte, zu meinem Tisch ging und mein dort platziertes Foto hoch nahm. Ich drehte es um und kaum hatte sie einen Blick darauf geworfen wurden ihre Hände immer nervöser geknetet. "Gut. Die Antwort ist einfach. Ich DARF schlichtweg niemanden behandeln der in irgendeiner Weise ins persönliche Gefüge fällt. Und du... Nunja legen wir die Karten offen. Du hast doch sicherlich schon den Namen deiner Mutter herausgefunden und auch Jin observiert oder? Es gab da so Momente mit ihm zusammen in denen ich mich beobachtet gefühlt habe. Das warst du oder? Du kamst immer wegen Jin und hast mich nur als Mittel zum Zweck genutzt oder?"
Immer noch schwieg sie mich an und starrte auf ihre Füße. "Und wenn schon. Tut doch keinen weh." Endlich kam etwas von ihr, aber anders als erwartet schien sie nichts falsches darin zu sehen. "Aber dann können sie mir doch jetzt alles über meine Mutter sagen!", voller Elan platzte es aus ihr heraus, doch als sie sah wie ich den Kopf schüttelte sackte ihre Hoffnung direkt wieder ins Bodenlose. "Nein, aber ich werde meinen Kollegen ins Bild setzen und vorher sollte es doch erst einmal mit einem Test klar gestellt werden ob du auch tatsächlich die Tochter von Jins Mutter beziehungsweise seine Schwester bist. Aber nun sag schon woher hast du die Informationen? Woher weißt du wie ihr neuer Nachname war?", fragte ich und ich konnte mir einfach nicht vorstellen woher sie es wissen konnte - doch ich wurde enttäuscht. Sie sagte kein Wort mehr. Damit schloss ich ihre Akte und hatte nicht vor sie wieder zu öffnen, egal wie frustrierend es war keine Antwort zu bekommen. Ich würde sie nicht weiter behandeln und alles andere privat die klären lassen die es auch tatsächlich betrifft. Es war an der Zeit, dass Jins Mutter und Isabelles Vater endlich Verantwortung für ihr Kind übernehmen und sie nicht weiter auf andere abwälzen. Erst dann wird es möglich sein das sie für alles andere auch Hilfe bekommt.
Mit einer traurigen Miene verließ sie mein Zimmer und blickte noch einmal traurig zurück bevor sie die Tür schloss. "Ahrg wieso guckt sie soooo. Pfff man, ich hätte ihr gern geholfen." Ich setzte meinen Kollegen mit einer gründlichen Zusammenfassung besonders deutlich ins Bild. Schließlich wollte ich das auch Jin endlich ein paar seiner emotionalen Probleme lösen könnte und dieses ganze Gewirr und Isabelles Familie schloss nunmal ihn selbst mit ein.

Live• AgainWhere stories live. Discover now