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Der Abend wurde so lang, dass Max meine Mutter erst sehr spät zu Cindy brachte. Sie erzählte meinen Vater das sie bei Cindy einen Mädelsabend machen und noch dabei helfen würde einiges für die baldige Hochzeit vor zubereiten. Das sie in Wahrheit bei mir war würde sie ihm im Leben nicht erzählen. Und so wurde mir auch klar wie sich deren Leben in den letzen Jahren komplett in unterschiedliche Richtungen bewegt hatten.
"Ich bin erschöpft und so froh das meine Mama Notizen aufgeschrieben hat." Ich warf mich aufs Bett und streifte mir mühselig die Socken von den Füßen, danach folgte die Hose und dann der Pullover. Nur damit ich am Ende in Boxershorts da hockte und nicht nur meine müden Glieder betrachtete, sondern auch die Haut mit den markenten Abschürfungen. Meine Handgelenke zeichneten ein eindeutiges Bild von dem Seil ab, aber auch meine Oberschenkel standen dem im Nichts nach. Um die abgerieben Stellen herum hatte sich die Haut noch zusätzlich gerötet und ich schob dies auf das Reiben meiner Hose. Jeans war eben nicht die beste Wahl, wenn man eine Haut wie meine hatte, nach letzter Nacht.
Ich hatte es den ganzen Tag gespürt wie es brannte, wenn ich mich vorbeugte oder mit einem der Sachen beim Tragen gegen die Abschürfung am Bauch kam. Alles war gereizt, die Haut so rot, dass ich fürchtete es könnte bald aufreißen und bluten.
Schwer schleppte ich mich zurück ins Bad und durchwühlte den Schrank im eine passende Salbe zu finden, doch seit Jin seinen Sport nur noch als Hobby ausübte wurden nicht nur die Wunden rar, sondern auch sie Wundmittel. Es blieb mir nichts anderes übrig, als nach der erst neu gekauften Salbe für Babys zu greifen die eigentlich einen wunden Po gedacht war. Gerade dabei jede Stelle sorgsam zu versorgen platze Jin unvermittelt und ohne zu Klopfen herein und blieb direkt irritiert stehen. "Ich hab noch nie etwas gesehen das so unsexy ist wie das da." Er deutete mit  ausgestrecktem Finger auf meine gerade eingecremten Stellen. "Und wer ist Schuld mhm?"  Beleidigt, aber nach Kamille riechend lief ich zurück ins Bett und auch Jin ließ sich kurz darauf ins Bett fallen. "Sorry ... Naja demnächst wirst du ja nicht mehr so aussehen." Er nickte mit dem Kopf Richtung Babybett und wollte damit klar machen das sich ab morgen alles ändern wird.

Während ich auf der Arbeit Kuchen aß und alle möglichen Kollegen traf die mir gratulieren wollten war ich bereits mit den Gedanken bei Jin. Es war unmöglich mir heute frei zu nehmen und mit ihm ins Krankenhaus zu fahren, so sehr ich auch wollte. Die Schwestern hatten bereits in aller Frühe angerufen, wahrscheinlich sofort als die Frühschicht begann, um noch einmal wirklich sicher zu gehen ob Jin tatsächlich käme und nicht auch verschwinden würde. Im Halbschlaf und noch immer müde vom vorigen Tag bejahte er auch das Versprechen schon um viertel vor Neun da zu sein. Jetzt erst am Nachmittag zu kommen würde nur Chaos bedeuten und so blieb mir nichts anderes übrig wie auf heißen Kohlen zu versuchen meinen Arbeitstag hinter mich zu bringen. Noch nie wäre ich jetzt so gerne woanders, als in diesem Moment. "Wo sind sie nur mit Ihren Gedanken?" Völlig überrascht kam ich aus meinen Gedanken an Jin zurück zu meinem Mentor, der mir direkt ins Gesicht starrte. "oh bitte? Entschuldigen Sie ich war eben wo anders." Mit einem leisen Tzz schüttelte er den Kopf und wiederholte sich. "Nana wer wird denn schon einen Tag später nachlässig? Ich fragte wann sie sich die Papiere offiziell abholen können." Ich überlegte kurz. "Gar nicht. In der Mitteilung steht das sie mit einem Kurier geliefert und persönlich übergeben werden. Heute oder morgen schon."
Die große Zeremonie der Schule war sowieso nicht meins und da es keine Pflicht war zu erscheinen schenkte ich mir die 3 stündige Tortur.
So schnell wie alle zum Essen und gratulieren kamen so schnell waren sie auch bereits wieder weg und meine Patientinnen freuten sich die Reste der Leckereien mit zu verspeisen. Um Punkt 15 Uhr legte ich meinen Stift nieder, schloss den PC und wollte so schnell wie möglich heim. "Schönen Feierabend!", rief ich meiner Kollegin zu die für mich am Nachmittag meine Patientinnen betreute. Während sie mir zurück winkte blieb ich abrupt stehen. "Ah warte kurz. Kann ich dich etwas fragen? Also ist etwas persönliches." Ich sprach leise und war unsicher ob ich sie eine so persönliche Frage stellen konnte. "Was denn?" Neugierig richtete sie alle Aufmerksamkeit auf mich. "Sie haben doch eine kleine Tochter richtig?"
"Ja 11 Monate, wieso?" Nur legte sie ihre Stirn in Falten, als ihre Augen noch größer vor Neugierde wurden.
"Vielleicht ist das zu persönlich, aber hat sich deine Partnerschaft sehr verändert nach der Geburt?" Meine Kollegin wechselte von Neugierde zum überraschten Ausdrucken. "Ja schon sehr. Es dreht sich vieles ums Kind und Spontanität ist nicht mehr so drin. Aber wieso?"  Kurz und knapp erklärte ich ihr das mein Partner nun Vater sei und wir das Kind aufziehen würden. Aus meiner sonst so souveränen Kollegin kam ein quietschendes  Geräusch der Freude und sie klatschte in die Hände bevor sie mich schwungvoll umarmte. "Es ändert sich so viel, aber das heißt ja nicht das es schlecht sei." Das beruhigte mich etwas, aber ich war noch nicht bei meiner Hauptfrage angekommen. "Mhm stimmt wohl. Und gilt das auch für.... Naja... Das Intime?" Sie lachte laut los und fasste mir anschließend an den Arm. "Oh ja, aber das Gute ist ja ihr als zwei Männer habt keine körperlichen Probleme nach ner Geburt. Da ist es höchstens die Zeit und die Müdigkeit die Probleme machen. Aber das bekommen sie schon hin." Widererwartens war sie erstaunlich offen und ich konnte mich um einiges beruhigter auf den Weg nach Hause machen und auch Jin davon berichten. Ich nahm den gewöhnlichen Weg heim, die selbe Bahn und auch den selben Ausstieg, aber dieses Mal kam es mir alles so endlos lange vor bis ich schlussendlich an meiner Haustür ankam. "Bin wieder da!" Mein Rufen wurde nicht beantwortet und ein Blick in Felix Zimmer zeigte das er nicht da war.
Doch Geräusche aus dem Schlafzimmer lotsten mich genau in ihre Richtung und vorsichtig öffnete ich die Tür einen Spalt. Von Zuhause hatte ich es gelernt ein Zimmer indem ein Baby war leise zu betreten. Andernfalls würde das Kind womöglich wach werden und ich müsste mich dann um das schreiende Wesen kümmern müssen. Unbemerkt warf ich einen Blick herein und sah ein Bild das ich mir nie zu träumen gewagt hatte. Vor'm Bett stand mein Mann mit der Statur eines griechischen Gottes, in der Hand ein Telefon und vor ihm auf dem Bett lag ein kleines Mädchen das ihr erstens Fotoshooting seelenruhig verschlief. Nur ein kleines Niesen ließ Jin kurz zucken bevor er weiter fleißig auf den Auslöser drückte. Nach gefühlten zwei Minuten schien er nun fertig zu sein und traf eine kleine Auswahl an Fotos die er offensichtlich per WhatsApp an gleich mehrere Kontakte versendete. Auch an mich und mein Klingel in der Hosentasche ließ ihn erschrocken aufschauen. "Was zum Teufel! Seit wann stehst du da?" Er sah so aus, als hätte ich in beim Fremdgehen erwischt. "Nur ein paar Minuten, wieso? Du scheinst hier ja gut klar gekommen zu sein." Zur Begrüßung bekam er einen Kuss von mir bevor ich mich der kleinen zu wendete. "Der Hasen - Anzug ist ziemlich niedlich." Noch nie hatte ich etwas so süßes gesehen, aber bei meinem späteren Einmarsch in die Küche kurz darauf hatte ich auch noch nie so viel Chaos gesehen. Zumindest bei uns, bei meinen Eltern war das ja Standart. Jin hatte vieles einfach stehen gelassen und mit dem Milchpulver scheinbar öfters gekleckert. "Gut ich kümmere mich hier ums Chaos dann komme ich zu dir.", ließ ich laut seufzend von mir und machte mich an die Arbeit. Nun Flaschen in einen Sterilisatior zu packen war mehr als ungewöhnlich, aber noch ungewöhnlicher war es zu sehen wie Jin auf dem Sofa saß, im Fernseher herum schaltete und auf seiner Brust ein nur wenige Tage alter Säugling lag. Sanft hob sich seine Brust auf und ab und wiegte Nola zurück in einen tiefen Schlaf. "Der Anblick ist so ungewohnt, aber auch schön." Ich setzte mich neben ihn hin und war eigentlich Hundemüde. Doch schlafen wollte ich auch nicht, lieber genoss ich den Anblick neben mir. Jin schien im tiefen Frieden zu sein und so ausgeglichen wie noch nie. "Lucas?" Er griff nach meiner Hand und küsste meinen Handrücken, während seine andere Hand vollständig ausreichte um Nola komplett fest zu halten. "Wir sollten uns überlegen was wir zukünftig machen wollen. Hier ist nicht genügend Platz für uns alle. Jetzt noch aber in Zukunft braucht Nola ein eigenes Zimmer. Und Felix? Nunja .... ", er druckste langsam herum und wurde genau von jenem gestört. Die Tür ging auf und unruhige Geräusche wirbelten durch den Flur. Mit ihm kam auch Max und beide schienen mittlerweile unzertrennlich zu sein. "Na ihr seht so aus wie ein perfektes Familienporträt." Felix setzte sich auf den Sessel und holte sich Max direkt an die Seite. Eigentlich wäre das die perfekte Gelegenheit mit ihnen über Jins Gedanken zu sprechen und auch er sah mich so an, als müsste ich es nun als erster im Raum ansprechen. Doch das tat ich nicht und wollte meinen Freund auch noch nicht so vor den Kopf stoßen. Dafür sah er so aus, als würde er und Max etwas sagen wollen. Und das tat er dann auch indem er vorher tief Luft holte und flüchtig zu Max rüber sah.
"Also ihr zwei jetzt wo ihr ja zu dritt seit... Also ich weiß irgendwie nicht wie ich es sagen soll.", fing er an und schien nervös zu sein. "Also ich weiß ja das du die Webcam nicht weiter oder für länger machen wolltest und Jin momentan nicht arbeitet, aber... Aber ihr erinnert euch an diese Japaner im Restaurant? Sie haben uns angeboten das ganze richtig profissionell auf zu ziehen und ich habe heute mit meinem Chef gesprochen. Ich könnte auch von dort aus weiter arbeiten oder Kunden annehmen." Es dauerte eine Weile bis alles bei mir angekommen war und ich voller Erstaunen aufsprang. "Warte! Das heißt ihr zwei wollt nach Japan ziehen?" Mit weit aufgerissen Augen starrte ich beide an und Max nickte derweilen nur. "Sie bezahlen super gut. Das hab ich nur dir zu verdanken." Er lächelte zufrieden und ich dachte daran wie nötig er doch das Geld hatte.

In wenigen Monaten waren wir also nur noch zu dritt und ich fragte mich wie unsere Zukunft aussah. Momentan lag ich mit Jin im Bett, hörte von Jin leichtes Schnarchen, direkt neben ihm Nola friedlich und ruhig und aus dem Zimmer von Felix quer durch den Flur drang lautes Stöhnen, Poltern und kurz darauf ein noch lauterer Höhepunkt. Ich hatte mich derweil wieder von der Cam verabschiedet und zweifelte daran ob dies die richtige Entscheidung gewesen ist. Natürlich würde ich zukünftig mehr verdienen, aber ich war nicht bereit alleine für alles Sorgen zu müssen. Ich wollte Jin wieder als unseren Versorger und es machte mir große Angst wenn ich in die Zukunft blickte. Ich wälzte mich hin und her fand etwas in den Schlaf, aber nicht genug um richtig einzuschlafen. Nach einiger Zeit hatte ich eine bequeme Position gefunden, da meldete sich schon ein kleines Menschlein und wollte scheinbar etwas zu Essen haben. Jin wurde nicht wach und so blieb es an mir die Flasche fertig zu machen doch als ich zurück kam hatte er sich bereits mühselig in eine sitzende Position gequält und war bereit dazu auf zu stehen. "Hier." Ich reichte ihm lediglich die Flasche und beschloss weiter zu versuchen zu schlafen, aber auch jetzt gelang es mir nicht und ich wälzte mich weiter herum.
"Kannst du nicht schlafen?" Jin drehte sich zu mir um und war noch immer dabei Nola zu füttern. "Ich mach mir halt Sorgen wie es weiter geht und ich will das du wieder Geld mit nach Hause bringst. Ich will nicht so enden wie meine Eltern." Ich hatte ihm endlich von meinen Sorgen erzählt und erntete dafür nur ein Lächeln und ein lautes Schnauben. "Gut, weißt du was? Geh mal an meinen Schreibtisch und hol den Laptop." Irritiert tat ich es und ließ mich mitten in der Nacht vom grellen Licht bescheinen. "Klick dort auf den Ordner 'Skript'."
Ich tat was er wollte und öffnete zugleich eine Datei. Es war auch die einzige darin. "Ist das eine Biographie?" Ich laß die ersten Zeilen und wurde stutzig. "Ja mein Leben schwarz auf weiß. Und es ist auch schon verkauft. Ich wollte dich eigentlich damit überraschen, aber ich will dich auch nicht weiter quälen." Ich laß weiter und Jin hatte tatsächlich von seiner frühsten Kindheit angefangen alles nieder zu schreiben. "Das heißt du bekommst Geld dafür?" Er nickte während er die nun leere Flasche weg legte und auch Nola zurück in ihr Bettchen legte. "Ja, für den Verkauf, Anteile ect. Und wenn es gut ankommt, was ich nicht bezweifle denn immerhin hab ich ja noch meine Fans, gibt es weitere Optionen. Hörbücher, Film... Wer weiß. Außerdem hab ich vor nicht mit dem Schreiben aufzuhören."
Ich scrollte ein Stück weiter und irgendwo nach endlosen Seiten wurde auch ich so langsam erwähnt. "Warte was heißt nicht aufhören?" Er grinste wie ein frecher Schuljunge und rückte näher. "Ich verwirkliche einfach endlich meinen Traum. Zumindest ein wenig. Mir wurde vorgeschlagen an einem Musical mit zu arbeiten. Texte schreiben und so. Das kann ich auch von Zuhause aus mit Nola." Etwas überrumpelte wusste ich absolut nicht was ich sagen sollte. "Ich habe dir vor Monaten schon gesagt das du dir keine Sorgen machen sollst. Vergessen? Und jetzt schlaf endlich." Er klappte den Laptop zu, warf ihn ans Bettende und riss mich zu sich herunter in die Kissen. "Ich lieb dich Lucas und ich will das du nie wieder wegen mir diese Shows machen musst. Vertrau mir ich regel wieder alles." Ich war beruhigt und kuschelte mich an die mir so geliebte Brust. "Mach dir keine Sorgen, hilf mir Routine mit der Kleinen zu bekommen und dann wird schon alles okay und außerdem wenn Felix mit seinem Lieblingstoyboy auswandert ist hier auch Platz genug für uns. Und wer weiß vielleicht bekommst du irgendwann dein Häuschen." Ich wusste gar nicht wieso ich mir Sorgen gemacht hatte - Jin war immer noch der Alte und schien weiterhin alles im Griff zu haben.

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