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"Sei bloß leise und gib mir nicht die Schuld!", energisch und äußerst aufbrausend brüllte es aus dem Büro meines Kollegen und genauso laut kam auch eine Antwort. "Und ob ich das tu! Du hast mir nie die Wahl gegeben.", eine tiefere Stimme brüllte zurück und dann war es eine Weile still. Die erste Stimme konnte ich Jins Vater zuordnen - die zweite Jin selbst. Sie erarbeiteten langsam ihre Probleme und Jin schien seinem Vater die harte Erziehung zum Vorwurf zu machen. "Als wäre es für mich leichter gewesen! Erst setzt deine Mutter mir ein Kuckkuckskind vor die Nase und dann muss ich sie in die Klinik .... Ich hab mein Bestes gegeben!" Es war wieder still bis eine Faust auf eine Tischplatte gedonnert wurde. "Das Beste um die Scheiße aus mir zu prügeln oder was? Ach nein man nannte es Training. Eins das ich nie wollte - ich wollte was anderes."
Wie versteinert stand ich vor der Tür. Mit mir eine Stationsschwester und Claudia die eigentlich jetzt einen Termin mit mir hatte. "Boah die will man echt nicht wütend machen." Es war falsch zu lauschen, andererseits waren sie so laut das man es nicht mehr lauschen nennen konnte. "Pah! Fang mir nicht mit diesem Scheiß von Musicals oder so an! Du musst nicht jedes Klischee erfüllen." Dann wurde es ganz still und ich wusste das sein Vater einen Nerv getroffen hatte. Jin wurde still und das war das Problem an der Sache. Er brodelte leise vor sich her um zu verhindern die Kontrolle zu verlieren, doch das war genauso gefährlich. Es löste das Problem nicht, sondern staute es auf bis es sich verheerend entlud. "Schluss jetzt mit lauschen.... Geht weiter." Ich schob nun meine Mitlauschenden weiter und versuchte mich auf Claudia zu konzentrieren. Seit sie die letzten Informationen verarbeiten konnte besserte sich ihr Verhalten von Tag zu Tag, sie war offener und ließ sich mehr auf ihre Therapiestunden ein. "Ich habe mir überlegt dich zu verlegen.", nachdem wir unsere Sitzung beendet hatten war mein Blatt gefüllt mit neuen Gedanken und Erinnerungen die Claudia bislang verschwiegen hielt. "Ich denke es ist nicht mehr nötig dich auf der geschlossenen zu halten. Wenn du möchtest kannst du in eine unserer WGs ziehen." Ich hatte den Satz kaum ausgesprochen da sprang sie schon vom Stuhl auf, rannte um meinen Tisch und warf sich mir in die Arme. "Geh und Pack deine Sachen, dann kannst du rüber." Sie hüpfte und sprang vor Freude. Und auch wenn ich das laute Quietschen von Mädchen nicht mochte - was war Ausdruck purer Freude. "Und kann ich auch shoppen gehen?" Ich sah in ihr strahlendes Gesicht und nickte. "Natürlich, es gibt keinen Grund dir den Ausgang weiterhin zu verbieten." Nun quietschte sie noch lauter auf und war so schnell Richtung Station verschwunden wie noch niemand hier. Sie würde nun ihre Sachen auf der Station für die ganz harten Fälle packen und die Türen die stets verschlossen blieben hinter sich lassen. Claudia war bereit auf eine offene WGs zu treffen um dort ein normales soziales Miteinander erleben, zu lernen selbständig zu leben und aufs Leben vorbereiten zu werden. Sie würde dort bleiben bis sie volljährig wäre und danach würde man ihr helfen auf die Beine zu kommen. Sie war auf dem Weg eine normale Erwachsene zu werden und ich war unglaublich froh einen Teil dazu beigetragen zu haben. Genau für solche Fälle machte ich meinen Job und liebte ihn. Dafür studierte ich. Diesen Weg zu gehen hatte mir auch selbst geholfen meine Familie zu verstehen und es nicht mehr so an mich ran zu lassen. "Dieser vollkommene Idiot!" Mit einem Ruck wurde meine Tür aufgerissen und wieder zugeworfen. Wut entbrannt stand Jin vor mir und ich konnte beobachten wie die Ader an seinem Hals pulsierte. "Wow mach Mal halblang! Dafür kann meine Tür auch nichts." Dafür das ich ihm anscheinend nicht sofort zustimmte bekam ich einen bitter bösen Blick zugeworfen. "DANN GIBST DU IHM ETWA RECHT?", brüllte er nun mich an und eine Ader an der Stirn tauchte auf. "Blödsinn! Ihr seit nur jetzt seit zwei Wochen dran und ihr brüllt immer noch herum. So kommt ihr nicht weiter und Isabelle auch nicht." Mürrisch wollte er sich auf meinen Sessel werfen, tat dies aber in slow motion um den Rücken zu schonen. Um ihm dennoch zu beruhigen lief ich zu ihm rüber, setzte mich auf die Lehne und streichelte sein Haar. "Ihr müsst versuchen den anderen zu verstehen, auch wenn dir die Ansichten nicht teilt." Kaum beruhigt warf er sein Augenmerk auf meine Tasche in der mein Handy unaufhörlich anfing aufzuleuchten. "Da ruft dich jemand an." Ohne zu zögern packte er in meine Tasche und zog es hinaus. Auf dem Display erschien Maddys Nummer und verwundert sah er mich erst einmal nur an bevor er ran ging und direkt den Lautsprecher anschaltete. "Oh endlich! Ich dachte ich bekomme keinen mehr ans Telefon.", sie bölgte direkt einen Vorwurf ins Telefon. "Auch schön dich zu hören. Wir waren ziemlich beschäftigt tut mir leid. Was ist denn los, das es so dringend ist?" Jin sah mich genauso fragend an wie ich ihn, als wir auf die Antwort nach dem langen Seufzer und dem anfänglichen Gestammelt warteten. "Ja, ich hab von diesem miesen Tricks bei Jin's letzten Kampf gehört. Hoffe es heilt alles wieder. Wieso ich aber anrufe... naja ich weiß nicht wie ich's sagen soll, aber ich bin schwanger.", kam es endlich. "Das ist doch schön. Herzlichen Glückwunsch.", gratulierte ihr Jin der sich in der Zwischenzeit wieder beruhigt hatte. "Nein ist es nicht! Das ist es ja. Antonio hat sich von mir getrennt.", sagte sie mir zittriger Stimme und schluckte bevor sie weiter sprach. "Er sagte er könne.... Er könne nicht und verließ mich. Er könnte keine bekommen und von der Zeit her passt nur einer von euch." Aus uns beiden wurden zwei Salzsäulen und wir starrten uns nur an. "Hallo? Seit ihr noch da? Hallo?"
Es dauerte eine Weile bis wir überhaupt wieder blinzelten. "Wie wir? Wir im Sinne einer von uns während dieser Nacht?"
Als ein zustimmendes ja kam erhob sich Jin und tigerte zum Fenster und wieder zurück. "Das glaub ich erst, wenn ich's auf dem Papier sehe.", flüsterte er mir zu. "Ah, Jin will einen Test machen lassen. Ich glaube das geht vor der Geburt. Sollen wir uns Treffen?"
Jetzt war es Maddy die zögerte, aber dann doch zu stimmte. "Ich werde den Arzt anrufen und schicke dir dann den Termin." Mit dieser Abmachung verblieben wir und ich war mindestens genauso sprachlos wie Jin.
"Wenn es stimmt, dann wird einer von uns Vater.", stelle er irgendwann letztmalig fest und kam auf mich zu, griff nach meiner Hand und küsste den Handrücken. "Wieso grinst du?" Er hielt meine Hand an seinem Mund, während seine Augen mich fixierten. "Ich weiß nicht, es ist überfordernd, aber irgendwie ... ein bisschen..." Ich stammelte vor mir her während er seinen Blick hob. "Ach komm schon! Du freust dich doch nicht etwa?" Doch das tat ich tatsächlich. Der Gedanke daß einer von uns der Vater dieses Kindes sein könnte brachte mich sogar zum lächeln. "Egal ob's stimmt oder nicht." Nun ließ Jin meine Hand los und strubbelte sich wild durchs Haar. "Es spielt keine Rolle. Sie ist die Mutter und einer von uns darf dann fein Unterhalt bezahlen und alle zwei Wochenenden den Babysitter spielen." Er sah es vollkommen negativ und konnte dem Gedanken nicht ein Funken positives abgewinnen. "Ja, aber es wäre das eigene Fleisch und Blut und man könnte Teil an dessen Leben haben.", erwiderte ich bekam aber nur ein verächtliches Tzz und ein Abwinken, während er zur Tür schlenderte. "Jaaaa, wenn man sich mit Maddie einig ist. Sorry aber was erwartest du eigentlich? Wir wissen kaum was über Maddie, kennst du überhaupt ihre Adresse? Du hast nur ihre Nummer oder?" Jins negative Aura zog mich auch herunter. "Weißt du was, geht nach Hause. Ich muss noch was arbeiten. Wenn dir langweilig ist mach doch den Haushalt oder geh zur Physio." Mies gelaunt ließ ich ihn stehen, setzte mich an meinen Schreibtisch und versuchte mich auf meine Unterlagen vor mit zu konzentrieren. Demonstrativ hakte ich auf die Tasten vom Laptop ein und das verstand auch Jin. Er ging tatsächlich und kaum war die Tür ins Schloss gefallen hörte ich auf mit meiner kleinen Demonstration. Etwas am Boden lehnte ich mich vor, die Arme auf den Tisch und zu guter Letzt den Kopf darauf. "Mürrischer alter Esel.", murmelte ich vor mir her und starrte eigentlich nur zur Seite gegen die Wand und an mein Bücherregal.
Das ging solange bis ich doch noch was machen musste und damit auch ablenken konnte. Allerdings funktionierte es nur solange bis ich nach Hause musste und mich da wieder Jin stellte. "Na wie war dein Tag?" Ein genervtes Brummen hinter einem Buch ließ meine Stimmung weiterhin da wo sie war - im Keller. "Langweilig was sonst."

Unsere Stimmung blieb die nächsten Tage genau so mies und das merkte auch Maddie, als wir uns vor der Arztpraxis trafen. "Ihr seht nicht so aus, als hättet ihr gute Laune oder habt ihr schlecht geschlafen?"
Gemeinsam auf den Weg hinein wurde es langsam unangenehm. "Nenne wir es schlecht geschlafen.", erwiderte ich dann irgendwann leise. "Ich fühle mich angestarrt." Jin sah sich um und tatsächlich wurden wir beobachtet, aber er wohl am meisten. Seine Statur war auffällig und er zog regelmäßig die Blicke auf sich - was wohl auch an seinen immer noch gleich geblieben auftreten eines Gangsters lag. In solchen Situationen fiel es mir wieder auf und ich dachte daran das genau das ja auch mein erster Eindruck von ihm war, noch bevor ich ihn besser kennen lernte. "Zwei Typen und eine Frau, was hast du denn gedacht wie die Leute reagieren?" Auf den Weg zum Wartezimmer giftete ich ihn an und setzte mich demonstrativ neben Maddie und nicht neben ihn. Das alleine ließ seine Stimmung noch weiter sinken und somit beließ er es dabei sich mit ausgestreckten Beinen und gekreuzten Armen auf dem Stuhl breit zu machen. "Benimm dich doch etwas!" Ich beugte mich über Maddie und stupste ihn gegen das Knie. "Nerv mich nicht."
Unsicher blickte Maddie hin und her und fing an nervös mit dem Bein zu zittern. "Was ist denn los bei euch? Wieso streitet ihr so?"
Ihr Bein zitterte so sehr, dass Jin es irgendwann nicht mehr sehen konnte und fest an ihr Knie griff. Nachdem sie ruhiger wurde war es bereits soweit das wir ins Zimmer gerufen wurden und auch dort blieb die merkwürdige Stimmung. Auch wenn der Arzt es sich nicht hatte anmerken lassen war klar zu erkennen, dass auch er die Situation als ungewöhnlich bezeichnen würde.
"So das war's. Wir haben die Proben von ihnen beiden und auch von unserer netten Dame hier. Die Tage würden Sie dann die Ergebnisse aus unserem Labor bekommen." Jin und ich waren bereits auf dem Weg nach draußen, während Maddie noch etwas drin blieb und einige Minuten später erst zu uns stieß. "Entschuldigt... Hier." Mit wenigen Worten reichte sie uns beiden ein einzelnes Foto vom Ultraschall eben. Zu sehen war ein kleines Ding das einem Gummibärchen ähnelte. An den Seiten waren kleine Stummel zu erkennen die sich scheinbar zu Armen entwickelten. "Behaltet es ruhig. Also ich würde es euch gerne überlassen, ich hätte es gerne mit Antonio geteilt, aber er hat mehr als deutlich gemacht das er für uns zu dritt keinerlei Chance sieht."
Als Maddie anfing zu weinen waren wir beide mehr als nur überfordert. Jin hielt sich einen Schritt weiter zurück und überließ es mir Maddie in den Arm zu nehmen bis sie sich beruhigte und wir uns wieder trennten. "Kannst du bitte etwas netter sein? Du verhältst die wie der schlimmste Macho!"
Eilig hastete ich hinter ihm her. "Und du benimmst dich als würdest du heile Welt spielen wollen." Die Vorwürfe gegenseitig hörten einfach nicht auf, obwohl ich es besser wissen müsste. Aber etwas zu studieren und selbst danach zu handeln waren oft zwei paar Schuhe.
"Was hast du dagegen, wenn ich gerne Vater wäre?" Kaum Zuhause angekommen hatten wir unsere Diskussion noch nicht beendet und von Felix erntete ich nur einen verwirrten Blick der beobachtete wie ich Jin lauthals hinter her rief. "Was soll das?" Er fing an einen kleinen Rucksack achtlos mit irgendwas voll zu stopfen und gerade als er sich diesen über die Schulter werfen wollte hielt er schmerzhaft inne. "Tzz fuck... Dieser beschissene Rücken...", fluchte er bevor er sich zusammen riss. "Lass mich damit in Ruhe. Keiner von uns hat ne heile Familie und du freust dich darüber noch ein Kind zu integrieren? Mit irgendwem. Das ganze ist nicht besser, als das was meine Mutter trieb!" Er schnaubte wütend und sah anschließend zu Boden. "Ich weiß das du das kannst, ich aber nicht. Ich weiß gerade gar nichts mehr. Ich kann nicht arbeiten, meine Familie ist das reinste Chaos und jetzt das? Danke, aber danke nein." Ich stand wie angewurzelt da und hatte keine Ahnung was ich ihm sagen sollte. Er steckte in einer tiefen Existenzkrise und in meiner Brust bildete sich ein tonnenschwerer Knoten. Ich war blind nicht zu merken mit welchen Konflikten er kämpfte - konzentrierte mich nur auf Isabelle, überließ ihn ganz allein der Situation oder belastete ihn noch zusätzlich mit meinem Familienkram. Doch viel mehr unterschätzte ich die Tatsache das Jin das, was er seit er ein Teenager war tat, nicht mehr machen könnte und eben nicht mehr unser Versorger war. "Wo willst du hin?" Als er sich an mir vorbei schob blieb mir nichts über als tatenlos hinter her zu blicken. "Ich muss nachdenken. Das mir zuviel." Er war im Begriff zu gehen, als er sich erneut umdrehte, kurz wieder die Stirn vor Schmerz in Falten zog und auf mich zu kam. Vorsichtig platzierte er seine Hand in meinen Nacken und küsste meine Schläfe. "Keine Sorge, du hast nichts falsch gemacht. Tut mir leid." Als er los ließ war mein Nacken plötzlich so furchtbar kalt und regungslos schaute ich ihm nur noch nach bis die Tür zu fiel und ich alleine im Flur zurück blieb.

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