Kapitel 13

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Clay's PoV

Ich stand vor dem Bett, in dem George schlief und beobachtete ihn.
Spätestens nachdem ich seine Nase gesehen hatte wusste ich was los war.
Er starb und das meinetwegen.

Die letzten Tage schien er immer müder, immer ausgelaugter zu sein.
Nun fing das Nasenbluten an.

Ich kannte die Risiken, die mein Aufenthalt hier oder die körperliche Nähe zu ihm mit sich brachten. Ich wusste, was passieren würde, wenn wir oder vor allem zu lange die Grenze zwischen Geist und Mensch überschreiten würden.

All das wusste ich und hatte es ihm vorenthalten. Dabei hatte er ein Recht darauf zu wissen, was mit ihm geschehen würde, sollte er sich auf mich einlassen.

Ich setzte mich auf die Bettkante und starrte auf den Boden, während ich nachdachte.
Mein Blick richtete sich wieder zu ihm, er schien so friedlich und ruhig wie die Nächte zuvor auch zu schlafen, doch das brachte ihm kaum etwas, denn ich entzog ihm mit der Zeit immer mehr seiner Kräfte, weshalb er auch in letzter Zeit dauernd müde war oder so aussah, als hätte er tagelang nicht geschlafen.

Es tat weh.
Nur weil ich tot und ein Geist war, hieß es nicht, dass ich nichts mehr empfinden konnte.
Zugegeben wusste ich, bevor ich George kennengelernt hatte, nicht einmal, ob Geister noch etwas empfinden konnten, doch ich tat es - mehr, als ich je bei jemanden tat, als ich noch gelebt hatte.

Wieso konnte ich ihn nicht kennenlernen, als ich noch gelebt hatte?
All das hätten wir auch haben können, nur lebendiger, mit einer richtige Zukunft.
Hier und jetzt war ich nicht mehr als eine Phase, denn ich alterte nicht.

Das Erste, was ich über Geister herausgefunden hatte, war, dass sie nicht alterten.
Ich konnte mich anderen Menschen sichtbar machen, in eine Gestalt verwandeln, wie ein echter Mensch aussehen oder mich sogar unter ihnen bewegen, dennoch war ich tot.

Wenn Geistern eines untersagt war dann dass sie eine unnatürliche Bindung zu den Menschen eingingen. Sollten sie es dennoch, würde der Mensch mit seinem Leben dafür bezahlen müssen und in diesem Fall war dieser Mensch George.

Als ich vor wenigen Monaten starb war ich zwar selbst erst 17 Jahre alt, doch George war ebenfalls erst 16 und vor allem noch am Leben. Ich hatte kein Recht, ihm dieses unwissend zu nehmen.

,,Hey'' ertönte Georges verschlafene und raue Stimme plötzlich.
Ich schaute ihn an, er schien wach geworden zu sein.
,,Hey'' entgegnete ich ihm mit einem sanften Lächeln.

,,Komm'' sagte er und klopfte mit seiner Hand aufs Bett.
Er wollte, dass ich mich zu ihm legte, was ich auch tat.
Er legte sich mit seinem Kopf auf meinen Oberkörper, während ich meinen Arm um ihn hielt.

Gerade wünschte ich mir als Geist nichts fühlen oder zumindest Gefühle abschalten zu können, denn es schmerzte. Es schmerzte, zu wissen, was er noch nicht wusste.
Zu wissen, dass wir keine Zukunft hatten - keine gemeinsame.

Auch wenn ich George noch nicht allzu lang kannte, brachte er Gefühle in mir auf, die ich als Mensch nicht einmal kannte. Er brachte mir das Leben zurück, während ich ihm seins immer mehr raubte.

Ich war froh, dass er wieder so schnell eingeschlafen war.
Ich hätte nicht gewusst, wie ich ihm meine Tränen erklären sollte, die meiner Wange hinunterliefen.

Ich hätte verhindern sollen, dass es zwischen ihm und mir so weit gekommen wäre.
Es war meine Schuld, all das.
Obwohl ich tot war verhielt ich mich so, als wäre ich es nicht und er war derjenige, der darunter leiden musste.

Liebe fand ich schon immer scheiße, da ich auch nie wirklich Glück in der Liebe hatte und kaum war man tot fand man plötzlich die Liebe seines Lebens oder was?
Das Leben nach dem Tod war genauso beschissen wie das Leben.


Seductive SpiritWhere stories live. Discover now