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POV Easton

Easton konnte es kaum glauben. Er machte sich extra die Mühe hier hochzuklettern und der Bär war doppelt so schnell vom Dach getürmt. Verausgabt und enttäuscht bleib er liegen. Spürte Cody überhaupt keine Sehnsucht? East nahm sich fest vor mit Raoul zu sprechen. Vielleicht übersah er einfach etwas Grundlegendes oder nur eine Kleinigkeit, die den Bären auf die Palme brachte.
Seufzend sah er nach unten. Es waren sicherlich drei Meter bis zum Boden. Zwar hatte er keine Höhenangst, aber das Vertrauen in die Pflanzen war dahin. Springen fiel ihm als Option ein. Doch bei dieser Höhe konnte sogar ein Alpha sich die Knochen brechen. Schnaubend betrachtete er die Baumgruppe hinter der Halle. Sie war weit weg. Doch mit einem gezielten Absprung traute sich der Wolf zu, die Äste zu erreichen. Er sprach sich nochmal Mut zu und holte Anlauf. Das wäre ja gelacht, wenn er, der zukünftige Alpha des Baker-Rudels, scheitern würde.
Mit dröhnendem Schädel erwachte er. Neben sich erkannte er schemenhaft seinen Beta. Ralph schüttelte mit verschränkten Armen den Kopf. „Ich will nicht wissen, was dich geritten hat von diesem Dach zu springen." Stöhnend legte Easton seinen Arm auf die Augen. „Im Ernst! Was ist in dich gefahren?" Der Alpha zuckte mit den Schultern und bereute es sofort. Seine rechte Schulter schmerzte.
„Du wirst morgen grün und blau sein.", tadelte ihn Ralph, „Du kannst von Glück reden, dass nichts gebrochen ist!" Easton murrte nur. Es war ihm einfach egal. Das bisschen Schmerz machte ihm nicht viel. Die steigende Sehnsucht dagegen wurde im Minutentakt unerträglicher.
Er nahm den Arm von seinen Augen um sich umzusehen. Immerhin lag er nicht im Krankenzimmer der Schule sondern in seinem eigenen Bett. „Wir brauchen noch eine Ausrede fürs Schwänzen.", murmelte Ralph. Der Schwarzhaarige verstand nicht. „Cody kam zu mir und hat mir zugeflüstert, du wärst vom Dach gestolpert." Überrascht zog Easton die Augenbrauen hoch. Der Bär hatte Hilfe für ihn geholt? So egal konnte er Cody doch nicht sein.
„Ich habe dich sofort zum Auto geschleppt und nach Hause gebracht. Die Schule weiß nichts von... deinem Unfall." „Danke.", murmelte der Alpha. „Was erzählen wir deinem Dad?" „Die Wahrheit." Verblüfft wurde er angesehen. „Du willst deinem Dad erzählen, dass dein Mate ein Bär ist und du dich deswegen in Lebensgefahr begeben hast? Bei aller Liebe. Mach das mal alleine. Ich will nicht dabei sein, wenn du ihm das sagst." East konnte die innere Unruhe seins Betas deutlich spüren. Natürlich wollte er nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Sein Vater war ein sehr stolzer Wolf. Stolz blickte er auf seine lange Ahnenreihe zurück. Nie hatte einer seiner Vorfahren außerhalb der Wolfsgemeinschaft seinen Mate gefunden. Stehts führten zwei Wölfe das Rudel an. Bei Eastons Mutter war es andres. Sie stammte von einem Alpha-Wolf und einer Silberfüchsin ab. Möglicherweise sollte er sich seiner Mutter anvertrauen. Nur musste das bis auf weiteres warten, denn seine Mum war als Botschafterin für Wandler zu Gespräche nach Washington D. C. berufen worden. Üblicherweise dauerten solche Gespräche mehrere Monate. Das wirkte sich auch auf die Laune seines Vaters aus. War die Luna nicht in seiner Nähe, wurde der Alpha zickiger als man es jeder Frau vorwerfen konnte. Es fehlte ihm einfach seine bessere Hälfte.
„Ich denke mir etwas aus.", versprach Easton. Zwar brummte ihm der Kopf, aber irgendwas musst er sich einfallen lassen. Schließlich würde sein Vater bald zurück sein.
Er arbeitete, wie viele im Rudel, für das Forstamt. Sie waren Ranger und schlugen damit zwei Fliegen mit einer Klappe. So konnte das Revier von feindlichen Wölfen beschützt und gleichzeitig der Wald gepflegt werden, ohne sich mit fremden Menschen herum zu schlagen. Das Amt nahm es ähnlich positiv.
Als vor einigen Jahrzehnten die Existenz von Gestaltwandlern als Licht kam, war die Aufregung unter den Menschen groß. Die einen bezichtigten sie als Dämonen, als Ausgeburt der Hölle. Andere wollten Wandler studieren oder fanden sie einfach faszinierend. Mittlerweile gab es Botschafter, wie Eastons Mutter, die vermitteln sollten. Die Franklin-High-School blieb eine reine Wandlerschule. Es gab jedoch zwei Pilotprojekte, in der Wandler offen neben Menschen unterrichtet wurden.
Das alles half Easton nur gerade überhaupt nicht weiter. Er hörte die Haustür und seinen Vater, der sich mit seinem Beta unterhielt. Stöhnend quälte er sich aus dem Bett. So oder so. Er musste da durch.
Ralph folgte ihm bis zum Arbeitszimmer des Alphas. „Wenn du ihm keine Einzelheiten erzählst, komme ich gerne mit. Aber ich liebe mein Trommelfell, weißt du?" East grinste kurz bevor er tief Luft holte. „Lass gut sein. Mein Dad wird sowieso einen Anfall bekommen, weil wir geschwänzt haben. Egal aus welchem Grund." Der Beta nickte und lehnte sich an die Wand um hier zu warten.
Mutig klopfte er an und betrat das Büro. Oswald brütete über ein paar Dokumente.
„Hast du keinen Unterricht?" Der Alpha hatte schlechte Laune. Na großartig. Schweigend starrte East auf den Fußboden. Sein Vater hob den Blick.
„Wie siehst du überhaupt aus?", fuhr er ihn an, „Was ist mit deinem Handgelenk?" Der junge Alpha versuchte die deutlichen blauen Flecken mit der anderen Hand zu verdecken. Immerhin hatte er daran gedacht eine Jacke über zu ziehen, damit nicht das ganze Ausmaß seiner Blödheit sichtbar wurde.
„Wie soll ich das deiner Mutter erklären?" Eastons Kopf schnellte nach oben. „Mum kommt nach Hause?" Der Ältere nickte. „Beantworte meine Frage. Wie soll ich ihr deine Abschürfungen erklären?" „Wie wäre es, wenn ich es ihr erkläre und du dafür Ralph und mich für die Schule krankmeldest?", schlug East hastig vor. Der Alpha warf ihm einen genervten Blick zu. „Erst wirst du MIR erklären, was geschehen ist, junger Mann."
Da stand Easton nun. In den Armen seines Vaters. Oswald war überglücklich, dass sein Sohn seinen Mate bereits gefunden hatte. Der Alpha hatte nicht nachgefragt, wer es war. Deswegen verschwieg Easton ihm das Bärendetail. Zumindest war die schlechte Laune seines Vaters verflogen. Bis seine Mum nach Hause kam, konnte er dieses Launenlevel vielleicht aufrechterhalten.
„Bring deinen Jungen unbedingt mit!" Freudestrahlend wurde er losgelassen. Auch das noch. „Das wird nicht so einfach sein." Ausweichend fiel Eastons Blick zurück auf den Fußboden. „Wieso?" „Er... ist nicht besonders angetan von mir." Verständnislosigkeit spiegelte sich in den Augen des Alphas. „Es ist ein Alpha, nicht wahr?", seufzte sein Vater. East schwieg, was sein Dad als ‚Ja' interpretierte. „Ach Junge. Das wird ein saftiges Stück Arbeit." Was du nicht sagst. Aber das dachte sich der junge Wolf lieber.
„Wo lebt sein Rudel?", setzte Oswald hinterher. „Er... hat keines. Ich weiß nicht viel über ihn. Nur, dass er keine Familie hat und sein Vormund soll irgendein entfernter Verwandter sein.", erklärte East und musste dabei nicht einmal lügen. Sein Vater stutzte. „Aber wenn er bei Verwandten lebt..." Sein Sohn unterbrach ihn mit einem Kopfschütteln. „Er geht wie ich die Franklin-High. Er lebt ihm Wohnheim und ist praktisch nicht aus seinem Zimmer zu bekommen." Der Alpha nickte verstehend. „Er muss eine starke Persönlichkeit aufweisen, wenn er die Einsamkeit erträgt." Easton fiel eher ,sturer Bock' ein. Möglicherweise sollte er die Aussage seines Vaters ernst nehmen. Wer sagte denn, dass nicht auch Bären unter Einsamkeit leiden konnten. Aber Cody? Der allseits alle verscheuchende Einsiedlerbär? Irgendwie konnte East sich das nicht vorstellen.
„Versuche ihn wie ein scheues Reh zu behandeln. So bekommst du sein Vertrauen.", erklärte sein Vater, „Du musst behutsam sein. Wenn sich eine Konfrontation anbahnt musst du sie stoppen. Vermeide sie am Besten. Er braucht bedingungsloses Vertrauen, sonst wird er seine Höhle nicht verlassen." Sein Sohn nickte verstehend. Auch wenn der Alpha dachte, Easton würde über einen Wolf sprechen, entpuppte sich der Ratschlag als hilfreich. Wenn er so darüber nachdachte, hatte er Cody tatsächlich mehrfach in die Enge getrieben. Zwar wollte er sich nur mit dem Bären unterhalten, aber er hatte einfach nicht darüber nachgedacht, dass es für Cody unangenehm sein könnte. „Lass dir Zeit, Junge. Du hast ihn gefunden. Das ist mehr als du in deinen jungen Jahren erwarten kannst. Du hast noch genügend Zeit ihn von dir zu überzeugen." Aufmunternd klopfte ihm sein Vater auf die Schulter. „Ich kümmere mich um die Entschuldigung für euch beide."

Das Spiel von Bär und WolfWhere stories live. Discover now