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POV Easton

Easton war ganz zufrieden mit dem Tagesablauf. Erst heute Nacht waren er und sein Beta heimgekehrt. Bis mittags hatten sie gepennt um dann doch noch auf dem Campus zu erscheinen. Gleich darauf auf Cody zu treffen glich einem Traum. Nach dem Gespräch hatte er klammheimlich seine Mutter über den Mindlink informiert. Die Luna beorderte daraufhin sofort ihren Bruder ins Rudelhaus. Damit war das nachmittägliche Training Geschichte und Easton konnte sich auf sein Date freuen. Im Moment musste er die Präsentation überstehen. Eigentlich schade, dass die Projektzeit vorüber war. Sein Team hatte auch ohne ihn ein perfektes Ergebnis vorgelegt. Zur Strafe, weil er sich die letzten Male gedrückt hatte, musste East nun den Vortrag alleine vor der Schülerschaft bewerkstelligen. Nach den vielen anderen Vorträgen war der Schultag endlich zu Ende.
Wie ein Hündchen folgte East dem Bären zum Wohnheim. „Darf ich mit rauf kommen?" Mit zusammengezogenen Augenbrauen knurrte der Bär ein unfreundliches Nein. Das wäre auch zu schön gewesen. Während Cody nach oben lief, betrachtete East das Geschenk. Er hatte es nicht eingepackt oder so. Trotzdem hoffte er, dass der Bär sich freuen würde. Eilig steckte er es in die Tasche als Kräuterduft die Luft erfüllte. Mit dem Kopf deutete Cody ihm an mitzukommen.
Die Schwimmhalle war leer. Ohne auf den Wolf zu achten köpfte Cody ins Wasser. Beeindruckend wie der Bär durchs Wasser glitt. Easton setzte sich auf die Sprungplattform und nahm das Geschenk aus der Jackentasche. Eine wasserdichte Stoppuhr mit mehreren Speichern für unterschiedliche Zeiten. Zwar hatte er noch nicht alle Funktionen raus. Trotzdem. So schwer konnte das ja nicht sein.
Cody schwamm gerade eine Bahn auf ihn zu. Das lange Band der Stoppuhr reichte bis zur Wasseroberfläche. Der Bär nahm den Gegenstand wahr und hielt am Beckenrand an. „Eine Stoppuhr? Hast du die deinem Onkel geklaut?" Easton lachte nur auf die Unterstellung. „Vielleicht. Vielleicht habe ich sie auch aus dem gleichen Laden.", murmelte der Wolf verschwörerisch, „Sie ist bis fünf Meter wasserdicht. Dreh sie auch mal um." Tatsächlich nahm Cody sie begutachtend in die Hand. Auf dem Batterieschieber erkannte der Bär seine vier Buchstaben. Eingraviert in geschwungener Schrift. „Gefällt sie dir? Ich weiß, du hast in der Armbanduhr auch eine Stoppfunktion. Aber da du auch kletterst, dachte ich, es wäre schön, wenn du dir deine Zeiten speichern kannst.", erklärte sich der Wolf. Der Bär bedachte ihn mit einem undefinierbaren Blick. Dann ließ er die Uhr los und schwamm ohne ein Wort davon. Ratlos zog Easton sie wieder nach oben. Wenigstens ein kleines ‚Danke' hatte er sich gewünscht.
Nach ein paar Runden hielt Cody vor ihm an. „Bin warm geschwommen.", erklärte er mit ernstem Blick und zog sich aus dem Wasser nur um sich auf die Sprungplattform neben Easton zu stellen, „Zähl runter." Der Wolf starrte ihn kurz an. Mega abgelenkt von dem muskulösen Körper neben sich, vergaß er fast das Anzählen. Sein Blick fiel auf die Uhr in seinem Schoß.
„Ok. 3... 2... 1." East konnte gerade noch auf den Startknopf drücken, da sprang Cody bereits weit ins Wasser. In Rekordzeit hetzte er durch das Wasser. Kein Wunder, dass Onkel Nate ihn im Team haben wollte. Aber da war wohl nichts zu machen. East entdeckte zufällig eine Funktion, die Umrundungen mitzählte. Für jede Bahn drückte der Alpha auf den Knopf.
Bis Cody auf den Beckenrand klopfte. Easton hielt die Uhr an. „Du musst vier Bahnen dazu zählen.", erklärte er, „Macht 44 Bahnen in knapp 60 Minuten. Glanzleistung würde ich sagen." Ein leises Brummen kam vom Bären. „Ich würde noch gern ein wenig alleine Schwimmen." Cody sah zu ihm hoch. „Ja. Klar. Bin schon weg." Lächelnd rutschte er vom Podest. „Viel Spaß noch." Er legte die Uhr am Beckenrand ab damit Cody sie erreichen konnte.
Schweigend lief er zum Auto. Immerhin. Cody hatte eine ganze Stunde mit ihm ausgehalten. Zwar hatte sich der Wolf mehr erhofft, aber 60 Minuten konnte man steigern. Zuhause hörte, er noch bevor er die Tür öffnete, einen lauten Streit mit mehreren Beteiligten. Hoffentlich nicht seine Eltern. Auf der breiten Haupttreppe, die zu den einzelnen Zimmern führte, kauerte Ralph. Er zuckte bei jedem scharfen Wort zusammen. Natürlich erkannte Easton die Streitenden an ihren Stimmen.
„Hey. Du musst dir das nicht anhören." Behutsam schob Easton seinen Beta auf die Beine. „Er ist meinetwegen so drauf.", schluchzte Ralph leise, „Alles meine Schuld!" Fest nahm er seinen besten Freund in den Arm. „Das ist nicht deine Schuld. Nate beruhigt sich schon wieder." Wie ein Ertrinkender klammerte sich der Beta fest, seinen Kopf an Eastons Schulter vergraben. Plötzlich erklang ein bitterböses Knurren. Easton folgte dem Geräusch. In der Wohnzimmertür stand sein Onkel. Seine Augen. Total schwarz. Neben ihm flog die Haustür auf. Oswald baute sich schützend vor seinem Sohn auf. „Nate. Fahr runter.", befahl er dem Beta ruhig. Doch der Coach dachte nicht daran. Sein Instinkt hatte übernommen. Er wollte seinen Mate. Jetzt! Verängstigt zog Easton sich weiter zurück. Ralph zitterte in seinen Armen. „Geht auf dein Zimmer, Sohn.", befahl der Alpha streng. Eilig zog er seinen Beta an der Hand nach oben. Ein weiteres Knurren war zu hören. Knochen knackten. Auf dem Treppensims drehte sich East noch einmal um. Sein Onkel stand in seinem schneeweißen Fell vor dem Alpha. Er knurrte ihn an. Oswald ließ sich nicht beeindrucken. Der weiße Wolf machte einen Satz nach vorne um die Treppe zu erreichen. Mit Leichtigkeit bekam ihn der Alpha zu fassen und zwang ihn auf den Boden. „Wirst du wohl aufhören?" Mit fletschenden Zähnen versuchte Nate sich zu befreien. „Nicht! Ihr tut ihm weh!" Easton konnte Ralph gerade noch packen ehe er die Treppe hinunterlaufen konnte. „Easton! Zimmer! Jetzt!" Schnell zog der junge Alpha den quengelden und um sich schlagenden Beta mit sich. Er knallte die Zimmertür zu und ließ Ralph los. „Bitte Easton. Lass mich hier raus! Ich muss ihm helfen!" Stumm schüttelte er den Kopf und lehnte an der Tür. „Bitte East! Was würdest du tun, wenn Cody da unten wäre?" Mit Schrecken beobachtete der Alpha die Augen seines Betas. Unterdrückungswahnsinn nannte man es umgangssprachlich. Den Fachbegriff hatte East verdrängt.
„Du musst mir zuhören, Ralph. Ich will dich nicht von Nate fernhalten. Du weißt genauso gut wie ich, dass er gerade nicht er selbst ist.", redete er beschwichtigend auf ihn ein, „Er könnte dich verletzten und das kann ich nicht zu lassen. Ich bin dein Alpha. Meine Aufgabe ist es dich zu beschützen. Notfalls vor deinem Gefährten oder dir selbst." Ralphs Augen klärten sich ein wenig.
„Wenn Nate sich abreagiert hat, dann gehen wir runter. Einverstanden?" Ralph blinzelte ehe er nickte. „Kann... kannst du mich in den Arm nehmen?" Nickend lief East auf ihn zu. Die Augen des Betas strahlten in ihrem normalen Grünton. Wenigstens er hatte sich beruhigt.
Minutenlang standen die Freunde Arm in Arm bis Ralph sich löste. Kraftlos ließ er sich auf den Boden fallen. Besorgt setzt sich der Alpha neben ihn.
„Wo warst du heute?" Ein leiser Vorwurf lag in der Stimme des Beta. „Schwimmhalle. Ich habe für Cody die Zeit gestoppt.", antwortete er ehrlich. Ein leises Schnauben. „Wenigstens einer der Zeit mit seinem Mate verbringen darf." Easton unterdrückte ein schwermütiges Seufzen.
„Wieso hältst du dich überhaupt von meinem Onkel fern?" „Ich bin 16, East. Er ist 29. Die Leute würden nur reden. Ich will Nate unter keinen Umständen schaden." Durchaus verständlich. Jedoch änderte es nichts an der Situation. „Aber ihr schadet euch doch bereits gegenseitig." Frustriert seufzte Ralph. „Ich weiß, East. Aber was soll ich bitte machen?" Überlegend starrte er seinen Beta an. „Du könntest ihm einen guten Morgen wünschen. Ihn umarmen. Das sind Kleinigkeiten. Mich würde es freuen, wenn Cody das machen würde. Vielleicht reicht das fürs Erste." Lächelnd lehnte sich Ralph an seine Schulter. „Werde ich später gleich ausprobieren."
Aus Später wurde der nächste Morgen. Nora holte die beiden aus dem Zimmer. Am Esstisch hockte ein betrübter Nate. Sein linkes Auge war blau angeschwollen. Vor ihm eine dampfende Tasse Tee. Traurig blieb Ralph stehen und klammerte sich verzweifelt an Eastons Arm. Auch ohne den Mindlink erkannte er die Furcht. Stumm zog er seinen Beta mit sich. Direkt neben Nate wurde der zitternde Ralph auf einen Stuhl gesetzt.
„Wie geht es dir?", wisperte der jüngere Beta. Erschrocken zuckte Nate zusammen. Er betrachtete Ralph wie einen Geist. „Geht es dir gut, Nate?", wiederholte er mutig. Der Ältere nickte und hob die Hand. Ganz sanft strich er über die Wange seines jungen Gefährten.
„Es tut mir so leid." Seine Stimme klang so verzweifelt und brüchig, dass es selbst Easton in der Seele weh tat. „Habe ich dich verletzt?" Ralph atmete erleichter aus und genoss die Liebkosung. „Nein. Mir geht es gut." Der Beta nahm die Hand seines Mates in seine und legte sie auf dem Oberschenkel ab. „Ich weiß, ich habe schon viele Fehltage. Was hältst du davon, wenn wir heute zuhause bleiben." Da kam auch schon der Lehrer aus Nate heraus. „Nichts da!", mischte sich Nora ein, „Ich habe euch bereits entschuldigt. Ihr werdet jetzt beide Frühstücken und danach ruht ihr euch gemeinsam aus." Punkt. Die Luna hatte gesprochen. Leider galt das nicht für Easton. Er wurde von seiner Mutter in die Schule gescheucht.

Das Spiel von Bär und WolfWhere stories live. Discover now