2. Kapitel

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Langsam war es mit dem kurzen Geduldsfaden Lindas zu Ende. Wann kam denn endlich jemand? Óin hatte versprochen, dass sie heute erste Gehversuche machen würden. Sie lag seit einer gefühlten Ewigkeit oder auch einer knappen Woche im Bett und durfte sich nicht rühren.

Der Heiler hatte diese strikte Ruhe verordnet, da er sich nicht wirklich erklären konnte, warum sie plötzlich auf dem Schlachtfeld zusammengeklappt war. Die Antwort lag dem Mädchen natürlich auf der Zunge.

Doch auch dieses Geheimnis hatte sie immer noch niemanden anvertraut. Jeder der Gemeinschaft, einschließlich dem Zauberer, hatte ihr einen Besuch abgestattet, müde und mit erschöpften Gesichtern. Es war wirklich der falsche Zeitpunkt für solcherlei Ausführungen und komplizierte Theorien.

Insbesondere mit Thorin hatte sie nicht länger als zwei Minuten reden können, der König war über alle Maßen gestresst. Deswegen war sie umso froher, dass sie bald nicht länger auf die Hilfe anderer angewiesen war, da sie dann auch nicht mehr die sowieso schon ausgeschöpften Kapazitäten belastete.

Und der grauhaarige Heiler, mit dem sie die meiste Zeit verbrachte, hatte ihr sein Wort gegeben, dass sie, sobald sie wieder auf eigenen Beinen stehen könnte, eine Audienz beim König einfordern durfte. Bei diesem gehobenen Wortlaut hatte Linda skeptisch die Augenbraue gehoben, doch das war wohl dann ihr Leben. Nicht dass sie sich beschwerte.

Knarzend öffnete sich die Tür. Oh, sie hatte tatsächlich die schweren Schritte auf dem Gang überhört. Ein recht üppig beladenes Tablett schob sich nach innen, Kíli folgte.

Automatisch hoben sich Lindas Mundwinkel nach oben. Das war aber eine prächtige Mahlzeit! (Das Essen, nicht der Zwerg. Bombur meinte anscheinend, sie aufpäppeln zu müssen. Er hatte– zur allgemeinen Erleichterung– die Leitung der Küche übernommen und kommandierte alle Zwerge und Menschen herum, die sich trauten, in seinem heiligen Reich zu arbeiten.)

Der braunhaarige Bogenschütze erkannte den Grund für Lindas große Augen. „Da ist wohl noch jemand der Meinung, dass du schnellstmöglichst aus diesem Zimmer heraus musst", sagte er grinsend.

„Ja, allerdings", seufzte Linda. „Wusstest du zum Beispiel, dass einer der Fackelhalter ein wenig schräg montiert wurde? Der dritte von rechts. Oder welche Muster man in der Decke finden kann? Vielleicht siehst du ja noch welche, die ich noch nicht entdeckt habe."

Der Zwerg lachte auf. „Heute ist der große Tag, nicht wahr?"

Die junge Frau nickte eifrig und ihr Gesicht begann zu strahlen. „Óin meinte, er kommt nach dem Frühstück."

„Na dann, lass uns anfangen!" Kíli ließ es sich nicht nehmen, an dem Festschmaus teil zu haben. Vermutlich hätte das Mädchen das auch niemals alleine geschafft.

Parallel versorgte er sie mit den neuesten Neuigkeiten aus dem Berg. „Gestern haben sich mal wieder Menschenkinder im Erebor verirrt. Fíli und ich sind den halben Abend den kleinen Dingern hinterhergerannt, wer weiß, vielleicht haben sie es ja dieses Mal gelernt!", schnaubte er.

Er war nicht sonderlich böse. Die Jungen und Mädchen aus Thal waren wirklich sehr jung und hatten in den letzten Wochen eine Menge erlebt. Und wie es schien, hatte dieses Abenteuer ihnen auch einen gehörigen Schrecken eingejagt. „Jedenfalls haben sie jetzt alle Angst vor dem großen, bösen Höhlenungeheuer", schloss Kili amüsiert.

Linda schüttelte den Kopf, konnte sich ein Grinsen trotzdem nicht verkneifen. Sie sah es förmlich vor sich, wie die Brüder mit zutiefst ernsten Gesichtern von unheimlichen Gefahren in den Tiefen des Berges erzählten.

Kíli hatte sie in ihrem Zimmer häufiger besucht als sein Bruder. Was aber, wie sie aus seinen Worten herausgerührt hatte, daran lag, dass Thorin und Dáin eine Vielzahl an Gesprächen führten, bei denen der König seinen älteren Neffen an der Seite haben wollte. Zum Glück nicht sie beide, kommentierte der jüngere gerne.

Tochter der Fremden - Mittelerde-FFWhere stories live. Discover now