11. Kapitel

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Er sah sie an, verdammt. Das erste Mal seit Ewigkeiten. Sie war die dritte Wahl gewesen, das konnte er nicht verbergen. Wollte er es vielleicht nicht? Warum?

„Ich weiß nicht, ob Bard mich ebenfalls als solche ansehen wird", sagte Linda mit ruhiger Stimme. „Er glaubt, ich sei eine Zwergin."

„Wir werden ihm auch nichts anderes erzählen. Du bist als Diplomatin zwischen den zwei Seiten unterwegs, und wenn ihm das nicht gefällt, bist du ein Teil unserer Regierung. Allerdings solltest du dann deine Kritik hinter verschlossenen Türen anbringen."

Lächelte er gerade? Linda war zu verblüfft, um irgendetwas herauszubringen. Sie nickte lediglich.

„Gleichzeitig unterstreicht deine Anwesenheit unser Bemühen, mit den Menschen eine vernünftige Beziehung herzustellen", mischte sich Thorin ein.

Als wäre das ein Signal an die Außenstehenden gewesen, meldete nun jeder Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge an. Fíli hatte Mühe, die Diskussion in ordentliche Bahnen zu lenken.

„Warum reden wir überhaupt noch mit dem verschrobenen Seemenschen und bieten ihm Schutz? Ich hab ihn schon bei der ersten Begegnung als unsympathisch empfunden!", tobte Glóin.

Dori kritisierte Lindas nicht vorhandene Qualitäten beziehungsweise Fähigkeiten und, dass sie gegebenenfalls die Interessen der Zwerge vertreten sollte, die ihr allerdings fremd waren. Kíli fragte Bilbo quer über den Tisch, warum er eigentlich vom Berg weg wollte.

Während Bifur irgendetwas von höfischen Protokollen faselte und Bofur zu niemand Bestimmten sagte, dass ja dann ein Anderer für die Küche gesucht werden musste, zweifelte Nori allen Ernstes daran, dass sie lesen konnte. Worüber hatte sie jeden zweiten Tag am Lagerfeuer geredet?

Alle redeten durcheinander, Linda konnte kein einziges Wort verstehen. War es das, was sie erwartete, wenn sie sich auf diese Welt, auf die Zwerge einließ? Wie bitteschön verliefen die diplomatischen Gespräche in Mittelerde? In einer Wirtshausatmospähre?

Sie hatte es satt. Während sie im Begriff war, etwas Dummes zu tun, tröstete sie sich mit dem Gedanken, dass sie immer noch mit Bilbo ins Auenland gehen und sich dort vor der Welt verkriechen konnte. Dann stand sie auf dem Esstisch.

Linda musste kein einziges Wort sagen. Wie von einem Blitz getroffen verstummten die aufgebrachten Gestalten.

„Einer nach dem Anderen. Ausreden lassen, wenn ihr einen Einspruch habt, dann hebt ihr die Hand. Danke."

Sie setzte sich wieder. Gespenstische Stille folgte. Fíli war es, der es durchbrach, und oh, sie sah genau, dass er am Rande eines Grinsens war, dieses aber zu verbergen versuchte. „Und das, meine Freunde, war der Grund, warum wir sie mit zu den Verhandlungen nehmen sollten."

Er hatte die Stimmung mit einem Satz gelöst. Dwalin, der ewig sture Eigenbrötler, klopfte ihr dröhnend auf die Schultern, Balin sprach ihr seine Anerkennung aus und Gandalf zwinkerte ihr verschmitzt zu. Linda wäre lieber vor Scham im Boden versunken, aber ja.

Nach dieser Auseinandersetzung kauten sie jeden einzelnen Punkt gemeinsam durch, jeden einzelnen. Anstrengend, ja, doch Linda bewies es, dass Zwerge zum einen beharrlich an einer Sache dranbleiben konnten (keine neue Erkenntnis) und zum anderen sich wirklich zivilisiert verhalten konnten, wenn sie es denn wollten.

Bis zum Mittagessen saßen sie zusammen und arbeiteten ein langes Pergament voller Punkte aus, sogar Linda durfte sich äußern, wenn sie etwas zu sagen hatte, und ihr wurde zugehört. Bilbo und Gandalf würden sie in fünf Tagen verlassen, das war das Maximum, wenn sie noch vor dem tiefsten Wintereinbruch den Düsterwald durchqueren wollten.

Tochter der Fremden - Mittelerde-FFWhere stories live. Discover now