17. Kapitel

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Tage vergingen, in denen die beiden eine gewisse Routine entwickelten. Ori kannte sich viel besser mit den Details des Kronschatzes aus, als Linda es ihm zuerst zugetraut hatte; der Stapel, den Balin durchschauen sollte, weil der Jüngere nicht weiterwusste, war jeden Morgen der kleinste. Denn der weißhaarige Berater überprüfte, bevor sie sich wieder an ihre Arbeit machten, den aktuellen Fortschritt.

Das Mädchen durfte weiterhin die Sachen heraussuchen, die der Schreiber anschließend sortierte und auf die Listen notierte. Sie wagte es nicht genauer nachzuhaken, was genau wie wohin gehörte, da sich ihre Gespräche weiterhin auf das absolute Minimum beschränkten.

Ab und zu wies er sie an, beispielsweise die Juwelen auf diese Seite vorzuordnen (ihre Aufgabe war schneller zu erledigen als seine) oder er zeigte ihr, woher sie Kisten zur Lagerung holen konnte. Dass sie das ganz alleine machen durfte, erfüllte Linda mit Stolz. Endlich mal jemand, der ihr was zutraute. Wenn sie nicht anfing, körperliche Arbeit zu verrichten, würde sie es nie können.

Folglich zerrte die Abenteurerin Holzkästen durch den Erebor, schwitzte und scheuerte sich die Hände in der Folge auf, aber sie war zufrieden. Sie tat etwas, das anderen zu helfen schien. Und sie war nicht schlecht dabei.

Tatsächlich waren die beiden so gut, dass Ori bald auf dem Vorsprung sich kaum mehr umdrehen konnte, ohne dabei einen Kronleuchter, ein Glas mit Smaragden und drei Rüstungen umzunieten. Die logische Konsequenz: Balin und sein schüchterner Assistent überprüften nahegelegene Räume auf ihre Stabilität – und Linda durfte schleppen. Hin zu Ori in einem Sack über ihrer Schulter, dann geordnet weggebracht in einer Kiste.

Sie arbeiteten schweigend und schnell, gründlich und genau, sodass sie gar nicht bemerkte, wie viel Zeit vergangen war, als Balin mit ihr sprechen wollte. Gerade hatte der alte Zwerg noch seinem Schützling erklärt, dass dieses Schwert ein uraltes Relikt einer angesehenen Familie aus Durins Volk war und die Frau versuchte, mit dem prallvollen Sack über der Schulter nicht im Goldmeer unterzugehen.

„Linda! Komm, lass mich dir helfen." Balin bot ihr eine Hand an, die sie gerne annahm.

„Danke", keuchte sie. Der weißhaarige Zwerg hob sie mit einer Leichtigkeit nach oben, wie es wohl nur die Khazâd konnten (oder aber sie war ein Leichtgewicht, was Linda...nicht ganz glaubte). Sie wollte gerade weitergehen und ihre Last abladen, als der Alte sie am Ärmel packte.

„Warte, mein Kind, ich war noch gar nicht fertig." Sie sah das belustigte Glänzen in seinen Augen ob ihrer jugendlichen Ungeduld. „Heute Nachmittag treffen wir uns wieder mit Bard zu einem Gespräch. Wir würden es gut finden, wenn du wieder teilnehmen würdest. Um auf denselben Stand zu kommen wie wir anderen, würde ich dir gerne noch ein paar Dokumente geben, die du lesen solltest."

Überrascht blickte die Abenteurerin ihn an. Sie war davon ausgegangen, dass die Zwerge das letzte Treffen bereut hatten und lieber ohne sie die Regierungsgeschäfte führen wollten – weshalb sie sie auch ausgeschlossen hatten. Doch dem war wohl nicht so.

Balin war noch nicht fertig. „Bring' das gerne noch hinüber zu Ori, er macht danach auch Schluss. Es ist viel liegengeblieben in letzter Zeit, ich brauche ihn wieder an meiner Seite."

Wie wenig sie die unruhige, manchmal fast aggressive Atmosphäre in Thorins Arbeitszimmer vermisst hatte, wurde Linda beim Betreten eben jener vollgestellten Kammer klar. Die Abwesenheit des Königs hob ihre Stimmung jedoch, wer wusste schon, wie viele Aufträge sie dieses Mal von ihm bekommen hätte.

Der Berater steuerte auf seinen Schreibtisch zu, ein etwas kleineres Exemplar von einem Steinkoloss, übersät mit ordentlichen Pergamentstapeln und Schreibfedern. Einen kleineren griff er heraus und drückte ihn der verdutzten Linda in die Hand.

Tochter der Fremden - Mittelerde-FFWhere stories live. Discover now