Kapitel 201

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Wincent

„Sag mal, was soll das?! Nur weil du dein Leben vielleicht gerade mal besser im Griff hast als ich, musst du mich hier nicht so runtermachen! So läuft das eben, wenn man studiert, da gibt's auch mal stressige Phasen! Aber da kannst du ja eh nicht mitreden!", knallte Marie mir nun vor den Latz und langsam war ich mit meiner Geduld am Ende. Ich wollte doch nur das Beste für sie und nicht dabei zusehen, wie sie sich selbst vollkommen überarbeitete! Aber wenn sie mich nicht an sich ranlassen wollte, dann eben nicht! „Dann mach doch, wie du denkst, wenn du eh nicht bereit bist, Hilfe anzunehmen!", erwiderte ich daraufhin auch angepisst und stand aus dem Bett auf, um mir meine Jogginghose und einen Hoodie zu schnappen und im Flur meine Schuhe anzuziehen. „Ich geh' laufen!", informierte ich sie noch kühl, bevor ich auch schon aus der Wohnung flüchtete. Vermutlich war es besser so, mal eben kurz zu flüchten und ihr aus dem Weg zu gehen, bevor das alles noch komplett eskalierte.

Ich lief dann eine Runde durch den nahegelegenen Park, um wieder runterzukommen und meine Gedanken zu sortieren. Man ey, ich wollte doch nur für meine Freundin da sein und sie irgendwie unterstützen und aufpassen, dass sie sich nicht übernahm, wenn ich denn schonmal da war. Warum musste sie da direkt in ihre Abwehrhaltung gehen und alles falsch verstehen, was ich sagte? Ich wollte mich doch gar nicht mit ihr streiten! Ich machte mir doch nur Sorgen und wollte für sie da sein. Was hatte ich nun wieder falsch gemacht? Traurig seufzte ich auf, als ich nach etwa einer Stunde leicht außer Atem meine Runde beendete und mich langsam auf den Rückweg zu Maries Wohnung machte, in der Hoffnung, gleich nochmal in Ruhe mit ihr reden und die Spannungen zwischen uns direkt wieder aus der Welt schaffen zu können. Denn ich hasste es nach wie vor, in irgendwelchen Konflikten zu stecken, vor allem mit Marie. Ich war einfach ein harmoniebedürftiger Mensch und wollte gerade am liebsten einfach nur mit meiner Freundin kuscheln, wenn sie es denn zulassen würde.

Zurück in Maries Straße stellte ich fest, dass ich vor lauter Frust wieder keinen Schlüssel dabeihatte. Also musste ich wohl oder übel klingeln und hoffen, dass sie mich dann auch gleich rein und nicht vor der Tür sitzen ließ. Ich straffte meine Schultern und drückte auf die Klingel neben ihrer Wohnungstür. Einen Moment lang tat sich gar nichts und ich befürchtete schon, dass es doch soweit kommen würde, als sich die Tür dann doch langsam einen Spalt öffnete und meine Freundin mit gesenktem Kopf im Flur stand. Ich huschte hinein und schloss die Tür hinter mir, musste ja nicht jeder mitkriegen, was wir zu bereden hatten.

„Es tut mir leid...", nuschelte Marie so leise, dass ich sie kaum verstand. Mit noch immer hängendem Kopf und vor der Brust verschränkten Armen stand sie wie ein Häufchen Elend vor mir und schien gerade nicht wirklich zu wissen, wohin mit sich. Vorsichtig trat ich noch einen Schritt auf sie zu und nahm sie einfach in den Arm. „Mir tut es auch leid, ich hätte nicht sagen sollen, dass es das nicht wert ist. Natürlich ist es das alles wert und ich bin so stolz auf dich, dass du das mit der Uni alles so durchziehst und nebenbei dieses chaotische Leben mit mir lebst!", flüsterte ich ihr ins Ohr und streichelte ihr sanft über den Rücken. Es tat mir wirklich leid, dass ich das gesagt hatte, und ich wollte jetzt auch nicht mit ihr streiten, wenn sie sowieso schon so viel Stress hatte. „Trotzdem hätte ich dich nicht so anfahren dürfen... aber deine Worte haben mich echt verletzt und ich hab' mich so in die Enge getrieben gefühlt...", fuhr sie fort und ich konnte die Schuldgefühle in ihrer Stimme hören, „... ich will doch nur alles richtig machen und irgendwie allem, was mein Leben ausmacht, gerecht werden. Und irgendwie schaff' ich das gerade einfach nicht und ich weiß nicht, wie ich das alles unter einen Hut bringen soll... ich kann die Uni einfach nicht so vernachlässigen, aber gleichzeitig hab' ich Angst, dass ich dir dabei nicht gerecht werden kann und das alles belastet mich so sehr..." Bevor sie weiterreden konnte, legte ich meine Hand unter ihr Kinn, hob ihren Kopf etwas an und beugte mich zu ihr herunter, um meine Lippen auf ihre zu pressen und sie damit zum Schweigen zu bringen. Ich konnte es nicht ertragen, dass sie all das sagte und sich so sehr den Kopf zerbrach. Wann hatte ich ihr das Gefühl gegeben, dass sie mir nicht gerecht werden konnte? Wenn dann war es doch eher andersrum, oder?

Seit du bei mir bist, fehlt mir nichtsOù les histoires vivent. Découvrez maintenant