Kapitel 212

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Marie

„Was?!", sagte ich aufgebracht und überfordert und hielt Lena mein Handy hin, sodass sie auch lesen konnte. Innerlich brach ich gerade komplett in Panik aus. Was war passiert? Warum musste die Halle evakuiert werden? Was war mit Wincent und der Crew? Warum meldete sich keiner von ihnen? Ging es ihnen gut? Waren sie in Gefahr? All diese Fragen prasselten gerade ungefiltert auf mich ein und ließen mich innerlich durchdrehen. „Hey, beruhige dich bitte wieder, ja? Es bringt uns hier gerade nichts, wenn du jetzt völlig abdrehst...", versuchte meine beste Freundin mich wieder auf den Boden zu holen und zog mich fest in ihre Arme. „Aber... was, wenn... wenn irgendwas Schlimmes passiert ist? Wenn Wincent in Gefahr ist?!", brachte ich stockend hervor und bei dem Gedanken daran wurden meine Augen direkt feucht. „Daran denken wir jetzt gar nicht erst!", sagte Lena streng und strich mir über den Rücken, „Es ist bestimmt alles gut und nur gerade etwas chaotisch, sodass niemand Zeit hat, ans Handy zu gehen!"

Ich wollte ihr ja wirklich gerne glauben, aber vor meinem inneren Auge spielten sich gerade die schlimmsten Szenen ab bis dahin, dass da jemand mit einer Waffe umherlief und es auf meinen Freund abgesehen hatte. Und je mehr ich versuchte, diese Bilder aus meinem Kopf zu verdrängen, desto hartnäckiger drängten sie sich mir auf. Ich klammerte mich an meine beste Freundin und konnte nicht in Worte fassen, wie froh ich war, dass sie gerade hier war und ich nicht allein mit meiner Angst sein musste. Immer wieder sah ich auf mein Handy, öffnete Instagram und hoffte auf irgendwelche Neuigkeiten. Aber nichts, alles blieb stumm. Und das machte mich wahnsinnig!

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als endlich der erlösende Moment kam und mein Handy klingelte. Amelie. „Na endlich! Amelie, was ist passiert?! Geht's euch gut?!", ging ich ran und konnte das Zittern in meiner Stimme nicht verhindern. „Hey Süße! Bitte beruhig' dich, uns geht's gut", erklang da allerdings die Stimme meines Freundes, was mich vor Erleichterung aufschluchzen ließ. „Wincent!", heulte ich vor Erleichterung und brachte nun gar nichts mehr zustande, so froh war ich, seine Stimme zu hören.

Lena nahm mir dann mein Handy aus der Hand und stellte auf laut, nachdem sie Wincent kurz begrüßt hatte. „Hört zu: Es gab hier irgendwie einen Kurzschluss, wodurch der Feueralarm ausgelöst wurde, und die Halle evakuiert werden musste. Das ganze Team wurde direkt über den Hinterausgang rausgebracht, uns geht's gut, nur mein Handy liegt noch da drin, weswegen ich mich nicht früher melden konnte... aber bei den Fans..." Er schluckte. „Was? Was ist mit den Fans?", wollte ich wissen und ahnte Böses. „Naja, es war dunkel in der Halle und irgendwie ist dann Panik ausgebrochen und einige haben es nicht unbeschadet aus der Halle rausgeschafft...", berichtete er und ich spürte direkt, wie sehr ihn das mitnahm. „Scheiße! Wie schlimm?", fragte ich nur. „Keine Ahnung... wissen wir noch nicht, die Situation ist noch viel zu unübersichtlich...", murmelte er nur und es brach mir das Herz, jetzt nicht für ihn da sein zu können.

„Bitte hör auf zu weinen, Süße!", bat er mich verzweifelt, als ich nach einigen Sekunden der Stille noch immer vor mich hin schluchzte. „Ich... es... es tut mir leid... ich bin nur einfach so... so froh, dass es dir gut geht!", erwiderte ich stockend und versuchte, meine Tränen unter Kontrolle zu bringen, „Ich will gerade am liebsten einfach nur bei dir sein!" „Hör zu! Sobald hier alles halbwegs geregelt ist, setz ich mich ins Auto und komm zu dir, okay?", sagte er eindringlich und wartete auf eine Antwort. „Nein! Ich will nicht, dass du nach diesem ganzen Chaos heute Abend so aufgewühlt noch Auto fährst! Am Ende passiert dir doch noch irgendwas und du kommst hier nie an...", entgegnete ich sofort und allein die Vorstellung ließ mir direkt wieder schwer ums Herz werden. „Aber ich brauch' dich nach diesem Abend genauso wie du mich... ich kann heute nicht allein bleiben...", gab er leise zu und ich merkte, wie viel Überwindung es ihn kostete, das jetzt hier im Beisein meiner besten Freundin zuzugeben, „Ich fahr vorsichtig, versprochen!" „Okay...", meinte ich nur sanft und war insgeheim doch auch froh, dass ich ihn dann nachher in die Arme schließen konnte. „Lena?", fragte Wincent dann, „Kannst du bitte dableiben, bis ich komme, und für sie da sein?" „Ja na klar! Mach dir da mal keine Sorgen, ich lass sie nicht allein!", erwiderte sie sofort und ich war ihr mehr als dankbar dafür. „Danke!", sagten Wincent und ich wie aus einem Mund, was mich doch kurz lächeln ließ.

Wir verabschiedeten uns dann, nachdem Wincent versprochen hatte, sich zu melden, bevor er losfuhr, und machten uns einen Film auf Netflix an. Von diesem bekam ich kaum etwas mit, weil ich mit den Gedanken die ganze Zeit beim heutigen Abend war, aber er überbrückte immerhin die erdrückende Stille, die hier sonst herrschen würde. Lena gab zwar ihr Bestes, dass ich etwas abgelenkt wurde, aber so richtig funktionierte das eben auch nicht. Als Wincent gegen elf Uhr schrieb, dass er sich jetzt auf den Weg machen würde, wurde ich immerhin ein klitzekleines bisschen entspannter, doch die Gedanken kreisten noch immer in meinem Kopf herum. „Komm her jetzt!", befahl Lena schließlich, als ich eine Weile rastlos durch die Wohnung getigert war, ohne Plan, wie ich die nächsten etwa vier Stunden füllen sollte, bis mein Freund endlich hier war. Sie klopfte auf den Platz neben sich auf der Couch und griff schon nach der flauschigen Kuscheldecke, die auf der Lehne lag.

Widerwillig setzte ich mich neben sie und ließ zu, dass sie die Decke über uns ausbreitete und mich in ihre Arme zog. So lagen wir eine Weile auf der Couch und redeten leise miteinander, bis mich die Müdigkeit dann doch schlagartig übermannte und ich an meine beste Freundin gekuschelt einschlief.

„Nochmal danke, dass du geblieben bist und sie nicht allein gelassen hast", drang eine leise, mir wohlbekannte Stimme langsam in mein Bewusstsein und als mein Gehirn sie zuordnen konnte, kam ich wieder zu mir. Ich schlug die Augen auf, stellte fest, dass ich immer noch mit dem Kopf auf Lenas Brust lag, und sah mich suchend um, bis ich ihn fand. Wincent stand noch halb im Flur, aber als er merkte, dass ich wach war, kam er schnellen Schrittes direkt zur Couch und hockte sich vor mich. Sofort setzte ich mich auf und warf mich in seine Arme. „Winnie...", schluchzte ich und vergrub mein Gesicht an seiner Brust, während er sofort seine Arme fest um mich schlang und mich einfach einen Moment festhielt. Ich konnte meine Tränen nun zum zweiten Mal an diesem Abend nicht zurückhalten und ließ ihnen einfach freien Lauf. Ich war gerade einfach so erleichtert, dass er unbeschadet hier bei mir war, und hätte ihn am liebsten nie wieder losgelassen! Wincent strich mir die ganze Zeit sachte über den Rücken, bis ich mich doch wieder einigermaßen beruhigte. „Ich hatte solche Angst um dich...", flüsterte ich an seiner Brust, bevor ich mich doch kurz von ihm löste, schließlich war meine beste Freundin auch noch da.

„Ich lass euch dann mal allein und mach mich auf den Weg nach Hause", meinte Lena dann auch gleich und suchte ihre Sachen zusammen. „Soll ich dich fahren? Dann musst du nicht mitten in der Nacht allein nach Hause...", bot Wincent ihr direkt an, doch sie wank ab. „Alles gut, ich glaube, ihr braucht euch gerade mehr... ich hab' es doch nicht allzu weit, das passt schon..." „Danke, dass du mich den ganzen Abend ertragen hast! Ich weiß, ich bin manchmal eine kleine Dramaqueen...", fiel ich ihr zum Abschied um den Hals und drückte sie fest an mich. „Hey, alles gut! Ich wär' in der Situation ganz sicher auch nicht ruhig geblieben. Das war selbstverständlich für mich, dass ich dich nicht einfach allein lasse!", erwiderte sie aber direkt und umarmte mich noch fester. „Danke!", wiederholte ich nochmal und ließ sie dann los. Auch Wincent umarmte sie noch kurz und flüsterte ihr etwas ins Ohr, was ich nicht verstand, bevor sie sich dann wirklich verabschiedete.

Und sofort lag ich wieder in Wincents Armen und wollte ihn am liebsten nie wieder loslassen. „Komm, lass uns Zähne putzen und dann schlafen gehen...", murmelte er dann und schob mich langsam Richtung Bad. Kurze Zeit später ließen wir uns erschöpft ins Bett fallen, wo Wincent sofort die Decke über uns zog und sich eng an mich kuschelte, während er sein Gesicht in meiner Halsbeuge vergrub und einmal tief durchatmete, als ein Zittern durch seinen Körper ging. Und in diesem Moment wurde mir erstmal so richtig bewusst, was auch er heute Abend eigentlich erlebt hatte und durchmachen musste. Und sofort hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich darauf gar keine Acht gegeben hatte, sondern mich direkt in seine Arme geworfen und mich von ihm hatte beruhigen lassen. Dabei war er ganz sicher alles andere als ruhig gewesen die ganze Zeit und war nur für mich stark geblieben.

Sofort schlang ich meine Arme um seine breite Brust und presste ihn eng an mich, als ich merkte, dass seine Mauer gerade bröckelte. „Erzähl es mir! Ich bin für dich da, wenn du darüber reden willst, um das alles zu verarbeiten...", flüsterte ich und strich ihm sanft über den Rücken. Ich schob meine Angst, die mich den ganzen Abend gequält hatte, beiseite, schließlich war er jetzt endlich hier bei mir, und konzentrierte mich komplett auf meinen Freund, der hier stumm in meinen Armen lag und sich fest an meinen Körper drückte. Ich spürte, wie aufgewühlt er gerade war und versuchte einfach jetzt für ihn da zu sein, wenn ich es schon vorhin nicht konnte. Und obwohl es mittlerweile schon halb vier Uhr morgens war, war an Schlaf gerade nicht zu denken. Dazu waren wir beide viel zu aufgewühlt. „Wie soll ich damit klarkommen, dass wegen mir Menschen verletzt wurden?", flüsterte er plötzlich so leise, dass ich ihn kaum verstand, und der Schmerz in seiner Stimme brach mir das Herz.

Seit du bei mir bist, fehlt mir nichtsWhere stories live. Discover now