Kapitel 219

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Marie

„Guten Morgen, Süße! Aufwachen, es ist Weihnachten!", wurde ich von einem aufgeregten Wincent geweckt. Ich blinzelte kurz und warf einen Blick auf die Uhr. „Es ist gerade mal halb acht, warum bist du schon wach?", brummte ich verschlafen und vergrub mein Gesicht wieder im Kissen. „Na weil heute Weihnachten ist!", strahlte er aufgeregt wie ein kleiner Junge. Und normalerweise hätte ich seine Begeisterung vermutlich richtig süß gefunden, aber gerade war ich einfach nur müde und wollte noch ein bisschen vor mich hin dösen. „Bis dahin ist noch ein bisschen Zeit, komm kuscheln...", murmelte ich und zog ihn am Arm näher zu mir, um seine Körperwärme spüren zu können. „Ey, mein kleiner Grinch, was ist los?", lachte er nur, während er sich an meinen Rücken kuschelte und fest seinen Arm um meine Mitte schlang. Ich seufzte nur zufrieden und genoss seine sanften Streicheleinheiten auf meiner Haut, die mich so schläfrig werden ließen, dass ich wirklich nochmal richtig einschlief.

Als ich wieder wach wurde, war die andere Seite des Bettes leer und ich allein. Ich seufzte. Hatte er es also doch nicht mehr ausgehalten und machte vermutlich oben schon Shay und Angela völlig verrückt mit seiner aufgedrehten Laune. Beim Gedanken daran musste ich leicht schmunzeln. Ich liebte es, dass er in solchen Momenten immer noch den kleinen Jungen in sich trug, der so leicht zu begeistern war. Ich hoffte, er würde diese Art niemals verlieren!

Und obwohl heute Weihnachten war und ich mich eigentlich wirklich freute, bei Wincent und seiner Familie zu sein, war ich gerade doch irgendwie nicht komplett glücklich. Es war eben trotzdem mein erstes Weihnachten ohne meine Familie und das fühlte sich gerade irgendwie falsch an. Ich wusste zwar, dass meine Eltern eh nicht zuhause waren und ich somit auch mein gewohntes Weihnachtsfest nicht verpassen würde, aber irgendwie drängten sich mir gerade trotzdem die Gedanken auf, dass ich doch wenigstens die Zeit mit meinen Großeltern hätte verbringen sollen. Und irgendwie fühlte ich mich jetzt schuldig, weil ich meiner Familie sozusagen den Rücken gekehrt hatte. Seufzend drehte ich mich noch einmal um und vergrub mein Gesicht in Wincents Kopfkissen, wo ich seinen typischen Geruch einatmete und versuchte, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, was mir zum Glück auch gelang. Ich wollte nicht immer gleich losheulen.

Ich hing eine Weile meinen Gedanken nach und versuchte mich damit abzufinden, dass ich meine Entscheidung nun für dieses Jahr nicht rückgängig machen konnte, als sich plötzlich die Matratze hinter mir absenkte, als sich jemand an die Bettkante setzte. Ich spürte sofort, dass es Wincent war, schon bevor er das Wort ergriff. „Hey, willst du gar nicht aufstehen?", sagte er leise und strich mir über den Kopf. „Doch, ich komme schon... wie spät haben wir's?", erwiderte ich und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen mit den düsteren Gedanken, die gerade so gar nicht zur weihnachtlichen Vorfreude meines Freundes passten. „Gleich halb zehn, Mum deckt gerade den Frühstückstisch...", meinte er und lächelte mich an, als ich mich schließlich aus der Decke wühlte und aufstand. „Ich bin sofort bereit, lass mich nur kurz ins Bad", gähnte ich, gab ihm einen kurzen Kuss, schnappte mir ein paar Klamotten und schlurfte erstmal nach oben ins Bad, bevor ich mich ein paar Minuten später zur Familie Weiss an den Frühstückstisch setzte und versuchte, mich von der festlichen Stimmung im Haus anstecken zu lassen.

Als Wincent später kurz unter der Dusche verschwand, zog ich mich allerdings wieder nach unten in sein Zimmer zurück, nahm mein Handy in die Hand und schrieb eine Nachricht in unsere große Familiengruppe bei WhatsApp, in der ich allen schöne Weihnachtstage wünschte und mich darauf freute, sie hoffentlich bald wiederzusehen und dass ich sie vermisste. Innerhalb kürzester Zeit kamen auch die ersten Antworten mit lieben Wünschen und dass sie mich auch alle vermissten und das ließ dann irgendwie doch wieder meine Emotionen hochkochen. Der Bildschirm meines iPhones verschwamm vor meinen Augen, als ich hier einfach an der Bettkante saß und einzelne Tränen begannen über meine Wangen zu laufen.

„Hey, was ist los? Warum weinst du?", fragte Wincent sofort alarmiert, als er mit noch feuchten Haaren und nur mit einem Handtuch um die Hüften kurz darauf das Zimmer betrat und mit zwei großen Schritten bei mir war und sich vor mir hinhockte. Ich konnte gerade nichts sagen und wischte mir einfach nur die Tränen weg. Wortlos zog Wincent mich in seine Arme und strich mir beruhigend über den Rücken, während ich mich an ihn kuschelte und ein-, zweimal leise schluchzen musste. Ich hatte noch immer mein Handy mit dem offenen Chat in der Hand, welches er jetzt sanft an sich nahm und einen Blick darauf warf. „Wärst du gerade lieber bei deiner Familie?", fragte er vorsichtig und drückte mich ein wenig von sich weg, um mich ansehen zu können. Doch ich konnte ihm nicht in die Augen sehen und auch nicht auf seine Frage antworten. Klar wäre ich gerade gerne bei meiner Familie, aber eigentlich war ich doch auch genauso gerne hier bei ihm. „Ich... keine Ahnung... ich bin wirklich gerne hier, aber es ist eben auch mein erstes Weihnachten ohne meine Eltern und Großeltern...", murmelte ich dann und hoffte, er würde mich verstehen.

„Das ist doch total verständlich, warum sagst du nichts?", flüsterte er und wischte mir erneut mit dem Daumen die Tränen von der Wange. Ich zuckte nur mit den Schultern, ich wollte doch einfach nur die Stimmung nicht ruinieren. „Was hältst du davon, wenn ich mir demnächst mal studiofrei nehme und wir deine Familie besuchen, sobald es zeitlich bei allen passt?", schlug er leise vor und streichelte sanft über meine Haut, was mich wirklich beruhigte und ich mein Gesicht mehr in seine Hand schmiegte. „Okay...", hauchte ich nur und schloss kurz die Augen. Ich lag noch ein paar Minuten in Wincents Armen, bis ich mich schließlich von ihm löste und ihn wieder freigab. Schließlich hockte er noch immer nur im Handtuch bekleidet hier vor mir. „Kann ich noch ein paar Minuten für mich haben?", fragte ich leise und sah ihn unsicher an. „Klar. Ich zieh mir nur eben schnell was an und geh' dann hoch zu Mum und Shay. Nimm dir die Zeit, die du brauchst und wenn du soweit bist, komm einfach hoch, okay?" Ich nickte nur und hauchte ihm dankbar einen Kuss auf die Lippen.

Als er weg war, nahm ich mir wirklich noch ein paar Minuten für mich und sortierte meine Gedanken, bevor ich schließlich auch duschen ging und mich dann zu den anderen ins Wohnzimmer gesellte, wo auch sofort die beiden Katzen auf meinem Schoß saßen und sich von mir verwöhnen ließen. Und spätestens da konnte ich auch wieder ehrlich lächeln.

Es dauerte dann auch nicht mehr allzu lange, bis sich unsere kleine gemütliche Runde auflöste und wir uns alle daran machten, uns umzuziehen. Wincent und ich gingen also wieder nach unten, wo ich ihn erst einmal dabei beobachtete, wie er sich eine seiner schickeren schwarzen Stoffhosen und ein schwarzes Hemd anzog, während ich nebenbei meine eigenen Klamotten zusammensuchte und mich umzog. „Wow, du siehst wunderschön aus!", murmelte Wincent kurze Zeit später, als auch ich fertig geschminkt und umgezogen in einem bordeauxroten, figurbetonten Langarm-Strickkleid und einer schwarzen Strumpfhose vor ihm stand und wir uns beide im Spiegel betrachteten, während er hinter mir stand und locker die Arme um mich gelegt hatte. „Du siehst aber auch zum Anbeißen aus", biss ich mir auf die Lippen und drehte mich zu ihm um, um meine Hand auf seine Brust zu legen und sanft über den Stoff seines Hemdes zu streichen. „Hör auf, mich so anzusehen...", murmelte Wincent nur und drückte mir einen kleinen Kuss auf die Wange, als es oben an der Haustür klingelte und sich damit wohl seine Großeltern ankündigten, die natürlich am Weihnachtsabend nicht fehlen durften. Und damit schnappte er sich meine Hand und zog mich sanft, aber voller Vorfreude aus dem Raum und die Treppe hoch, wo wir schon aufgeregtes Gemurmel hören konnten.

Seit du bei mir bist, fehlt mir nichtsWhere stories live. Discover now