10. Rettung (Marks POV)

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Ich warf Damian einen genervten Blick zu, als er so früh am Morgen mit seiner elendigen Musik mal wieder das ganze Haus beschallte. Er quittierte meinen Blick damit, dass er wenigstens die Lautstärke etwas regulierte.
Kurz dachte ich, ein Poltern aus Samias Zimmer gehört zu haben aber vermutlich war das eine Einbindung gewesen, denn ich lauschte schon seit Stunden angespannt, ob sich etwas bei ihr tat. Ich wollte sie nämlich möglichst ruhig in den Tag starten lassen ohne, dass einer von uns gleich um sie herum war. Vielleicht half ihr das um sich ein wenig mit der neuen Station zurecht zu finden.
Gerade wollte ich in mein Arbeitszimmer gehen, da hörte ich das leise Rauschen der Dusche. „Sie duscht? Freiwillig gleich am ersten Tag? In einer so fremden Umgebung und Situation?" auch meine Kollegen tauschen verwirrte Blicke. Skeptisch zog ich meine Augenbrauen zusammen und widerstand dem Drang nach oben zu gehen um nach dem Rechten zu sehen.
Auch nach zehn Minuten tat sich oben nichts weiter außer dass das Wasser noch immer lief. Frauen können stundenlang duschen aber ich wurde das ungute Gefühl nicht los, dass da irgendwas nicht stimmte. Nachdem ich weitere fünf Minuten unruhig auf und ab getigert war, schlug Stefan mir auf die Schulter. „Das kann man ja nicht mit ansehen, man! Jetzt lass uns schon hochgehen und schauen. Nicht, dass die Kleine Mist baut oder schon über alle Berge ist." Wir setzten uns in Bewegung. „Die baut so schnell keinen Mist und wenn sie sich von hier entfernt hätte, wüsste ich das doch schon längst!" zischte ich gereizt. „Du hättest ihr denn Sender gleich unter die Haut jagen sollen und das Mini-Ding nicht nur an ihrer Kette anbringen sollten. Was ist wenn sie die Kette doch entgegen deiner Vermutung mal ablegen sollte?" „Das wird sie nicht." Wir waren vor ihrer Tür angekommen und ich bedeutet Stefan, draußen zu warten. Als ich die Tür zu dem Gästezimmer öffnete, konnte ich ihr gedämpftes Weinen vernehmen. Automatisch beschleunigten sich meine Schritte auf dem Weg zum Bad. Ich klopfte. Keine Reaktion. Ich klopfte nochmal etwas lauter, damit sie die Chance hatte gegen mein Eintreten zu protestieren, doch wieder geschah nichts. Nichtmal das weinen verstummte. Entschlossen stieß ich die Tür auf und erstarrte augenblicklich als ich Samia erblickte. Sie hockte zusammengekauert auf dem Boden in der Dusche, das Gesicht in ihren kleinen Händen vergraben. Ihre Kleidung hatte sie noch an und diese war komplett getränkt. Dieser Anblick versetzte mir einen Stich, ein neues Gefühl für mich. Dann weckte jedoch der Boden der Dusche meine Aufmerksamkeit als ich das ganze Blut entdeckte. „Fuck! Flucht ich laut und setze dann hinterher: „Stefan hol Aiden, schnell!"
Augenblick war ich aus meiner Starre erwacht und überbrückte die letzten Meter zu ihr mir wenigen Schritten. In der Dusche angekommen, trafen mich die ersten Wassertropfen und ich erschrak. Das Wasser war eiskalt! Sofort drehte ich die Temperatur hoch und blickte auf das Häufchen Elend unter mir. Erst jetzt bemerkte ich die unnatürlich blasse Hautfarbe, die an einigen Stellen schon bläulich schimmerte. Ich legte vorsichtig eine Hand auf ihren Arm um sie nicht zu erschrecken. Ihre Haut war eiskalt und Samia zeigte keinerlei Reaktion auf meine Berührung. Einzig und allein ihr leises Schluchzen zeigte mir, dass sie noch bei Bewusstsein war. „Wo kommt das ganze Blut her?" sprach ich mehr zu mir selbst als zu der Frau vor mir. Ich scannte sie mit meinem Blick ab und diese blieb an ihrer rechten Schläfe hängen. Zwischen ihren Fingern floss Blut hervor. Behutsam versuchte ich ihre Hand von ihrem Gesicht zu lösen und endlich zeigte sie eine Reaktion. Erschrocken nahm die junge Frau ihre Deckung runter und als sie mich nach viel zu langen Sekunden vor sich ausmachte, weiteten sich ihre Rehaugen und ihr Zittern verstärkte sich, wenn möglich noch mehr. „Es tut mir leid!" flüsterte sie erstickt, sodass es durch das Rauschen des mittlerweile warmen Wasser kaum zu hören war. „Es tut mir leid! Es tut mir leid Mark!" sprach sie weiter, wie ein Mantra, immer und immer wieder. „Ich wollte das nicht! Es tut mir leid aber bitte tu mir nicht weh!" verzweifelt sah sie mich an und ich hatte keinen blassen Schimmer was sie meinte.
„Ich tue dir nicht weh, beruhig dich!" vorsichtig drehte ich ihren Kopf ein wenig zur Seite um die Wunde besser sehen zu können. Samia wimmerte auf, doch Ich vermutete mehr aus Angst als vor mir als wegen der Schmerzen.
Reflexartig klammerte sie sich an meinen Unterarm als könne sie mich dadurch von weiteren Berührungen abhalten und ich musste mir ein Schmunzeln über diese Geste unterdrücken. Als ich die Wunde betrachtete, war mir nicht mehr nach einem Grinsen zumute. Samia hatte sich, wie auch immer sie das geschafft hatte, eine beinahe 2 Zentimeter lange Platzwunde zugezogen. Das sah übel aus.
Endlich hörte ich hinter mir Schritte und Aiden tauchte kurz darauf neben mir auf. Samia verspannte sich merklich, doch verhielt sich ansonsten still. Kritisch beäugte sie den Mann und verfolgte jede seiner Bewegungen. Aiden warf mir einen fragenden Blick zu und ich wusste, dass die Situation schon ungewöhnlich war. Samia und ich waren beide klatschnass, doch das war mir egal. Sie musste schnellstens wieder warm werden und die Wunde muss versorgt werden. Aiden griff nach Samias schlanken Arm, vermutlich um ihre Körpertemperatur zu überprüfen. Die junge Frau schreckte vor der plötzlichen Berührung zurück und wollte aufstehen, doch ich drückte sie an der Schulter mit Leichtigkeit zurück auf den Boden. „Du bleibst schön sitzen. Aiden ist Arzt also lass ihn die Wunde versorgen." fuhr ich die junge Frau harscher an als ich es eigentlich wollte. Schuldbewusst senkte sie den Kopf aber ließ Aiden gewähren. Mein Tonfall muss ihr gezeigt haben, dass ich keinerlei Widerspruch dulde und ich war froh, dass sie einfach auf mich gehört hatte. "Braves Mädchen!" lobte ich sie gedanklich. Aiden hatte das Wasser abgestellt und begutachtete gerade Samias Wunde. Sie ließ es über sich ergehen, doch ihre Hände, die sich noch immer an meinen Unterarm klammerten und deren Griff sich deutlich verstärkt hatte, verrieten wie sehr ihr die Berührungen des fremden Mannes missfielen. Ich war mir ziemlich sicher, dass ihr nicht bewusst war, dass sie sich an mir festhielt und da sie mir, gerade in ihrem aktuell geschwächten Zustand, eh nicht wehtun konnte, ließ ich sie gewähren.
„Sie ist völlig unterkühlt und hat einiges an Blut verloren. Wir müssen sie nachher in trockene Klamotten stecken aber erstmal geht die Wunde vor. Ich kann die wahrscheinlich kleben, aber dafür muss sie hier aus der Dusche raus." sagte Aiden ruhig. Natürlich war er ruhig. Die kleine Wunde war im Vergleich zu den Dingen, die er sonst sah wahrscheinlich nichtmal ein Kratzer.
Ich bedeute Stefan mit einer knappen Kopfbewegung, die Handtücher aus dem Regal herzubringen. Gleich darauf griffen Aiden und ich der jungen Frau jeweils unter einen Arm und zogen sie auf die Beine. Die plötzliche Nähe zu uns behagte Samia ganz und gar nicht und ich spürte förmlich, wie sie überlegte wie sie von uns wegkommen konnte und sich Widerstand in ihr regte. „Keine Chance, Kleine! Versuch erst gar nicht dich zu wehren. Du solltest so langsam begriffen haben, dass du uns mehr als nur unterlegen bist. Und es sollte in deinem eigenen Interesse sein, dass wir dich nicht zwingen müssen." Samia blickt mich ertappt und eingeschüchtert von meiner Standpauke an und eine Träne löste sich aus ihrem Auge. Ergeben ließ sie sich in ein Handtuch wickeln und abführen. Im Behandlungsraum, wie Aiden sein Arbeitszimmer zu nennen pflegte, hob ich Samia auf die Liege, doch wich ihr nicht von der Seite. Ihr Kampfgeist war noch nicht gebrochen, das war mir klar. Sobald die Panik in die junge Frau zurückkehren würde, war es eine Frage der Zeit bis diese Panik die Oberhand über die Angst vor uns wiedergewinnen würde.
Aiden kam mit einer aufgezogenen Spitze und anderen Materialien zurück, stellte die Schale am Fußende der Pritsche ab und setzte sich auf einen Rollhocker und nahm die Spritze in die Hand bevor er zu uns herüberrollen wollte.
„Ich betäube sie jetzt erstmal, damit ich in Ruhe arbeiten kann."
Ich hatte gehofft er würde es nicht aussprechen oder einfach behaupten, dass in der Spritze nur leichte Schmerzmittel oder ähnliches waren, denn ich wusste was jetzt kam.
Innerhalb von dem Bruchteil einer Sekunde hatte Samia erschrocken die Luft eingesogen und war aufgesprungen. Doch noch ehe ihre Füße Kontakt zum Boden gehabt hätten, fing ich sie mit einem gezielten Griff um die Taille ab und verfrachtete sie zurück auf die Liege, diesmal jedoch nicht erneut in eine sitzende sondern direkt in eine liegende Position. Gekonnt fixierte ich sie teils mit meinen Armen, teils indem ich mich sie seitlich auf ihrer Hüfthöhe über sie legte, auf der Liege. Samias Atem ging hektisch und sie wimmerte verzweifelt. „Bitte nicht! Bitte betäubt mich nicht schon wieder! Ich möchte wach bleiben! Lass mich los! Bitte lass mich einfach los!" brach es dann plötzlich aus ihr heraus. Mit vermutlich ihrer ganzen Kraft, von der Panik getrieben, versuchte sie mich wegzuschieben und ihre Arme freizubekommen um zu flüchten. Ich musste kaum einen meiner Muskeln überhaupt anspannen. „Sie ist und bleibt schwach." stellte ich fest doch ich konnte ihre Panik bei dem Gedanken an die Betäubung verstehen. Dann konnte sie sich nicht wehren, wusste nicht was mit ihr geschieht, war uns schutzlos ausgeliefert. „Es reicht!" bluffte ich sie gezielt laut an. Augenblick erstarrte die Frau unter mir und ihr Blick flackerte ängstlich. Ich konnte ihr ansehen, wie sie ihren Ausraster bereute und nun hoffte, dass es keine Konsequenzen haben würde.
„Ich biete dir einen Deal an. Solange du nicht auch nur den kleinsten Muskel bewegst, darfst du wach bleiben. Hältst du dich aber nicht an die Regel, bekommst du ohne weitere Diskussion die Spritze und zwar mit der vollen Dosis und wirst den Rest des Tages weg sein. Verstanden?"
Samia überlegte gar nicht lange sondern nickte sofort eifrig.
„Ob du das verstanden hast, habe ich dich gefragt!" setze ich lautstark hinterher um ihr ein für alle Mal klar zu machen, dass jetzt definitiv nicht mehr mit mir zu spaßen war.
„J-ja ich habe verstanden!" stotterte die junge Frau brav. „Na geht doch!" lobte ich sie streng aber weniger harsch als vorher.
Aiden kam mit seinem Material herüber und beugte sich gleich zu Samias Gesicht herunter. Ich blieb unverändert sitzen und fixierte die Frau weiterhin für alle Fälle doch ich war mir sicher, dass ich sie genug eingeschüchtert war als dass sie es wagen würde, sich zu bewegen. Mir war klar, dass Samia alles tun würde, um nicht erneut ohne jegliche Kontrolle ausgeknockt zu sein.
Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, ließ sie die Behandlung über sich ergehen. Die Schmerzen , die sie unweigerlich haben musste, schienen nichts im Gegensatz zu der Angst zu sein, die sie vor uns hatte. Als Aiden zufrieden mit seinem Werk war und die Blutspuren weggewischt hatte, gab ich Samia frei. Sofort atmete sie zitternd aus und richtete sich auf. Sie mied meinen Blick.
Ich wusste, dass ich härter zu ihr war als sie vertrug aber es war nötig um sie ruhig zu stellen.
„Sie muss jetzt raus aus den nassen Klamotten." befahl Aiden und Stefan übergab einen Stapel Kleidung, den er offensichtlich in der Zwischenzeit besorgt hatte.
„Was kleineres habe ich nicht gefunden." stellte er emotionslos fest bevor er wieder verschwand.
Ich legte die Kleidung neben Samia auf die Liege und stand auf. „Du hast fünf Minuten und wehe du lässt was von dem nassen Zeug an. Dann ziehe ich es dir eigenhändig aus und ich glaube nicht, dass du das willst." drohte ich ihr und verließ dann mit Aiden den Raum.
Dieser sah mich draußen mit einer hochgezogenen Augenbraue an und deutete auf seine Schläfe „Wie hat sie das geschafft?" fragte er mich und ich schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich weiß es noch nicht aber das kriege ich aus ihr heraus." stellte ich klar. Dann zog ich mich selbst um, denn Stefan hatte auch für mich trockene Sachen mitgebracht.
Nachdem die Zeit vergangen war, die ich Samis zum umziehen gegeben hatte, betrat ich den Behandlungsraum wieder. Als mein Blick auf die Entführte fiel, musste ich grinsen. Sie saß in den viel zu großen Klamotten auf der Pritsche und ließ mit gesenktem Blick die Beine baumeln.
„Süß!" stellte ich gedanklich fest und nahm mir vor, sie öfter in unseren Pullis rumlaufen zu lassen. „Das mögen Frauen doch oder nicht?." dachte ich mir fies.

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