Kapitel 10

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Als ich im Badezimmer vor dem Spiegel stand und mich teilweise sogar auf die Zehenspitzen stellen musste, um auch die Enden meiner Haare zu locken, stellte ich fest, wie sehr ich die Schminkkommode in meinem alten Zimmer in New York vermisste, denn in das Zimmer, das ich hier hatte, passte diese nicht rein und so stand ich jetzt im Bad und hatte nach dem Locken der dritten Strähne schon keine Lust mehr.

Umso besser, dass ich mit dem Make Up schon fertig war, denn nachdem ich mich zusätzlich noch mindestens zweimal an dem heißen Lockenstab verbrannt hatte, hätte ich keinen Nerv mehr für irgendetwas anderes gehabt.

Aber mit dem Endergebnis war ich zufrieden. Es war nichts Besonderes, denn für irgendeinen Winterball, zu dem ich nicht mal wirklich gehen wollte, würde ich nicht meine gesamte Zeit vor dem Spiegel verbringen und mich fragen, wie ich dort am besten mit meinen Haaren und dem Make Up auffallen würde. Ich war nur froh, dass ich die Frisur und mein Make Up hinbekommen hatte, auffallen wollte ich damit auf keinen Fall.

Ich öffnete das Fenster im Badezimmer, nachdem man dort von dem vielen Haarspray schon fast keine Luft mehr kam, als ich etwas hörte. Anfangs konnte ich das Geräusch nicht genau identifizieren und war davon überzeugt, dass ich es mir einfach bildete, wie es viele Menschen taten, wenn sie alleine Zuhause waren, das passierte mir ständig, aber je lauter das Geräusch wurde, desto mehr hörte sich dieses nach Schritten an. Die einzige Person, die außer mir Zugang zu dieser Wohnung hatte, war meine Mutter und diese war längst auf der Arbeit, außerdem hätte ich sie hören können, wenn sie die Haustür geöffnet hätte, umso mehr war ich davon überzeugt, dass es nur meine Einbildung war.

Ohne weiter darüber nachzudenken, verließ ich das Bad, um mir mein Kleid in meinem Zimmer anzuziehen. Ich versuchte es, ich versuchte wirklich das Gefühl, beobachtet zu werden, zu verdrängen, aber erst als mein Kleid anhatte, merkte ich, wie schwer mein Atem geworden war und wie schnell mein Herz schlug, auf Dauer war diese ständige Aufregung bestimmt nicht gut für mich.

Ich zupfte das Kleid zurecht, während ich mich in dem Ganzkörperspiegel betrachtete und sicher ging, dass sowohl mein Make Up, als auch meine Haare noch richtig saßen.

In diesem einen, kurzen Moment hatte ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, dass mein Herz stehen blieb

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In diesem einen, kurzen Moment hatte ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, dass mein Herz stehen blieb. Mein Atem stockte und nach dem kurzen 'Aussetzer' meines Herzens raste es schnell als je zuvor, denn ich war nicht die einzige Person, die man in dem Spiegelbild sehen konnte. Wie immer schwarz gekleidet und dieselbe Körperhaltung, das Gesicht nicht richtig zu erkennen. Ich drehte mich um, so schnell wie möglich, aber er war weg.

"Lass es zu. Lass die Angst zu."

Niemand sprach, zumindest nicht wirklich. Es war wie eine Stimme in meinem Kopf, aber nicht meine eigene Stimme, nicht die Stimme, die ich sonst hörte. Es war eine dunkle, raue Stimme und ich schüttelte meinen Kopf, ein verzweifelter Versuch damit auch die Stimme in meinem Kopf loszuwerden, bis mir klar wurde, dass da keine Stimme in meinem Kopf war. Das konnte nicht möglich sein, oder? Noch nie in meinem Leben hatte ich diese Stimme gehört und warum auch immer ich sie mir jetzt plötzlich einbildete, es war nicht mehr, nicht mehr als meine Einbildung.

Einbildung, das war alles nicht real.

Ich griff nach meiner Jacke und betrachtete mich dann ein letztes Mal im Spiegel. Kein Mann, der plötzlich hinter mir auftauchte. Ich atmete aus. Mein Blick fiel auf meine Schulter, als ich den selben stechenden Schmerz verspürte, genauso wie vor einigen Tagen. Der Fleck, falls man das überhaupt noch so nennen konnte, war immer noch da, allerdings hatten sich um die Kreislinie herum Sonnenstrahlen verbreitet, so sah es zumindest für mich aus. Wie eine Art Sonne, die mir komischerweise sogar nicht unbekannt war. Ich musste sie irgendwo gesehen haben, andernfalls würde mir dieses Motiv nicht bekannt vorkommen und das beunruhigte mich genauso sehr wie die Sonne -oder was auch immer es darstellen sollte- auf meiner Haut. Das war definitiv nicht normal.

Der Schmerz war verschwunden und auch als ich die Stelle mit dem Zeichen berührte, spürte ich nichts, es fühlte sich an wie immer, mein Finger berührte meine Haut, kein Schmerz, nichts dergleichen.

Um zu vermeiden, dass noch irgendjemand auf diesen komischen 'Fleck' aufmerksam wurde, verdeckte ich diesen mit Make Up und hoffte, dass es den gesamten Abend über halten würde. Im Gegensatz zu dem Mann und den Stimmen in meinem Kopf war dieses Zeichen wirklich da. Es war direkt da, auf meiner Schulter und das schon seit Tagen. Ich spürte den Schmerz. War es möglich, dass man sich selbst Schmerzen einbildete? Wenn dem so war, dann ja, ich wurde endgültig verrückt.

Ich zog meine Jacke an und wie aufs Stichwort klingelte es an der Tür, als ich nach meiner kleinen Handtasche griff, in welcher ich beim Rauslaufen noch mein Handy verstaute.

Vor der Tür stand Josh, gekleidet in einem Smoking und ehrlich, dieser schicke Look stand ihm sogar, auch wenn solche Veranstaltungen laut seiner eigenen Aussage gar nicht sein Ding waren.

"Okay, eigentlich wollte ich dieses Du-siehst-wunderschön-aus-Zeug vermeiden, aber wow, du siehst wirklich toll aus", sagte er unter leichtem Lachen und ich dankte ihm, ebenfalls etwas lachend, während ich die Tür schloss und ihm zu seinem Wagen folgte. Dieser Abend konnte eigentlich nicht mehr schlimmer werden, nachdem ich vor einigen Minuten den Entschluss gefasst hatte, dass ich komplett verrückt wurde; ich sah einen Mann, aber nie sein komplettes Gesicht, bevor er nach einigen Sekunden wieder verschwand, ich hörte irgendeine komische Stimme in meinem Kopf, die mir das sagte, was ich vor einigen Tagen noch als Nachricht erhalten hatte und ich hatte irgendein Zeichen an meiner Schulter, das einfach dort aufgetaucht war oder immer noch auftauchte. Konnte es eigentlich noch schlimmer kommen?


Hunted | Dylan O'BrienWhere stories live. Discover now