Kapitel 26

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"Viel Spaß euch Beiden."

Meine Mutter zog mich in eine feste Umarmung und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Dann lächelte sie Dylan an, bevor wir die Wohnung verließen. 

Es fühlte sich schon fast falsch an auf eine Hochzeit zu gehen, während sich gerade all diese Dinge in der Stadt abspielten. Gestern war eine weitere Leiche gefunden worden, es war die Frau gewesen, die vermisst worden war. Ellas Eltern hingegen waren immer noch nicht aufgetaucht und nach meinem Gespräch mit Ella war ich ihr gegenüber noch misstrauischer als sonst. Die Liste der vermissten und toten Personen wurde von Tag zu Tag immer länger und länger. 

Und obwohl ich genau wusste, was los war, konnte ich nichts dagegen tun. Niemand konnte etwas dagegen tun. Wie lange würde das noch andauern? Wie viele Menschen sollten noch sterben? Würde das überhaupt irgendwann aufhören? 

"Wir sind zwei Tage nicht in der Stadt. Versuch zumindest diese zwei Tage nicht daran zu denken, was hier los ist. Keine Morde, keine vermissten Personen und keine Dämonen", unterbrach Dylan die Stille. Er musste gemerkt haben, dass ich in meinen Gedanken versunken war und zu erraten, über was ich nachdachte, war für ihn scheinbar keine sonderlich schwere Aufgabe gewesen. 

Seinen Ratschlag würde ich nur zu gerne in die Tat umsetzen. Vielleicht würde mir das vielleicht gar nicht so schwer fallen, wenn das Zeichen auf meiner Schulter sich endlich vervollständigen würde. Immer noch fehlte mir die Linie des Kreises und der Stern in der Mitte. Nur, weil ich diese zwei Tage lang nicht in Beacon Hills sein würde, hieß das nicht, dass ich damit auch von den Alpträumen, den Stimmen und dem Mann verschont bleiben würde. 

"Das lässt sich leicht sagen", gab ich schließlich zurück und fuhr mir mit einer Hand durch meine Haare, als diese anfingen mir ins Gesicht zu fallen.  

"Und leichter umsetzen als du denkst. Du musst dich einfach nur ablenken."

Mir würde schon allein ein Tag ohne diese ganze Dämonen-Sache reichen. Seit ich davon wusste, verging kein einziger Tag, an dem ich nicht daran dachte. Selbst, wenn ich nicht daran denken wollte, kam mir wieder derselbe Gedanke. Wie sollte ich das auch einfach vergessen -wenn auch nur für einen kurzen Moment?  

Einen kleinen Funken Hoffnung hatte ich dennoch. Wir wären fast fünf Stunden von Beacon Hills entfernt. Den Namen der Stadt, in welcher seine Tante wohnte, hatte ich schon längst vergessen. 

Zumindest während der Autofahrt war ich mit meinen Gedanken nicht bei dieser Sache. Wenn Dylan und ich nicht gerade am Reden waren, dann war es die laute Musik und Dylans grauenvolles Mitsingen, das es eigentlich unmöglich machte, wieder an all die Dinge zu denken, die in Beacon Hills passierten. Selbst der Stau, in welchem wir eine Stunde lang standen, verschlechterte meine Laune nicht. Kaum zu glauben, wie schnell er es geschafft hatte, mich abzulenken. 

Und so verging die etwa fünfstündige Autofahrt um einiges schneller als ich anfangs gedacht hatte. 

"Ich kann die Tasche auch selbst tragen", sagte ich, nachdem ich aus dem Wagen gestiegen war und mich neben Dylan stellte, der gerade unsere Taschen aus dem Kofferraum holte. 

Seine Eltern waren bereits seit vorgestern hier, deswegen musste Dylan auch mit seinem eigenen Wagen hierher fahren. 

"Genauso wie ich", gab er zurück und schloss den Kofferraum, bevor er an mir vorbei auf das Haus zu lief, vor welchem er das Auto geparkt hatte. Zwar folgte ich ihm, aber in der Hoffnung, ihn damit irgendwie aufhalten zu können, sprang ich von hinten auf seinen Rücken, meine Arme dabei um seinen Hals und meine Beine um seine Hüfte geschlungen. Die einzige Reaktion, die ich daraufhin von ihm erhielt, war ein komisches, dumpfes Geräusch und ein Kopfschütteln. 

Aber er lief einfach weiter. Zwei Taschen in seinen Händen und ich auf seinem Rücken. Zwar war sein Gang deutlich langsamer als zuvor, aber er ließ sich nicht von mir abhalten. 

Wir standen noch nicht mal richtig vor der Tür, als diese geöffnet wurde und kaum war das geschehen, sprang ich wieder hinunter und lächelte die Frau an, welche wahrscheinlich Dylans Tante war. Sie selbst schien sich ein Grinsen verkneifen zu müssen, als sie zwischen mir und Dylan hin und her sah. 

Sie begrüßte sowohl mich, als auch Dylan, welchen sie aber zusätzlich noch in eine Umarmung zog. Nicht, dass ich erwartete, ebenfalls eine Umarmung zu bekommen. Ich kannte diese Frau nicht und sie kannte mich nicht, weshalb sollte sie das also tun?

"Dylan!"

Es war die Stimme eines Mädchens und meine Vermutung, dass dieses Mädchen ein kleines Kind war, bestätigte sich, als dieses im nächsten Moment auf Dylan zu rannte, woraufhin er sie hochhob und ihr einen Kuss auf die Wange drückte. Ich war mir sicher, dass das die Tochter seiner Tante war, von der Dylan mir bereits erzählt hatte und direkt zeigte sich, wie sehr sie Dylan mochte und das beruhte scheinbar auf Gegenseitigkeit. Er lächelte das kleine Mädchen an und flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr, woraufhin sie kicherte und nickte. 

"Ich bin Jessica, Dylans Tante", stellte sich die Frau vor, die uns gerade eben die Tür geöffnet hatte. 

"Liv", gab ich zurück. Jessica war wirklich hübsch. Sie hatte diese schönen großen Augen und ein hübsches Lächeln. Ihre schulterlangen Haare passten perfekt zu ihrem schmalen Gesicht. Dylan hatte mir außerdem erzählt, dass das ihre zweite Hochzeit sein würde und sie 34 Jahre alt war. 

"Ihr seid zwar nicht lange hier, aber fühl dich wie Zuhause", sagte sie mir dann. "Das Essen sollte gleich fertig sein", fügte sie hinzu, bevor sie sich entschuldigte und dann in der Küche verschwand.

"Ich bin Diana", hörte ich die Stimme des kleinen Mädchens, die nun nicht länger in Dylans Armen war, sondern direkt vor mir stand und mir ihre Hand entgegen hielt, die ich schüttelte, während ich mich selbst vorstellte. Ich war froh, dass Diana scheinbar nicht eines dieser lauten und hyperaktiven Kinder war, die ich manchmal einfach nur erschlagen könnte. Ich war keiner dieser Kinder-Hassenden-Menschen, aber sie verschönerten mir nicht meinen Tag, wenn sie ohne jeglichen Grund durch die Gegend schrien. 

Dylan setzte sich mit Diana auf die Couch im Wohnzimmer, was ich ebenfalls tat, da ich nicht einfach tatenlos in der Gegend herumstehen konnte. Ich konnte sehen, das Diana sich zu Dylans Ohr beugte und ihm etwas einflüsterte, das ich scheinbar nicht hören sollte, aber sie redete gerade noch so laut genug, dass auch ich den Satz verstand.

"Deine Freundin ist wirklich hübsch."

Dylans Blick fiel auf mich und sein süßes Grinsen machte sich wieder bemerkbar, als er feststellte, dass ich Dianas Satz gehört hatte.

"Ich weiß", flüsterte er zurück, beabsichtigt laut genug, sodass auch ich es hören konnte. Ich beschloss, nicht zu widersprechen, was die Sache mit 'deine Freundin' anging, denn Dylan hatte es auch nicht getan und eigentlich hätte ich gar nicht hören sollen, was das kleine Mädchen ihm eingeflüstert hatte. 

"Das Essen ist fertig!"

Ich erkannte direkt die Stimme von Dylans Mutter, bewegte mich aber erst dann vom Fleck, als Dylan und Diana mir zeigten, wo das Esszimmer sich überhaupt befand. Am Tisch saßen bereits Dylans Eltern, welche mich und Dylan direkt begrüßten, als sie uns sahen, ein Mann -wahrscheinlich Jessicas Verlobter- und nun auch Jessica selbst, die das Essen gerade auf dem Tisch abgestellt hatte. 

"Willst du neben mir sitzen?", fragte mich das kleine Mädchen und selbst, wenn ich das nicht wollen würde, hätte ich schlecht nein sagen können. Deswegen setzte ich mich neben Diana, die sich wiederum neben ihre Mutter gesetzt hatte. Dylan saß gegenüber von mir neben seinem Vater.  Aus dem Augenwinkel konnte ich Dylan grinsen sehen, aber ignorierte es einfach; erst recht, weil ich genau wusste, dass dieses Grinsen mir gewidmet war. 

Ich war überrascht, wie angenehm das Essen verlief. Jessica und ihr Verlobter waren nett, es war nicht schwer, mit ihnen zu reden und Dylans Eltern kannte ich sowieso schon, denn wenn er gerade nicht bei mir Zuhause war, dann war ich diejenige, die ihn besuchte. Es war schon fast traurig, dass ich mich mit Dylans Verwandten besser verstand als mit meinen eigenen. Vielleicht lag es bei ihnen einfach in der Familie, dass man gut mit ihnen reden konnte, immerhin war das einer der Gründe, weshalb ich mich so gut mit Dylan verstand. 


Hunted | Dylan O'BrienWhere stories live. Discover now