Kapitel 19

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Mein Blick war auf die Tafel gerichtet, darauf wartend, dass Mr. Burrows den Raum betrat und mit seinem Unterricht anfing. Nicht, weil ich mich so sehr auf Mathe freute -sollte es irgendwann dazu kommen, dann sollte mich bitte irgendjemand umbringen- sondern weil ich mir sicher war, dass mein Glück bis jetzt noch von niemandem auf die letzte Mathestunde, in der ich aus dem Raum gerannt war, angesprochen hatte, bald schwinden würde. 

Und genau das passierte, als Ella das Klassenzimmer betrat und sich nicht auf ihren eigenen Platz setzte, sondern erstmal auf mich zugelaufen kam, als sie mich entdeckt hatte. Heute schien sie einen ihrer guten Tage zu haben, sie lächelte mich an und strahlte regelrecht positive Energie aus. Zu dumm, dass diese nicht auf mich wirkte, denn sie konnte so gut gelaunt und nett sein wie sie wollte, richtig mögen würde ich sie wahrscheinlich nie.

"Alles okay? Ich hab dir ein paar Mal geschrieben, aber keine Antwort bekommen."

"Ja, ich - mir ging es nicht wirklich gut. Ich war die letzten Tage nur im Bett", log ich. Ich hatte noch nie in meinem Leben geschwänzt, geschweige denn es gewollt. Ich hatte nicht wirklich einen Grund dazu, denn was brachte es? Nach draußen gehen konnte man sowieso nicht, wenn alle anderen noch in der Schule waren und man selbst sich eigentlich ebenfalls dort befinden sollte. Aber ich hatte so viel Zeit mit den Recherchen im Internet verbracht, dass ich nicht mal gemerkt hatte, wie wenig Schlaf ich in den letzten Tagen bekommen hatte, mal ganz abgesehen von den Alpträumen, die mich ebenfalls immer wieder aus dem Schlaf rissen -sofern ich diesen denn überhaupt mal bekam. 

Ich hätte in die Schule gehen können. Ich konnte ich ganz gut einschätzen und ja, den Tag hätte ich überstanden, aber wenn die Alternative war, dass ich einfach Zuhause blieb, dann war mir diese einfach lieber. 

"Ich dachte schon, dass-"

Mr. Burrows betrat das Raum und unterbrach Ella damit, die ihren Satz aber nicht mehr zu Ende sprach, sondern sich auf seine Forderung hin wieder auf ihren eigenen Platz begab. 

"Olivia, es ist schön, dich wieder hier zu sehen", sagte er nach der Begrüßung und schenkte mir dieses gruselige Lehrerlächeln, das bestimmt nett gemeint war, aber ehrlich, manchmal konnte es wirklich verstörend wirken, wenn ein Lehrer einen so anlächelte. Selbst wenn es ein junger, vielleicht etwas übermotivierter Lehrer wie Mr. Burrows war. 

Sein Lächeln verschwand genauso schnell wie es gekommen war, als er dann mit dem Unterricht fortfuhr und ich hatte glücklicherweise keine großen Schwierigkeiten, mich wieder einzufinden, denn während meiner Abwesenheit schien er keinen neuen Stoff angefangen zu haben. Vielleicht irrte ich mich aber auch, denn einen Großteil der Stunde verbrachte er damit zwei Schüler fertigzumachen, die es nicht zustande bringen konnten, die Aufgabe an der Tafel zu lösen. Zugegeben, ich hätte selbst etwas länger gebraucht, aber geschafft hätte ich es - ganz im Gegensatz zu den beiden Idioten, die tief durchgeatmet hatten, als sie sich endlich wieder auf ihren Platz setzen konnten. 

Von wegen die jungen Lehrer waren lockerer. 

"Habe ich gesagt, dass ihr schon einpacken dürft?"

Vielleicht hatte er heute einen schlechten Tag. Was auch immer mit ihm los war, er sollte es lieber nicht an mir auslassen. Von mir aus konnte er wieder die beiden Idioten fertigmachen oder irgendwelche Leute anschreien, weil sie ihre Sachen einpackten, obwohl der Unterricht noch nicht beendet war, zumindest nicht von ihm, den Gong hatte man nämlich schon gehört.

"Die Hausaufgabe steht an der Tafel und-" Er sah sich kurz um, bis sein Blick auf mich fiel. "Liv, ich würde gerne mit dir reden." 

Ich aber nicht mit Ihnen. 

Die meisten Schüler hatten den Raum bereits verlassen, als ich meine Tasche noch packte und dann anschließend auf Mr. Burrows zulief. Auf dem Weg dorthin sah mich Dylan, welcher gerade dabei war, den Raum zu verlassen, mit einem für mich undeutbaren Blick an. Entweder er wollte mir damit nur zeigen, dass er genauso wenig wie ich verstehen konnte, weshalb mein Mathelehrer mich noch sprechen wollte oder es war etwas anderes, auf das ich in diesem Moment einfach nicht kam. 

Hunted | Dylan O'BrienWhere stories live. Discover now