Epilog

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"Hören sie, Lady, das hier ist das letzte Kleid, das wir hier haben. Es gibt nur noch diese Größe und es tut mir wirklich leid, aber sie werden wohl oder übel werden müssen, bis wir die neue Lieferung bekommen", erklärte ich der älteren Dame, die einfach nicht sehen konnte -oder wollte-, dass wir das ach so tolle Kleid, welches sie unbedingt anprobieren wollte, einfach nicht  mehr in ihrer Größe hatten.

Seit ich diesen vor einigen Monaten angefangen hatte in diesem Klamottenladen zu arbeiten, um neben dem College noch etwas Geld verdienen zu können, liebte ich es hier zu arbeiten. Meine Chefin war toll, ich verstand mich hervorragend mit den anderen Mitarbeitern und hatte auch noch Spaß. Kunden wie dieser Dame stand ich selten gegenüber, aber selbst von ihr ließ ich mir den Tag nicht verderben. Mal abgesehen davon musste ich nett zu ihr sein, völlig egal, wie sehr sie mir auf den Geist ging, immerhin war sie trotz allem eine Kundin, die vorhatte ihr Geld hier auszugeben. 

"Wir haben aber ein ähnliches Kleid und ich glaube, die Farbe würde viel besser zu ihrem Hautton passen", fügte ich hinzu und schenkte ihr ein kurzes Lächeln, bevor ich nach dem gerade erwähnten Kleid suchte und es anschließend der Kundin präsentierte. Sie schien anfangs skeptisch, ließ sich aber dann von mir überreden, das Kleidungsstück zumindest anzuprobieren und schon in diesem Moment war ich mir ziemlich sicher, dass diese Anprobe im darauffolgenden Kauf des Kleides enden würde. 

"Liv?", hörte ich die Stimme von Monica, einer Mitarbeiterin und mittlerweile guten Freundin, nach mir rufen. Sofort fiel mein Blick zu der Kasse, denn genau dort befand sie sich auch. 

"Hier ist jemand, der dich sehen will!", erklärte sie mir und direkt stieg die Verwirrung in mir auf. Wer sollte mich besuchen kommen? 

Als ich meinen Blick dann von Monica abwendete, um die Person anzusehen, die vor der Kasse stand, stockte mir der Atem und ich schien an Ort und Stelle einfach festzufrieren. Zumindest für einige Sekunden lag, die sich für mich persönlich schon fast wie mehrere Stunden angefühlt hatten. 

Aber als ich mich dann wieder fassen konnte, vergaß ich alles um mich herum. Ich vergaß die Kundin, die Tatsache, dass ich gerade arbeitete und blendete all die anderen Menschen aus, die sich gerade in diesem Laden befanden. Ich konnte nur noch spüren, wie meine Beine mich regelrecht in seine Richtung bewegten und bevor ich richtig realisiert hatte, wie schnell ich doch auf ihn zugelaufen war, lag ich bereits in seinen Armen in einer festen Umarmung. 

Ein Jahr. Es war mittlerweile ein Jahr her. Der Kontakt war nie richtig abgebrochen. Wir hatten telefoniert und geschrieben, aber uns war von Anfang an bewusst gewesen, dass uns allein das für eine Beziehung nicht ausreichte. Natürlich könnte man sagen, dass es zum scheitern verurteilt war, mit dem Ex befreundet zu bleiben, aber ich konnte nicht einfach seine Nummer löschen und ihn vergessen. Das wollte ich nicht. Mit der Zeit waren es allerdings immer weniger Anrufe, immer weniger Nachrichten geworden. Ich wusste, wäre es so weitergegangen, dann hätten wir den Kontakt früher oder später doch noch verloren. 

Aber jetzt war er hier. Dylan war hier. In New York. Dylan war in New York.

"Du-was machst du hier?", war das erste, was ich sagen konnte, immer noch leicht unter Schock. Wir lösten uns nie richtig aus der Umarmung, ich hatte lediglich etwas Abstand genommen, um ihn ansehen zu können und stellte nur fest, dass er sich kaum verändert hatte. Er schien das mit dem Rasieren wohl gelassen zu haben -oder hatte einfach keine Lust- aber abgesehen davon sah er noch genauso aus, wie ich in vor etwa einem Jahr das letzte Mal gesehen hatte. 

"Mein Mädchen bei der Arbeit besuchen?", antwortete er mir, so als ob es vollkommen selbstverständlich wäre, dass er wie aus dem Nichts nach einem Jahr hier ohne jegliche Ankündigung auftauchte. Aber andererseits war es auch nicht selbstverständlich, dass ich direkt in seine Arme rannte, nachdem wir nicht nur immer näher dran waren, komplett den Kontakt zu verlieren, sondern uns auch noch getrennt hatten. Unsere komplette Situation war nicht normal, wenn man so darüber nachdachte. 

"Ganz zufällig weiß ich, dass du in zehn Minuten Schluss hast. Was hältst du davon, dir meine Wohnung anzusehen? Ich dachte mir, du könntest vielleicht-"

"Deine Wohnung? Hier...in New York? Du hast dir hier eine verdammte Wohnung gekauft?", unterbrach ich ihn und redete dabei ungewollt schneller als sonst, aber das war alles zu viel für mich, um es direkt verarbeiten zu können. Nicht nur, dass Dylan hier war, nein, er schien jetzt auch noch eine verdammte Wohnung hier zu haben. Das hieß, dass wir nicht mehr meilenweit voneinander entfernt waren. Das hieß, dass Anrufe und Nachrichten nicht länger die einzige Möglichkeit waren, den Kontakt aufrecht zu erhalten. 

"Wenn ich anfange hier zu arbeiten, dann wäre eine Wohnung in New York nicht schlecht, oder?"

Erneut fiel ich ihm um den Hals und konnte spüren, wie sich seine Brust auf und ab bewegte, als er anfing zu lachen. 

New York war immer toll gewesen. Meine Mom wohnte in der Nähe. Das College war noch besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte die Arbeit hier. Ich verstand mich sogar mit meiner Mitbewohnerin und hatte tatsächlich neben ihr auch viele andere Leute kennengelernt, die ich wirklich mochte. Dylan war das einzige, was mir gefehlt hatte. Ich hatte all diese Dinge und dennoch könnten sie genauso gut nichts bedeuten, wenn ich das nicht richtig mit ihm teilen konnte. Ich hatte ihm nicht nachgetrauert oder mich selbst bemitleidet, irgendwie musste ich mein Leben weiterleben, aber allein die Vorstellung ihn wieder bei mir zu haben, machte alles einfach tausendmal besser. 

"Ich schätze mal, dass du mitkommst?", fragte er schließlich und es war tatsächlich so weit gekommen, dass ich das Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht bekommen konnte. Ich konnte es immer noch nicht glauben und das obwohl er hier war, direkt vor mir stand und seine beiden Arme nach wie vor um mich gelegt waren. 

Mein erstes Jahr in New York war unglaublich gewesen, vielleicht etwas schwierig zu Beginn, aber anfangs gab es doch immer Hindernisse. Aber jetzt, wo Dylan hier war und hier dauerhaft bleiben würde, wusste ich mit großer Sicherheit, dass das kommende Jahr nur noch besser werden konnte. 


Hunted | Dylan O'BrienWhere stories live. Discover now