Kapitel 21

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Ich holte Schwung, um meinem Schlag umso mehr Kraft zu geben, aber zu einem Aufprall kam es gar nicht, denn bevor meine Faust mit seinem Gesicht in Kontakt kam, umklammerte er mein Handgelenk in einem festen Griff und hinderte mich an meinem Versuch, ihn zu schlagen. Für mich erklärte sich jetzt auch das, was er mir kurz davor gesagt hatte. Mir wird nichts passieren. Versuch einfach, mich zu schlagen, hatte Dylan mir gesagt. Hätte ich ihn doch getroffen, dann wäre es also dennoch seine Schuld gewesen.

"Versuch es nochmal!" 

Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass er diese ganze Sache so streng durchziehen würde. Ich wusste nicht mal, dass er so gut war - oder ich war einfach nur schlechter als ich mich selbst eingeschätzt hatte. Mir war bewusst gewesen, dass er sich verteidigen konnte, genau deswegen ließ ich mich von ihm trainieren, aber dass er so viel Kraft und solche Reflexe hatte, das war mir nie in den Sinn gekommen. 

Ich folgte seinen Anweisungen. Während ich versuchte mich aus seinem Griff zu lösen, traute ich mich mit der anderen Hand an einen weiteren Schlag heran, aber in einer schnellen Bewegung hatte er mich nicht nur in die entgegengesetzte Richtung gedreht, sondern auch meinen Rücken gegen seinen Vorderkörper gepresst. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich mich viel bewegt hatte, aber dennoch war ich außer Atem und schwitzte - das wiederum lag vielleicht aber daran, dass er sich tatsächlich eine halbe Stunde lang mit mir aufgewärmt hatte. Sportlich war er also auch noch.

Hätte ich nicht einen Grund, dann würde ich diese Demütigung ganz sicherlich nicht über mich ergehen lassen. Er wehrte alle meine Schläge mit Leichtigkeit ab, trickste mich zusätzlich noch aus und auch wenn er ebenso wie ich schwitzte und etwas schwer atmete, war ich mir ziemlich sicher, dass er dieses ganze Training um einiges länger durchhalten würde als ich. Aber abgesehen davon, dass ich einfach keine Person war, die gerne aufgab, erinnerte ich mich jede einzelne Minute daran, weshalb ich das tat. 

Ich wollte mich nicht mehr schwach fühlen. Ich wollte keine Angst haben, in der Dunkelheit durch die Stadt zu laufen. Ich wollte mich nicht hilfesuchend umsehen, sobald ich mit Personen wie Mr Burrows alleine war. Und genau diesen Personen wollte ich damit beweisen, dass ich nicht das leichte Ziel war, für das sie mich hielten. All diese Dinge konnte ich nicht tun, wenn jegliche Kampferfahrung, die ich hatte, dieser Selbstverteidigungskurs von vor zwei Jahren war -der nebenbei gesagt überhaupt nichts gebracht hatte, wie immer mehr und mehr feststellen musste. 

Versunken in meinen Gedanken hatte ich vergessen, dass Dylan mich immer noch fest in seinem Griff hatte, unser beider Atem schwer und dennoch bewegte sich niemand von uns, woran das lag, wusste ich nicht. Es war einer dieser Momente, die einfach so passierten. Niemand dachte wirklich nach, man war wie gefangen in diesem Moment, bis er dann endete -meist relativ schnell. 

Ich war diejenige, die diesem Moment ein Ende bereite, als ich mich aus seinem Griff löste und mich wieder vor Dylan stellte, sein Blick bereits auf mich gerichtet, während ich darauf wartete, dass er mir die nächste Anweisung gab.

"Nochmal", war alles, was er sagte und das reichte schon für mich, um erneut Schwung zu holen. Dieses Mal versuchte ich nicht sein Gesicht zu treffen, sondern seinen Bauch, aber auch diesen Schlag wehrte er wie die vielen Male davor mit Leichtigkeit ab. Die Tatsache, dass das alles so leicht für ihn war, machte mich fast sogar noch wütender, als meine eigene Unfähigkeit. Keinen einzigen Schlag hatte ich getroffen und dennoch war ich schon erschöpft. Genau das wollte ich nicht. Und daran würde sich etwas ändern, das wusste sich sicher. Hatte ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt, dann blieb es auch dort, bis ich es in die Tat umsetzte. 

"Deine Angriffe sind zu voraussehbar", kommentierte er, als ich einen erneuten Schlag wagte, der natürlich wieder missglückte. 

"Dein Arm ist zu locker, deine Faust nicht fest genug. So wie du gerade stehst, könnte ich dich mit Leichtigkeit auf den Boden schmeißen. Du konzentrierst dich nur auf diesen einen Schlag, vergisst aber, dass ich mich verteidigen oder der Schlag daneben gehen kann", fing er an und ich verschränkte meine Arme vor der Brust, während ich ihm zuhörte. Ich vertrug Kritik, erst recht, wenn sie mir weiterhalf. Wenn mich also etwas wütend machte, dann waren es meine eigenen Fehler, aber nicht die Personen, die mich überhaupt erst auf diese aufmerksam machten.

Hunted | Dylan O'BrienWhere stories live. Discover now