4. Schneeflocke

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,,Ich bin wieder Zuhause! Und ich habe jemanden mitgebracht!"
Die ersten vier Worte waren auch welche, die ich Tag für Tag in meine leere
Wohnung rief.

Doch eine Antwort bekam ich nicht.
„Willkommen zurück, Changbin-ah!
Wir freuen uns immer über Besuch!"
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und das Gefühl von Zuhause
durchströmte mich.
Auch jetzt mit 24 Jahren freute ich mich wie ein kleines Kind auf das
anstehende Familienessen.
Ich spürte einen brennenden Blick auf mir und drehte meinen Kopf zu
Chan.
Mit leicht verwirrten Blick schaute ich zurück, doch er reagierte nicht.
Eine leichte Nervosität stieg auf, doch auch als er nicht weiter reagierte
wurde mir bewusst, dass er sich wieder in Gedanken verloren hat.
Und ich mal wieder ein Opfer seines Starrens wurde.
Spielerisch boxte ich ihm gegen die Schulter, erweckte ihn somit aus seiner
Starre.
Genau passend, denn meine Mutter schneite in den großen
Eingangsbereich, welcher von dem Kronleuchter erhellt wurde.
Chan verbeugte sich tief und bedankte sich manierlich:
,,Vielen Dank, dass ich hier sein darf!
Ich entschuldige mich für die spontanen Umstände."
Verlegen erhob er sich und kratzte sich am Hinterkopf, während er meine
Mutter ein Lächeln zuwarf.
Und es wirkte Wunder.
Sie selbst wurde verlegen und winkte ab.
,,Ach du meine Güte, so höflich.
Keine Sorge, wir freuen uns über Besuch.
Kommt, das Essen ist bereits fertig."
Chan schien selig zu lächeln, doch das täuschte mich nicht über seine
Nervosität und sein Unbehagen hinweg.
Als meine Mutter hinter der Ecke ins Wohnzimmer verschwand, streckte
ich die Hand aus und zog Chan am Handgelenk ins Esszimmer, wo ich ihn
gleich auf seinen Stuhl drückte.
Hilflos schaute er sich um und ich seufzte auf.
Also wuschelte ich ihm durch die Haare, ignorierte jede Respektformel und
beugte mich etwas zu ihm herunter.
,,Wir beißen nicht, okay Hyung?"
Seine nächsten Worte hinterließen ein Gefühl der Beklemmung in mir.

„Sorry", sagt er leise.
„Ist nur lange her, dass ich irgendwo bei einem Familienfest war."
Doch ehe ich darauf reagieren konnte, schneite meine Mutter mit einem
großen Topf herein, gefolgt von meinem Vater, welcher verschiedene Teller
balancierte.
Er ließ es auch nicht aus, Chan mit einem kräftigen Händeschütteln zu
begrüßen.
Schon bald waren wir umgeben von dampfenden Tellern und Schüsseln.
Meine Mutter ließ es wiederum nicht aus, unserem Gast alles auf einen
Teller zu legen, den sie ihm dann feierlich überreichte.
,,Bitte!
Allesamt Spezialitäten.
Ich habe mir sogar ein Rezept aus Deutschland schicken lassen!"
Sie lachte auf.
„Dort ist Weihnachten ein wenig anders als hier.
Lass es dir schmecken, Chan-ah!"
Mein Vater brummte zustimmend auf und mampfte seinen Kartoffelbrei
weiter.
Als Chan dann den ersten Bissen von seinem Fisch nahm, schauten wir ihn
mit angehaltenem Atem an, doch schon bald strahlten seine Augen auf und
uns entwich ein erleichtertes Seufzen.
,,Das ist köstlich!", gab er noch mit vollem Mund zurück und wir mussten
laut loslachen.
Erleichterung beschlich mich.
Wenn Channie Benimmregeln fallen ließ, fühlte er sich in der Regel wohl.
Und das tat er anscheinend auch.
Denn mit jedem weiteren Bissen und Gespräch schien er aufzutauen.
Seinen Kummer und Stress hinter sich zu lassen.
Dieser Anblick von seinem strahlenden Lächeln und aufgehendem Herzen
war alles für mich.
Inzwischen musste ich wirklich unheimlich blöd und verliebt vor mich her
grinsen.
Doch abstellen konnte und wollte ich nicht.
Immer und immer wieder zauberte er mir neue und neue Schmetterlinge in
den Bauch, die meinen Körper vor Freude kribbeln ließen.
„-und dann hat Changbinnie den Verbrecher verfolgt und sich auf ihn
geschmissen!

Ich war unheimlich besorgt, da der Mörder noch ein Messer bei sich hatte,
allerdings hat er ihn nicht erwischt."
Ich blinzelte kurz, ehe ich Anschluss an das Gespräch fand.
,,Ahh, du meinst bei Kim Goyoung?
Natürlich hat er mich nicht getroffen, was denkst du bitte von mir?"
Meine gespielte Empörung trat nach draußen, sodass Chan versöhnlich
seinen Arm um mich legte und sich kurz an mich drückte.
,,Hast ja recht, entschuldige Changbinnie.
Wie konnte ich sowas auch nur von mir geben."
Das und ein weiteres Lächeln waren genug, um mich erröten zu lassen,
weshalb ich meinen Blick rasch von ihm abwendete, und die Wand
bemusterte.
Den wissenden Blick meiner Mutter spürte ich auf mir, während mein Vater
Chan in ein weiteres Gespräch verwickelte.
Doch meine Mutter schien den Blick nicht wieder wegzulegen, sodass ich zu
ihr sah und fordernd zurücksah.
„Was ist denn?"
,,Ach bitte Schätzchen, ich weiß genau, was los ist. Ich bin Mutter", schien
ihr Blick mir zu antworten, weshalb ich bloß meine Wangen aufblies.
Scheiße, dachte ich mir.
Wie schlimm soll das noch werden?
Was soll ich denn bitte dagegEin
Klatschen ertönte und riss mich aus den Gedanken.
Wir alle sahen hoch zu meiner Mutter, welche ihre Hände voneinander löste
und uns anlächelte.
„So, lasst uns spazieren gehen, ja?"
Mein Vater und ich nickten ergeben, während Chan nur einen verwirrten
Blick zu uns warf.
,,Wir machen jedes Jahr einen Spaziergang und schauen uns die
Lichtdekoration im naheliegenden Park an.
Da gibt es auch eine kleine Abzweigung vom Han River."
Ich schob meinen Stuhl nach hinten und klopfte Chan auf die Schulter.
,,Komm."

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Lichter über Lichter strahlten um uns herum und ließen unsere Umgebung
in einem beruhigenden und warmen Licht erstrahlen.

Die Anspannung löste sich, denn diese magische Lichtershow hatte seit
Ewigkeiten etwas Beruhigendes an sich.
An Bäumen hingen alle möglichen Arten von Lichterketten,
zusammengelegt zu unglaublichen Designs.
Auch hatte man die größte Tanne in dem Park geschmückt, weswegen sie
das große Highlight des Parks geworden ist.
In der Ferne sah ich sie schon funkeln, doch wir würden noch ein Stück zu
ihr brauchen.
Ohne Hektik schlenderte ich vor mich hin, kickte gelegentlich einige Steine
mit den Füßen weg.
Ich lief alleine vor mich hin.
Etwa zehn Meter vor mir gingen meine Eltern mit Chan und lachten alle
paar Atemzüge laut auf.
Meine Mutter hatte sich dabei in die Mitte gestellt und sich bei ihrem
Ehemann und dem Gast eingehackt.
Bei diesem Anblick musste ich lächeln.
Auch Chans Lachen hörte ich, was mich noch zufriedener werden ließ.
Er schien mir meine Eltern abzuluchsen, doch die Tatsache, dass er sich so
wohlfühlte, machte alles wieder wett.
Zufrieden lobte ich mich selber für diese Idee, Channie mitgenommen zu
haben.
Selbst wenn er jetzt zu dem neuen Lieblingssohn meiner Eltern mutierte,
ich würde ihn mit Sicherheit nochmal mitbringen.
Diese Sorglosigkeit wollte ich noch so viel öfters sehen.
Ob er die nächsten Tage oder an Silvester auch Zeit mit mir verbringen
möchte?
Ich war so in Gedanken versunken, dass mich die mit Handschuhen
bepackten Hände erschraken, welche sich an meine Wangen legten.
Kurz darauf spürte ich einen aufgehauchten Kuss auf meine Nasenspitze
und das Parfum meiner Mutter stieg mir in die Nase.
Vorsichtig hielt ich sie an ihren Armen fest, immer noch verwirrt von der
plötzlichen Aktion.
„Wir gehen heim, Sohneman" klärte mein Vater mich auf.
Anscheinend sind sie stehen geblieben, sodass ich sie dann eingeholt hatte.
„Zeig Chan-ah doch noch die große Tanne.
Ich muss noch die Torte fertigstellen, dann könnt ihr wieder zu uns stoßen."
Mit diesen letzten Worten tänzelte meine Mutter zu meinem Vater, ehe sie
sich gemeinsam auf den Heimweg machten.

So blieb ich mit dem Älterem zurück.
Perplex schauten wir uns an, gemeinsam überrascht von dem plötzlichen
Abgang meiner Eltern.
Ich richtete kurz meine Beanie, ehe ich weiterlief.
Dann blieb ich kurz stehen und wartete auf Chan-Hyung, welcher aufholte.
Irgendwie sagte niemand von uns etwas.
Es fühlt sich aber nicht wirklich gezwungen an.
Es war wie ein gemeinsames Schweigen.
Beruhigend und friedlich.
Doch kurz vor der Tanne durchbrach Chan die Stille.
,,Danke"
Verwundert blieb ich stehen.
„Wofür?"
„Alles", schien aus ihm herauszuplatzen.
Nun legte ich meinen Kopf schief.
„Alles?"
„Heute."
„Heute?"
Ich bekam ein Nicken.
„Hyung.
Ich finde dich wirklich toll, aber ganze Sätze finde ich auch toll."
Blinzelnd sah er zurück, ehe er verlegen auflachte.
Ich schnaubte belustigt auf und zog ihn mit mir weiter.
Dieses Mal erwischte ich nicht sein Handgelenk, sondern seinen Daumen.
Doch ich lief bereits los, sodass ich dann im Laufen versuchte, sein
Handgelenk zu erwischen.
Ich spürte seinen Körper durch ein Kichern beben und gab ein empörtes
"YAH!" von mir.
Nur noch diese Ecke mit den Bäumen umgehen und dann..
Spürte ich wie eine warme Hand meine kalte umgriff.
Nach und nach eroberten die Finger jeden Zentimeter und flossen durch
meine Finger, verschränkten sich mit diesen.
Die Bäume verschwanden und mein Atem stockte.
In mir begann es zu flattern.
Die Tanne erstrahlte vor uns und ich blieb stehen.
Ich wagte es nicht, einen Blick nach hinten zu werfen und starrte weiterhin
geradeaus.
Warum hielt er jetzt meine Hand?

.•*•. ❄︎ .•*•. ❄︎ .•*•.

Morgen geht es weiter.

Geschrieben von crazy_quokka

𝐒𝐜𝐡𝐧𝐞𝐞𝐰𝐨𝐥𝐤𝐞𝐧 || 𝓐𝓭𝓿𝓮𝓷𝓽𝓼𝓴𝓪𝓵𝓮𝓷𝓭𝓮𝓻Where stories live. Discover now