9. Schneeflocke

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Mit wachsamen Schritten betrete ich den Salon und suche aufgeregt nach dem großen Mann, der mir noch was schuldig ist. Langsam gehe ich durch die Gänge an vielen Waschmaschinen vorbei, bis ich am Handgelenk gepackt werde. ,,Hey-", ,,Ich bin es nur", ertönt seine Stimme. ,,A-ach so.." 

,,Bist an mir vorbeigelaufen", erklärt er und sieht mich dabei kaum an, seine Haare hängen ihm ins Gesicht und ermöglichen es mir nicht, ihn genauestens zu mustern. ,,Hm.. Hab dich nicht erkannt", ,,Jaja schon gut. Kommen wir zur Sache", er hört sich ziemlich müde und abwesend an. Er hat wirklich gar keine Lust darauf. 

Ohne ein Wort zu sagen, ziehe ich meine Jacke aus und gebe ihm diese. Er nimmt sie und stopft sie in eine Waschmaschine, tippt irgendwas auf dem Touchpad und bezahlt dann auch. 

,,Wohnst du in der Nähe?", frage ich in der Hoffnung, die unangenehme Stille zu vernichten und ihn näher kennenzulernen. Immerhin werden wir wohl oder übel mindestens eine halbe Stunde hier sein müssen, denn wenn der Fleck nicht rausgeht, dann müssen wir uns eine neue Lösung überlegen. Ich würde ja gerne sagen, es sei in Ordnung und Schwamm drüber, aber dies ist mein einziger Wintermantel, den ich habe, aber das Geld dazu, mir einen neuen zu kaufen, habe ich nicht. ,,Ja. Oben drüber, der Salon gehört meinen Eltern", antwortet er kurz. Ich nicke. Und dann trifft es mich wie einen Schlag. 

Ich ziehe schockiert die Luft ein und schlage mir die Hände vor den Mund. ,,Oh nein", flüstere ich überfordert. ,,Schon gut, du hast ja Recht. Es ist klein und ranzig", sagt er und meine kurz ein Zucken seiner Mundwinkel gesehen zu haben. 

,,Arbeitest du auf dem Markt oder warum warst du gestern als Elf verkleidet? Und wieso hast du überhaupt eine Karte mit deiner Telefonnummer?", auf einmal schwirren mir zig Fragen im Kopf. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich vor Nervosität mal wieder totalen Mist labere.. 

,,Das ist einer meiner Jobs, den mache ich nachmittags, wenn die Kinder mit dem Weihnachtsmann reden wollen. Was wäre er denn bloß ohne seine Elfen? Und die Karten sind für die Eltern, bzw für die Kinder, falls die mal mit Santa reden wollen. Da ist es meine Aufgabe zu sagen, er sei mit Geschenke einpacken beschäftigt, nur um dann wieder aufzulegen oder die Warteschleife abspielen zu lassen". 

,,Ist das nicht gemein?", frage ich und muss etwas schmunzeln, denn der Gedanke und die Idee sind schon witzig.. ,,Ist man nicht immer ein bisschen gemein, wenn es ums Geld geht?", entgegnet er schlagfertig. ,,Hast Recht". 

Für einige Minuten herrscht Stille, in welcher er einfach still da steht und ins Nichts sieht, und ich mir die Bedienungsanleitung zum tausendsten Mal durchlese. Irgendwann seufze ich und ermutige mich in Gedanken dazu, ihm die Frage zu stellen, die mir schon die ganze Zeit auf der Zunge liegt. 

,,Du hast mehrere Jobs?", haue ich schließlich raus und muss mich räuspern, weil meine Stimme total kratzig ist. ,,Mmh ja. Morgens arbeite ich in einem Café, Nachmittags auf dem Markt und abends liefere ich Pizza aus", ,,Aha. Ist das nicht schwer für dich?", ,,Doch manchmal schon, aber ich denke oft gar nicht daran, dass ich irgendwie nach Hause oder so möchte. Ich mache einfach meine Arbeit", er seufzt leise und sieht auf seine Schuhe. Während er mir das Ganze erklärt hat, hat er mir tatsächlich hin und wieder einen kurzen Blick geschenkt.

Irgendwie muss ich anfangen zu lächeln. Ich kann es nicht erklären, meine Mundwinkel heben sich einfach. ,,Das ist echt krass, Respekt", grinse ich. ,,Ich hab nur einen Job und verzweifle regelrecht daran", ,,Was denn für einen?". Etwas verblüfft sehe ich ihn nun an. Ich bin positiv überrascht, dass er mir nun auch eine Frage gestellt hat. ,,Ich arbeite im 24 Stunden Shop Vollzeit". Er nickt verstehend. 

Die Neugier packt mich immer mehr und mehr. ,,Du bist doch total jung. Wieso bist du nicht studieren gegangen?", ,,Wir konnten mein Studium nicht finanzieren und für ein Stipendium war ich nicht gut genug. Was ist mit dir?", ,,Wollte Karriere machen.. Hat nicht gut geklappt".

Ein lautes Piepen ertönt. Mein Mantel müsste im besten Fall jetzt sauber und trocken sein. Der Mann holt ihn raus und gespannt scannen meine Augen das flauschige Durcheinander in seinen Armen. Ich wollte schon glücklich lächeln, als ich dachte, der Fleck wäre weg, aber zu früh gefreut. Er entwirrt den Mantel und hält ihn vor mir in die Höhe. ,,Ach Mist", fluche ich leise enttäuscht. ,,Oh je, das tut mir Leid..", sagt auch er still und atmet dann aber hörbar aus. 

,,Wie viel?", ,,Hm?", „Wie viel muss ich dir für den hier geben?", hakt er nach und geht an mir vorbei, drückt mir auf dem Weg den Mantel in die Arme. Ich folge ihm, doch als er plötzlich im Hinterraum verschwindet, entschließe ich mich dazu, zu warten. Nach kurzer Zeit kommt er wieder mit seinem Geldbeutel in der Hand. 

Und auf einmal kommt mir ein Geistesblitz. Dieser war wirklich für nur eine Millisekunde da, doch die Idee ist genial. ,,Ich hab eine bessere Idee". 

Meine Mundwinkel formen sich zu einem breiten Lächeln. ,,Und die wäre?", er hört sich jedoch mehr als nur misstrauisch an. 

,,Du kommst an Heiligabend zu mir und tust so, als wärst du mein Freund-", ,,Nein", ,,Jetzt hör doch mal zu! Also du stellst dich bei meiner Familie vor, sagst, du wärst mein Freund, isst mit uns, singst vielleicht ein paar Lieder und dann kannst du wieder gehen. Die Jacke musst du dafür nicht bezahlen", erkläre ich und mein Lächeln wird dabei immer breiter und breiter. Er muss einfach ja sagen! Anders geht es nicht! 

,,Wie teuer war die Jacke?", ,,Bisschen mehr als 140 Tausend Won". 

Gelogen. Sie kostet eigentlich nur die Hälfte, aber was macht man nicht alles für ein schönes Familien Weihnachtsfest?

Er seufzt und verdreht leicht die Augen. Kleine Zicke.. 

,,Bin dabei", murrt er. ,,Du bist dabei?", rufe ich erleichtert. ,,Ja bin dabei", ,,Woohoo!". Glücklich umarme ich ihn kurz, ehe ich mich dann doch etwas schüchtern wieder löse und mit roten Wagen auf meine Schuhe schaue. Auch er scheint etwas überrumpelt und kratzt sich verlegen den Kopf. 

,,Ich heiße übrigens Hwang Hyunjin", flüstert er irgendwann leise. Mein Blick geht hoch und begegnet dem seinen. Warm lächelnd antworte ich ihm: ,,Schön dich kennenzulernen, Hyunjin. Ich bin Felix, Lee Felix". 

An diesem Tag wusste ich noch gar nicht, dass Hwang Hyunjin meine erste und letzte Liebe sein würde.. 

Ende.

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Geschrieben von potaevto

𝐒𝐜𝐡𝐧𝐞𝐞𝐰𝐨𝐥𝐤𝐞𝐧 || 𝓐𝓭𝓿𝓮𝓷𝓽𝓼𝓴𝓪𝓵𝓮𝓷𝓭𝓮𝓻Where stories live. Discover now