16. Schneeflocke

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Face the lie

Alle Menschen haben Seiten an sich, die sie anderen nicht zeigen können - Weder Freunden, noch Partnern oder sogar der eigenen Familie. Sie setzen ein Lächeln auf und spielen anderen etwas vor, um ihr wahres Gesicht zu verbergen. Und das alles nur damit die Welt sich noch ein bisschen länger in Frieden, um ihre eigene Achse dreht.

Hyunjin konnte das verkniffene Lächeln, das sich seit einer guten halben Stunde auf seinen Gesichtszügen breitgemacht hatte und das so langsam zu schmerzen begann, bereits von seinen Mundwinkeln rutschen spüren. Es war langsam wirklich genug. Er blinzelte überdurchschnittlich häufig und spätesten seine recht angespannte Haltung verriet, dass er sich in diesem Moment so gar nicht wohl in seiner Haut fühlte.

Lügen kommen in allen Formen auf dieser Erde vor. Manche halten ewig und werden mit dem verschwiegenen Hauptkörper irgendwann begraben, andere werden wie archäologische Fundgruben aufgearbeitet und nach einer langen Zeit letztendlich aufgedeckt und einige fliegen fast schon auf, sobald sie das Licht der Welt erblicken. 

Er wollte wirklich nicht hier sein. Das Licht war so ausgerichtet, dass er ständig geblendet wurde (und sich fühlte als würde er verhört werden), sein ansonsten komfortabler Stuhl musste auf der einen Seite ein wenig kürzer sein, da das Teil sobald sein Körpergewicht sich auch nur einen Hauch nach links verlagerte, im Gesamten ebenfalls beachtlich kippte und er hatte vergessen sein Teesieb rechtzeitig aus seiner Tasse zu fischen, sodass sein Schwarztee nun viel zu lange gezogen hatte und damit für ihn ungenießbar wurde. Ein anderer hätte sich die dunkle Brühe wahrscheinlich noch den Rachen hinuntergewürgt, aber Hyunjin hatte Standards…eigentlich.

Die Wahrheit ist etwas, das all die Lügner fürchten sollten. Sie sollten dem Ende einer Lüge nicht gleichgültig entgegensehen. Sie müssten bereuen oder sich zumindest für ihr Fehlverhalten entschuldigen. Lügnern sollte die Wahrheit wehtun, nicht den Belogenen.

Gott, er hatte doch gar nicht gegraben. Weder nach Fossilien, noch nach Diamanten oder anderen Schätzen und ganz bestimmt nicht nach Lügen. 

Und doch saß er hier, vor dieser Frau, von der er dachte, dass sie ihn nie verraten würde. 

Und doch saß er hier, vor dem Mann, von dem er dachte, er sei seine Zukunft und sie würden das kurz bevorstehende Weihnachtsfest zusammen bei seiner Familie verbringen.

Und doch war er es, der den gesamten Schmerz tragen musste, während seine Schwester wie selbstverständlich, die Hand seines festen Freundes hielt.

Und das war der Punkt an dem Hyunjin begriff, dass diese Welt zu gleichen Teilen aus sanften Offenbarungen und der gnadenlosen Wahrheit bestand. Er verstand, dass die Wahrheit niemanden verschonte.

Und er akzeptierte, dass Sie ab und zu einfach nur den Opfern wehtun musste.

„Seit wann?“, fragte er, während seine Aufmerksamkeit darauf lag die Buchstaben, die in seinen Schlüsselanhänger eingraviert waren, mit den Fingern nachzufahren. Er wollte den beiden nicht in die Augen sehen, denn es war schon demütigend genug in diesem überfüllten Café vor ihnen zu sitzen, während er kurz davor war zu heulen. 

Es war nur ein dummer Kosename.

„Ich weiß nicht genau wann es angefangen hat. Vielleicht als du für dieses eine Projekt so lange nach Japan musstest...“

„Das…das war im März verdammt!“ unterbrach er seinen (jetzt anscheinend) Ex zischend und seine anfängliche Trauer wandelte sich in Fassungslosigkeit. Die beiden waren schlau sich einen öffentlichen Ort für ihr Geständnis auszusuchen, denn ansonsten hätte Hyunjin bei dieser dreisten Offenbarung seine Manieren vergessen. Besonders als er aufblickte, musste er sich zügeln nicht komplett auszurasten, denn die Gleichgültigkeit mit der Dohyun ihm entgegenstarrte, war fast nicht auszuhalten.

𝐒𝐜𝐡𝐧𝐞𝐞𝐰𝐨𝐥𝐤𝐞𝐧 || 𝓐𝓭𝓿𝓮𝓷𝓽𝓼𝓴𝓪𝓵𝓮𝓷𝓭𝓮𝓻Where stories live. Discover now