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"Es tut mir so leid." Weil die Stille so plötzlich von seiner Stimme gebrochen wird, zucke ich kurz zusammen, bevor ich mich von Matt löse. Wir sitzen hier sicher schon eine Ewigkeit, in der ich durchgehend geweint habe, während er beruhigende Phrasen in mein Ohr gemurmelt hat. Ängstlich sehe ich zur Tür, weiß nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Matt sieht uns beide kurz an, bevor er ein letztes Mal über meinen Rücken streicht und dann in den Flur verschwindet. "Mila..." Ratlos sehen wir uns an. Wie soll das hier je funktionieren? "Ich bin ein Idiot. Komm, ich fahre dich nach Hause!" Ich antworte ihm nicht, husche lediglich an ihm vorbei ins Schlafzimmer, ziehe mich an und folge ihm still ins Auto. Schweigend sitzen wir nebeneinander. Ich sehe aus dem Fenster, darauf bedacht, nicht in Liams Richtung zu sehen. So lange, bis ich von ihm ein Schniefen höre. Schnell dreht mein Kopf sich herum und ich merke, dass Liam tatsächlich weint. Unkontrolliert laufen die Tränen über sein Gesicht. "Mila es tut mir leid. Das gehört eben dazu und ich... ich habe es versaut... ich hätte das nicht tun dürfen, aber ich dachte du willst es auch, weil du letztens darauf eingegangen bist als ich dir geschrieben habe, dass ich dir den Arsch versohlen werde. Ich hatte kein Recht dazu..." Er sieht mich nicht an, wischt lediglich einmal kurz seine Tränen mit dem Handrücken beiseite. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Will nicht, dass er denkt alles sei okay. Aber wie soll ich ihm das sagen? Er weint, er der große starke Mann. Was soll ich da sagen? "Ich weiß, dass nichts okay ist, nur weil ich micht jetzt entschuldigt habe." Ein schwaches Lächeln, dann sieht er wieder auf die Straße. Ich nicke lediglich und lasse meinen Blick aus dem Fenster schweifen. Wie soll das hier denn je funktionieren, wenn wir immer streiten, nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen? Doch ich traue mich nicht, meine Gedanken laut auszusprechen, weshalb ich einen schweigsamen Rest der Fahrt in Kauf nehme. Als Liam das Auto in meinem Hof parkt, bin ich froh, dass diese Situation vorbei ist, bis ich mich frage, wie ich mich jetzt verabschieden soll. Meine Hande fangen nervös an zu zittern und mein Atem geht schnell. Wieso habe ich mir das nicht vorher überlegt? Ich hatte doch Zeit. Langsam beuge ich mich zu ihm, traue mich aber weder, ihn anzusehen, noch den letzten Schritt zu machen. Bis er sanft eine Hand an meinen Rücken legt und dann seine Lippen auf meiner Stirn platziert. Dann lächeln wir uns zaghaft an, bevor ich schnell aussteige und in mein Haus laufe. Das hier wird alles immer kompizierter. Stöhnend lasse ich mich auf mein Bett fallen, atme tief durch. Plötzlich höre ich die Tür aufgehen, Schritte, die auf mich zukommen. Dann spüre ich wie sich jemand neben mich legt und meine Backe küsst. "Was ist los?" Fragt er und sieht mich besorgt an. "Nichts... war nur anstrengend, mit Rosie zu shoppen, du kennst sie doch." Rede ich mich heraus und drehe mich auf die Seite, sodass ich meinen Bruder ansehen kann. Er liegt flach da, mustert nachdenklich die Decke. Irgendetwas an ihm ist komisch, er wirkt lustlos, müde und nachdenklich. Ganz anders als sonst. "Was ist mit dir los?" Frage ich und mustere ihn noch immer. "Nichts." Die Antwort kommt zu schnell aus seinem Mund geschossen, weshalb ich verwirrt die Stirn runzle. "Dustin erzähl mir keine Geschichten. Was ist passiert?" Gespannt warte ich auf seine Antwort, doch er macht keine Anstalten, etwas zu sagen. Stattdessen setzt er sich auf und verlässt kopfschüttelnd den Raum. "Dustin?" Rufe ich und folge ihm. "Nein." Schon lange habe ich ihn nicht mehrso schlecht gelaunt gesehen. "Ist irgendwas mit der Schule?" Rate ich, aber die Antwort ist mehr als deutlich. Auf ein ironisches Lachen folgt die bittere Aussage "Es dreht sich nicht alles um die Schule, Mila. Normale Menschen haben auch ernsthafte Probleme." Dann stürmt er aus dem Raum, wobei ich ihn noch "Aber davon hast du ja keine Ahnung." murmeln höre. Dann wirft er die Haustüre ins Schloss und lässt mich allein und verwirrt zurück. Wieso ist er so zu mir? Egal was los ist, wollte ich ihm erstens nur helfen und zweitens bin ich nicht Schuld. Erschöpft lasse ich mich auf das Sofa fallen und beschließe, hier auf ihn zu warten.
Eine halbe Stunde später denke ich, dass er kommt, aber es sind nur meine Eltern. Ich unterhalte mich mit ihnen, bin dabei geistig aber nicht ganz da. Was ist nur mit meinem Bruder los? Etwa eine Stunde lang sitzen meine Eltern noch mit mir auf der Couch, der Fernseher läuft, doch ich weiß nicht einmal was wir uns ansehen. Dann gehen sie schlafen, bitten mich dabei, es ihnen bald gleichzutun. Ich nicke nur und laufe kurz hoch, um etwas bequemes anzuziehen. Anschließend sitze ich mit Jogginghose und einem großen Hoodie im Wohnzimmer und warte. Geschlagene drei Stunden muss ich mich wach halten, bevor ich jemanden an der Tür höre. Inzwischen ist es 2:38 Uhr, weshalb ich augenverdrehend gähne und zur Tür schlurfe, durch die mein Bruder gerade kommt. Er steht mir gegenüber und wippt leicht umher, während er versucht, seine Schuhe auszuziehen. Weshalb ihm das nicht gelingt würde man noch drei Kilometer gegen den wind riechen. Er hat Alkohol getrunken. Viel Alkohol. "Dustin." Flüstere ich, um ihn nicht zu erschrecken. "W-aas wills-st du?" Knurrt er, während ich mich auf den Boden knie, ihm seine Schuhe ausziehe und mir einrede, dass nur der Alkohol aus ihm spricht. "Komm, ich bringe dich in dein Bett." Murmle ich und will ihn stützen, aber er stolpert an mir vorbei, die Treppe hoch und nur einige Sekunden später finde ich ihn in seinem Bett. Gerade will ich selbst schlafen gehen, als ich seine leise Stimme höre. "Mila, ble-eibs-st du bei mir-r?" Seine Zunge ist langsam, er sieht erschöpft aus. Obwohl er regelrecht stinkt, kann ich ihm den Wunsch nicht abschlagen, lege mich müde neben ihn, bevor er mich fest in den Arm nimmt und so einschläft. Seufzend versuche ich, eine bequeme Position zu finden und kuschle mich an ihn. Was ist heute nur los...?

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