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Seit geschlagenen 20 Minuten sitzen wir jetzt in diesem Gerichtssaal und warten darauf, dass der Richter sein Urteil fällt. Langsam werde ich nervös, mein Bein hüpft unruhig auf und ab und alle paar Sekunden gehe ich mir fahrig mit einer Hand durch die Haare. Die Minuten ziehen sich wie Kaugummi und ich verstehe nicht im Geringsten, warum die Beratung so lange dauert. Wieder einmal stehe ich auf, muss mich bewegen, um nicht komplett verrückt zu werden. Genauso wie die letzten Male sieht Marvin mich beruhigend an, zwingt sich ein Lächeln auf, aber auch er kann mich nicht von meinem Trip holen. Ich bin gefangen in meinen Gedanken, die nur um den Richter, das Urteil und Liams Zukunft kreisen. Erschöpft lasse ich mich wieder auf meinen Stuhl fallen. Diese lange Beratungszeit kann doch kein gutes Zeichen sein. Das Gemurmel, das im Raum herrscht, klingt in meinen Ohren nur noch wie ein monotones Brummen, das mir extreme Kopfschmerzen bereitet und die stechenden Blicke mancher Anwesenden bohren sich förmlich durch meine Haut. Tapfer versuche ich, all das zu ignorieren aber die Geräusche und Blicke lassen mir nur einmal mehr meine missliche Lage bewusst werden. Die Person, die ich über alles liebe, wird bald verurteilt. Und das alles nur wegen mir. Wirklich realisieren kann ich diese Situation noch immer nicht, versuche noch immer, mir einzureden, dass alles gut wird. Aber das wird es nicht. Egal wie das Gericht urteilt, Liam und ich werden unsere Beziehung nicht fortführen dürfen. Bei dem Gedanken bohrt sich ein Schmerz tief in mein Herz und ich keuche erschrocken auf. Das hier ist alles zu viel. Die Hände an den Schläfen kreisend und tief Luft holend springe ich auf. “Ich muss hier raus.“ murmle ich wie paranoid und verlasse fluchtartig den Saal. So schnell meine Beine mich tragen laufe ich zum Ausgang, um mich draußen angekommen einfach auf den Boden fallen zu lassen. Tief atme ich ein und aus, versuche dadurch meinen Puls zu beruhigen doch das Blut rauscht geradezu durch meine Adern. Die Situation hier ist so verdammt aussichtslos. Plötzlich legt sich eine Hand auf meine Schulter und ich zucke zusammen. Als ich aufsehe, stelle ich verwirrt fest, dass meine Mutter sich neben mich setzt. Seit dem Vorfall haben wir nicht viel gesprochen. Nur eben das nötigste. Ich habe mir daraus selbst meine Schlüsse gezogen und mir gedacht, dass auch sie enttäuscht von mir ist. Aber gerade in diesem Moment bin ich einfach nur froh, als sie mich in ihre Arme zieht und mir einen Kuss auf den Scheitel drückt.
Einige Minuten sitzen wir einfach nur schweigend nebeneinander, beide versunken in unseren Gedanken, bis meine Mutter mich sanft von sich drückt und mir tief in die Augen sieht. “Schatz, du musst eine Sache wissen. Als ich von dir und Herr Keeth erfahren habe, war ich geschockt. Ich war im ersten Moment auch enttäuscht von dir, aber nicht, weil du mit ihm zusammen bist, sondern weil du nicht mit mir darüber geredet hast. Aber dann kam mir in den Sinn, dass es wohl meine Schuld ist, wenn meine Tochter nicht den Mut hat mit mir über solche Dinge zu reden. Ich bin keinesfalls der gleichen Ansicht wie dein Vater, das ist sicher. Natürlich wäre es mir lieber, du hättest dich in einen Jungen in deinem Alter verliebt, die letzten Tage wusste ich auch nicht, wie ich mit dir umgehen soll, ehrlich gesagt. Aber als ich euch vorhin miteinander gesehen habe, gesehen habe wie er dich ansieht, wie er deine Nähe sucht und wie sich ein wirklich ehrliches Lächeln auf deine Lippen legt, wenn er das tut, da habe ich gemerkt dass es mir egal sein sollte, wen du liebst. Solange du glücklich bist, bin ich das auch. Und ich werde alles dafür tun, dass du aus dieser misslichen Lage wieder glücklich herausgehst. Ich stehe hinter dir, egal was du tust.“
Als der Rede-Schwall meiner Mutter vorbei ist, bin ich sprachlos. Das habe ich wirklich nicht erwartet und gerade deshalb bedeuten diese Worte aus ihrem Mund mir gerade so viel. Ich merke, wie sich ein Lächeln auf meine Lippen schleicht und ziehe sie ihn meine Arme. “Danke Mum.“ flüstere ich in ihr Ohr, bevor wir uns wieder voneinander lösen. Sie aber lächelt nur, wischt mir einige unbewusst vergossene Tränen aus dem Gesicht und steht dann auf. Ich tue es ihr gleich, bevor wir gemeinsam zurück in den Saal gehen. Als wir den Raum betreten richten sich alle Augen auf uns, aber es macht mir weitaus nicht mehr so viel aus wie vorher. Ich bin mir der uneingeschränkten Unterstützung meiner Mutter jetzt sicher und das gibt mir unendlich viel Kraft. Selbstsicher gehe ich nach vorne, setzte mich auf meinen Stuhl und warte darauf, dass der Richter mit seinem Plenum erscheint.
Etwa fünf Minuten später öffnet sich endlich die Tür und die Personen in Roben treten ein. Der Richter verliest erst einige Paragraphen und fasst dann die Situation noch einmal zusammen, bevor er zur Urteilsverkündung kommt. “Der Angeklagte Liam Keeth wird zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ihm wird ein Kontakt- und Näherungsverbot für Mila Neuheimer verhängt. Sollte er sich diesem wiedersetzen hat er mit einer entsprechenden zusätzlichen Freiheitsstrafe zu rechnen.“ verkündet er. Geschockt ziehe ich die Luft ein. “Bitte was?“ rufe ich. Diese Strafe ist völlig ungerecht. Sofort beginnt wieder das Getuschel im Raum. Der Richter bittet um Ruhe, ignoriert mich vollkommen und spricht dann noch über Wege sich über das Urteil zu beschweren, bevor er geschlossen mit den anderen Roben-Trägern den Saal verlässt. Die beiden Polizisten nehmen Liam in die Mitte und führen ihn ab. Als ich genauer hinsehe, bemerke ich Tränen die über seine Wangen laufen. Das darf nicht die Wahrheit sein, das muss alles ein böser Traum sein. Noch immer unter Schock laufe ich ihm hinterher. “Liam“ schreie ich dabei immer wieder, doch weder er, noch die Polizisten reagieren darauf. Noch einmal sammle ich all meine Kraft, um erneut zu schreien, aber bevor ein Laut aus meinem Mund kommt fange ich an zu schluchzen, Tränen laufen über meine Wangen und ein unbeschreiblicher Schmerz bohrt sich tief in mein Herz. Das ist das Ende, sogar Liam hat uns aufgegeben, sonst hätte er sich wenigstens noch einmal nach mir umgedreht. “Ich liebe dich doch.“ flüstere ich unter Tränen und sacke auf die Knie, schnell atme ich ein und aus, werde hysterisch, beginne zu hyperventilieren, bevor ich plötzlich nur noch Schwarz sehe. Ich weiß, dass ich dabei bin, in Ohnmacht zu fallen, aber es ist mir egal. Am liebsten würde ich sterben, denn ohne Liam hat mein Leben keinen Sinn.

Manche Geschichten sind nicht dazu bestimmt, ein Happy End zu haben. Dass auch Liam und ich eine solche Geschichte sind, wird mir schmerzlich bewusst, als ich im Krankenhaus aufwache und die Erinnerungen wie ein Sturm auf mich einprasseln.

TeacherWhere stories live. Discover now