Zum mitnehmen, Bitte!

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Mein Boden war klatschnass. Ich hatte das Fenster offen und draußen regnete es wie aus Eimern. Ich hatte mein Fenster jede Nacht auf. Das war eine von diesen dummen Angewohnheiten, die wohl jeder von uns hat. Wenn das Fenster zu war, konnte ich einfach nicht richtig einschlafen. Jetzt denkt ihr sicher: 'Stell das Fenster doch auf Kipp, dann musst du morgen nicht alles wieder aufwischen, du hohle Nuss! Dann regnet es nur ein bisschen rein.' Aber so einfach ist das nicht... Ich habe nämlich auch die Macke das Geräusch nicht auszuhalten, wenn Regen gegen die Fensterscheibe prasselt. Dabei bekomme ich jedes Mal eine Gänsehaut.

Ich war gerade unter die Bettdecke gehüpft, als ich von draußen einen gedämpften Schrei hörte. Neugierig stand ich auf. Ich wickelte meine Decke um mich und stellte mich vor das Fenster. Sofort war ich nass. 'Was für 'ne dumme Idee!', dachte ich. Schaute, aber trotzdem hinunter in die Gasse. Direkt unter meinem Fenster standen zwei Kerle. Sie schienen sich, in der nicht mal zwei Meter breiten Gasse, zu prügeln. Naja, prügeln konnte man es wohl nicht nennen, denn der Kampf schien in sekundenstelle entschieden. Ein Mann im schwarzen Kapuzenpulli drückte den anderen, deutlich dickeren Mann, gegen die Wand des gegenüberliegenden Hauses. Der Kapuzenpulli-Mann schien noch irgendetwas zu sagen, doch im nächsten Moment schrie der dicke Mann auf. Ich zuckte zurück und stieß mit dem Kopf gegen den Fensterrahmen.

"Fuck!", fluchte ich und rieb mir den Kopf. Als nächstes höre ich ein lautes Platschen. Als ich wieder aus dem Fenster sah lag der Dicke auf dem Boden. Um ihn herum sammelte sich eine dunkle Blutlache, die der Regen fast auf der Stelle wegwusch. Kapuzenpulli-Mann starrte zu mir hoch. Ich konnte wegen der Kapuze sein Gesicht nicht sehen, aber ich wusste, dass er mich direkt anstarrte. Schnell, aber langsam genug um mir nicht noch mal den Kopf zu stoßen, zog ich mich in Zimmer zurück und schloss das Fenster.

"Verdammt...Verdammt...Was mach ich jetzt?", fragte ich laut in leere Zimmer hinein. Der Typ hatte mein Gesicht gesehen. Wörter wie 'Zeugenschutzprogramm' und 'Ich brauch auch einen Kapuzenpulli' schwirrten mir im Kopf herum. Doch ich zwang mich auf das wesentliche zu konzentrieren. Sollte ich Mrs. Samson Bescheid geben? Nein, lieber nicht. Die ist sonst richtig sauer auf mich...

Was denk ich denn da? Ich habe gerade einen Mord gesehen. Verdammt noch mal. Da sollte ich sie gefälligst holen gehen und die Polizei rufen. Ich raffte die Decke um meinen Körper und machte mich auf in Richtung Tür. Mrs. Samson ist bestimmt noch Patrouille gehen. Um diese Uhrzeit schläft die noch nicht. Hab ich schmerzlich erfahren müssen als ich mich letzten Monat zu Lily, meiner besten Freundin, ins Zimmer schleichen wollte. Kurz und knapp: Ich bin im Waisenheim und Mrs. Samson ist unsere Betreuerin. Ich bin jetzt 17 Jahre hier im "Kinder-Knast", wie ich das Waisenhaus liebevoll getauft habe. Es kommt jetzt nicht wirklich einem Knast gleich, aber wenn du gegen die Sperrstunden verstößt, büßt du mit geschlossener Zellentür und einem Monat Toilettenputzdienst.

Ich hatte schon die Türklinke in der Hand, als ich Glass klirren hörte. Im nächsten Moment schlag sich ein Arm um meine Taille, hielt gleichzeitig meine Arme fest und zog mich zurück. Ich wollte schreien, aber eine Hand presste sich auf meinen Mund. Ich sah die Ärmel seines schwarzen Pullis und spürte wie mir der Regen von seiner Kapuze in den Nacken tropfte. Ein Schauer lief mir den Rücken herunter.

"Also Kleine...", flüsterte er mir ins Ohr, "Ich werde jetzt meine Hand von deinem Mund nehmen. Wag es ja nicht zuschreien. Sonst kannst du was erleben..."

Ich nickte nur starr. Sobald er seine Hand da weg nahm riss ich mich komplett los. Ich stolperte ein paar Schritte nach vorne und stand mit dem Rücken zur Wand. Die Glasscherben vom Fenster schnitten mir schmerzlich in die nackten Füße. Ich biss mir auf die Lippe um nicht vor Schmerz zuschreien. Vor mir stand der Kapuzenpulli-Mann. Ich konnte sein Gesicht nicht ganz sehen, weil er immer noch die Kapuze trug. Ich begann zu zittern. 'Wie war er hier hochgekommen?', schoss es mir durch den Kopf.

Einen Moment standen wir uns so gegenüber. Keiner sagte etwas. Schließlich stöhnte er genervt auf. "Die schreit ja wirklich nicht...", hörte ich ihn murmeln. 'Hä? Aber er meinte doch ich solle nicht... Der Typ hatte sie nicht mehr alle!'

Als er mein verdutztes Gesicht sah hörte ich ihn leise lachen. Er kam einen Schritt auf mich zu und ich wich einen zurück. Ich keuchte leise auf, als sich die Scherben noch mehr in meine Füße bohrten. Ich begann Panik zuschieben. Doch da viel mir etwas Entscheidendes auf. Wo war seine Waffe? Ich sah keine. Die Taschen seines Pullis sahen nicht so aus als würde er darin ein Messer oder so etwas mit sich herumschleppen. Wo war also die Waffe? Mit irgendetwas muss er ja den Dicken getötet haben.

Der Kapuzenpulli-Mann kam immer weiter auf mich zu. Ich wich soweit zurück bis ich mit den Rücken gegen eine Wand stieß. Schließlich stand er vor mir und ich hörte in scharf Einatmen. Er hob seine Hand und ich zuckte zur Seite, was ihm ein weiteres Lachen entlockte. Doch anstatt mich zu berühren schob er bloß die Kapuze zurück. Er hatte einen leichten drei Tage-Bart und markante Gesichtszüge. Ich könnte jetzt ganz kitschig sagen, dass er unglaublich grüne Augen hatte, aber das hatte er nicht. Sie waren einfach Grün. Hier und da vielleicht ein kleiner blaugrauer Sprenkel. Mehr nicht. Nichts Spektakuläres. Zugegeben ich habe jetzt mit einem Alien-Kopf gerechnet. Also war hübsch, aber unspektakulär schon mal besser als hässlich und glitschig. Er legte den Kopf schief und musterte mich. Er war ein gutes Stückchen größer als ich, also ich hob den Kopf, um ihm ins Gesicht sehen zu können.

Plötzlich drehte er ruckartig den Kopf zur Seite. Er rülpste. Laut.

In einen riesigen Anflug von Ekel, der mir skurriler Weise Mut verschaffte, schupste ich ihn von mir. Ich rannte los und kam sage und schreibe zwei Schritte weit. Ich schlug volle Kanne auf dem Boden auf. Ein Schrei entfuhr mir, als mein Ellenbogen auftraf. Ich war gestürzt, weil sich meine Decke um meine Beine gewickelt hatte. Im nächsten Moment war der Kapuzenpulli-Mann über mir und riss mich nach oben. Er schmiss mich auf das Bett und setzte sich auf mich. Mit der einen Hand hielt er meine Hände fest und die andere presste er auf meinen Mund.

"Ich hab doch gesagt du sollt nicht schreien.", knurrte er über mir. 'Nochmal Hä? Hatte er sich nicht aufgeregt das ich NICHT geschrien habe?' Ich versteh es einfach nicht...

Plötzlich klopfte es an der Tür. "ELLA! SCHLAF ENDLICH!", brüllte Mrs. Samson. Ich riss erschrocken die Augen auf und starrte ihn an. Er lächelte und schüttelte seinen Kopf. "Denk nicht mal dran es zu versuchen!", flüsterte er. Tränen bildeten sich in meinen Augenwinkeln. Ich wollte mich bemerkbar machen, doch ich konnte mich weder bewegen noch sonst irgendetwas. Im nächsten Moment hörte ich Mrs. Samson wieder den Flur herunter stampfen. Beinahe fing ich an zu weinen als sie mich verließ. Das ich diesen Drachen von Frau jemals vermissen würde. Er lachte leise, als er mein verzweifeltes Gesicht sah. "Tut mir Leid wegen dem Rülpser. Ich bin einfach schon satt...", er dachte kurz nach, "Aber ich kann dich nicht einfach am Leben lassen..."

Plötzlich zog er seine lang verschollene Waffe. Na ja also er bleckte die Zähne und zwei riesige Vampirzähne kamen zum Vorschein. "Mhmm...Mh...", machte ich und strampelte herum.

Er lachte laut. "Okay, gut. Ich werde dich einfach mitnehmen. Das ist wie beim Drive In von McDonalds. Den Burger isst man dann ja auch unterwegs. Verstehst du?"

Vampire entführen keine kleinen MädchenМесто, где живут истории. Откройте их для себя