6.Kapitel

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Die Landschaft von England ist eine der schönsten weltweit, was zumindest in England eine allgemein bekannte Tatsache ist. Und wie in jeder schönen Landschaft, gab es auch in England jene, die als besonders schön hervor gehoben worden. Und in einem dieser besonders schönen Landstriche lebten die Bedfords. Natürlich war ihnen nicht bewusst, wie viel Glück sie damit hatten. So wie auch vielen anderen ihre glückliche Situation im Leben nicht bewusst war und sie nichts anderes tun konnten, als sich in einem fort darüber zu beschweren.

Die Landschaft war gesegnet mit großen Mischwäldern, sanften Hügeln und einem sehr angenehmen und milden Klima, doch nur Miss Sophie und ihr Vater Richard wussten die Freuden der Natur zu schätzen.

Für Lady Elionor und Ann zählten andere Dinge im Leben. Sie erfreuten sich an rauschenden Festen und ihrem Wohlstand...

In den ländlichen Gegenden sind die Zerstreuungen der gehobenen Gesellschaft bei weitem nicht so vielfältig wie dies in der Stadt der Fall ist. Deshalb löste jeder noch so kleine Ball eine wahre Euphorie unter den jungen Damen aus. Diese Euphorie war keineswegs nur auf die Vorbereitung eines Balles zu beziehen. Die allgemeine Aufregung war nach dem langersehnten Ereignis beinahe noch größer als vorher. Und es konnte durchaus sein, dass ein kleiner Ball Gesprächsstoff für die nächsten zwei Wochen lieferte.

Miss Caroline King war Sophies vertrauteste Freundin. Miss Caroline war die Tochter des Pfarrers und eine sehr wohlerzogene sowie gebildete junge Dame.

Es war kein langer Weg für Sophie, als sie am nächsten Morgen durch das kleine Dörfchen zum Pfarrhaus spazierte. Das Wetter war trüb, dicke graue Wolken zogen über den Himmel und ein leichter Nieselregen benetzte die blasse Haut und das blonde Haar der jungen Dame.

Wann immer ihr ein Dorfbewohner begegnete zogen sie den Hut vor ihr und grüßten sie freundlich.

"Wie war er" fragte Caroline, als sie über ihren liebsten Waldweg spazierten. Der Wald war einer jener zauberhaften Wäldern, wie sie meist in Büchern beschrieben wurden und der Pfad auf dem sie spazierten glich einem verwunschenen Pfad, welcher halb überwuchert von Pflanzen war und sich unter hohen alten Bäumen dahinschlängelte.

"Er" fragte Miss Sophie verwundert. "Mr Kingsley" half Caroline ihrer Freundin auf die Sprünge und blickte sie erwartungsvoll an. Verlegen biss Sophie sich auf die Lippe, seit zwei Tagen hatte sie versucht jeden Gedanken an diesen Mann zu vermeiden. Ohne jede Frage war Mr Kingsley ein sehr gut aussehender Mann, mit dunklen braunen Haaren, ebenmäßigen Gesichtszügen und unergründlichen Augen. Doch auch sein gutes Aussehen und sein charmantes Verhalten konnten Sophie nicht von seinen Vorzügen überzeugen. Sie ärgerte sich noch immer über sein unverschämtes Verhalten ihr gegenüber. Denn es galt als sehr ungehörig miteinander zu sprechen ohne vorgestellt worden zu sein, es war beinahe schon skandalös.

"Er war höflich" antwortete Miss Sophie knapp. "Findest du nicht, dass er ein sehr gut aussehender Mann ist?"

"Er mag gutaussehend sein" pflichtete Sophie ihrer Freundin zu. "Seine zukünftige Ehefrau wird eine sehr glückliche Frau werden" murmelte Caroline.

"Es ist nicht das Aussehen, was einen guten Ehemann ausmacht. Es ist viel mehr der Charakter des Mannes der entscheidend sein sollte. Weder Vermögen oder gutes Aussehen sollte in dieser Hinsicht den Verstand einer Frau trüben..."
"Du kannst dich glücklich schätzen, da deine gesellschaftliche Position es dir ermöglicht deine Wahl unabhängig von diesen Gesichtspunkten zu treffen, doch ich und viele andere haben diese Freiheit nicht, also verurteile uns nicht."
Sophie reagierte äußerst beschämt auf diese Worte, denn in ihrem Redeeifer hatte sie die Situation Carolines nicht bedacht. Schweigend gingen sie unter dem grünen Blätterdach einher, bis Sophie verkündete: "ich habe nicht die Absicht jemals zu heiraten..."

Erschrocken blickte Caroline ihre Freundin an, als Sophie hinzufügte: "ich würde einen Mann nur aus Liebe heiraten und lieber in der Gosse landen als mit einem Mann zusammen zu leben, den ich verachte..."

***

"Sophie wo warst du denn so lange" rief ihre Mutter aufgebracht, sobald Sophie das Haus betreten hatte. Mit in die Hüften gestemmten Armen erwartete ihre Mutter sie. "Und wie siehst du nur aus?" fragte Lady Elionor entsetzt, nachdem sie einen Blick auf ihre Tochter geworfen hatte. "Ich war spazieren" antwortete Sophie trotzig und stolzierte an ihrer Mutter vorbei. "Hast du etwa das Dinner bei Mr Kingsley vergessen" rief Elionor ihrer Tochter hinterher, die die Treppe hinauf lief. "Als würdest du mich dieses Dinner jemals vergessen lassen" fauchte die junge Dame aufgebracht.
Ein Blick in den Spiegel verriet der jungen Dame, was ihre Mutter so in Rage gebracht hatte. Ihre Haare waren zerzaust, die Wangen stark gerötet und der Saum ihre Kleides war mit Schlamm verkrustet.

Miss SophieWhere stories live. Discover now