34.Kapitel

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"Wie konnte er nur so etwas Gefühlloses und Beleidigendes sagen" empörte Sophie sich am nächsten Morgen über Mr Kingsleys Verhalten am vergangenen Abend.

Die beiden jungen Damen spazierten unter aufgespannten Regenschirmen durch einen heftigen Schauer. Die Blätter der Bäume im Park durch den sie wandelten leuchteten in sattem Grün und bildeten kathedralenartiges Gewölbe über ihren Köpfen.

Die Situation schien perfekt geeignet für ein Gespräch, das nicht von neugierigen Ohren mitangehört werden sollte. Denn außer ihnen war keine Menschenseele auf den aufgeweichten Pfaden unterwegs.

"Oh Sophie" begann Amalia ihre Cousine zu trösten, "gerade dir sollte Mr Kingsleys Verhalten bereits zur Genüge bekannt sein!"

"Aber er hat noch nie ein solches Verhalten mir gegenüber an den Tag gelegt."

Amalia konnte die Verwirrung ihrer Cousine nur zu gut verstehen. Bisher hatte Mr Kingsley Sophie nicht auf die selbe Art und Weise behandelt wie er jede andere Frau behandelte. Er hatte sie über die anderen empor gehoben und sie wie eine gleichrangige Partnerin behandelt.

Aus diesem Grund war nur zu gut zu nachzuvollziehen, dass Sophie der Verlust dieses Statusses Kopfzerbrechen bereitete.

"Aber wir sind es doch gewohnt, dass Mr Kingsley keinen Wert darauf legt, ob er die Gefühle anderer verletzt."

Sophie nickte und versuchte die unangenehmen Gedanken an ihn aus ihrem Geist zu verbannen. Doch immer wieder schlich er sich zurück in ihr Bewusstsein. Er erschien der jungen Dame so gut aussehend wie eh und je. Auch wenn Sophie es nur ungern zugab, Mr Kingsley und die Begegnung mit ihm hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht. Noch immer vermochte er es sie mit seinem majestätischen Auftreten zu beeindrucken. Auch wenn er sie tief getroffen hatte, schätzte sie seine Ehrlichkeit.

Insgeheim beschloss sie, dieses Kleid zukünftig nicht mehr zu tragen und von nun an Mr Kingsleys Gesellschaft zu meiden.

***

"Welches Kleid werden Sie am heutigen Abend tragen" fragte Sophies Zofe, sobald die beiden jungen Damen von ihrem Spaziergang zurückgekehrt waren.

Ohne auch nur einen Augenblick über ihre Entscheidung nachzudenken nannte Sophie ihr schlichtestes und zugleich biederstes Kleid.

Amalia musterte Sophie ein wenig irritiert, verlor aber in dieser Angelegenheit kein Wort, denn sie machte sich Vorwürfe, da sie Sophie gewissermaßen in diese Situation gedrängt hatte...

***

Zähneknirschend betrachtete Amalia, wie Sophie in einem ihrer einfachsten Kleider das Speisezimmer der Carters betrat. Keineswegs konnte man Sophies Anblick als unausstehlich bezeichnen, doch es bekümmerte Amalia sehr zu sehen, wie die hohen Gäste an Sophies niedrigen Stand erinnert wurden.

Die Carters schien dies allerdings kein bisschen zu stören, da sie selbst keineswegs zu den hochrangigsten Personen in Bath zählten.

Zweifellos floss in den Adern der beiden älteren Herrschaften und in denen ihrer gut aussehenden Söhne adeliges Blut, doch das Familienvermögen war so sehr zusammengeschrumpft, dass sie ihren Lebensstil kaum noch pflegen konnten.

Mr Carter, der wie allgemein bekannt war zur Spielsucht neigte, begrüßte seine Gäste höflich. Seine Ehefrau, eine kleine, rundliche Frau lächelte zufrieden und die drei stattlichen Söhne wirkten als säßen sie lieber mit ihren Kameraden von der Marine beim Kartenspiel, statt beim festlichen Dinner mit den Eltern.

Die Gäste staunten nicht schlecht, als sie Mr Kingsley unter den Herren erblickten, die sich bereits im Speisezimmer versammelt hatten.

Mr Kingsley, der von der Anwesenheit der Familie McAlister in höchstem Maße überrascht zu sein schien, verschluckte sich an seinem Wein. Sein Gesicht lief knallrot an, in der Anstrengung einen peinlichen Hustenanfall zu ersticken.

Zu ihrem Unglück war Sophie so dicht bei Mr Kingsley am Tisch platziert, dass sie nicht umhin konnte den Blick gelegentlich zu ihm hinüber schweifen zu lassen.

Während des Essens lauschte sie stets mit einem Ohr auf seine Gespräche, die er ausschließlich mit den anderen jungen Herren führte über Themen wie die Jagd, Pferde oder die aktuelle Politik der englischen Regierung.

Was Sophie nicht wusste war, dass auch er sie heimlich beobachtete und tatsächlich nur mit halbem Ohr bei seinem Tischgespräch war. Seine restliche Aufmerksamkeit galt der Heldin unserer Geschichte, die ihm gegenüber saß.

Hätte einer der am Tisch versammelten die Beiden genauer beobachtet, hätte er wohl bemerkt, wie die Blicke der Beiden immer wieder aneinander haften blieben ohne dass sie sich auch nur einmal dabei ertappten.

Das ganze wirkte beinahe so grotesk, wie dies in einigen Theaterstücken oft der Fall ist. Bis auf das kleinste Detail wirkte alles aufeinander abgestimmt und einstudiert.

***

Selbst nachdem das Dinner vorbei war und der gesellige Teil des Abends begann schienen die Beiden sich anzuziehen wie Magneten. Immer hielten sie sich in Hörweite des anderen auf, ohne diese begrenzte Umlaufbahn jemals zu verlassen.

***

Nur eine Person, die den Scharfblick und die Weitsicht eines Erzählers besitzt ist in der Lage die Gefühle, die die Helden unserer Geschichte so gekonnt vor den Augen der Gesellschaft verbargen zu erkennen.

Niemand nicht einmal Amalia konnte der nach außen hin strahlenden und gesprächigen Sophie ansehen womit sie sich in Gedanken herum schlug.

Und Mr Kingsley, der auf alle Anwesenden charmant wirkte, focht einen erbitterten Kampf gegen sich selbst aus. Eine Stimme in seinem Kopf flehte ihn an sich für seine harten Worte bei Sophie zu entschuldigen. Doch der Stolz in seinem Herzen verbat ihm dies. Statt seine Angebetete zu unterhalten vergeudete er den Abend indem er Damen unterhielt, die ein Gespräch über Geschichte oder Politik genauso wenig zu schätzen wussten, wie das persönliche Opfer das er brachte.

Unsere junge Dame saß etwas abseits neben ihrer Cousine, nippte an einem Tee und versuchte Mr Kingsleys Stimme zu ignorieren, die ihr dauerhaft zugetragen wurde, sobald die Damen ihr Kichern einmal unterbrachen. Aber keiner der Beiden wagte es, einen Schritt aufeinander zu zu gehen, sodass beide das Fest am späten Abend in einer Stimmung verließen, die alles andere als zufrieden war.

Miss SophieWhere stories live. Discover now