22.Kapitel

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Nachdem der Winter vorrüber war beschloss Lady Badford, dass sie und ihre Töchter die Gastfreundschaft ihrr Schwester lange genug in Anspruch genommen hatten und es an der Zeit war ein eigenes kleines Apartement zu mieten.

Wie bescheiden ihr neues Zuhause werden würde, wurde Lady Badford erst bewusst, als sie sich mit ihrem Schwager nach einer geeigneten Unterkunft umsah. Der Preis für die komfortableren Wohnungen war während der Saison in Höhen gestiegen, die für die alleinstehende Dame nicht erschwinglich waren.

Erst nach einer sehr langen suche, die sich über mehrere Wochen hinzog hatten sie ein passendes Objekt gefunden...

Die Wohnung, die Lady Badford angemietet hatte befand sich in einem weniger vornehmen Stadtteil Londons. Oder um die Lage etwas wahrheitsgetreuer zu schildern, befand sich der Stadtteil in den die drei Damen zogen, sehr weit entfernt von allem, was man als vornehm bezeichnen konnte.

Die Straßen waren schmutzig, die Gasthäuser unwirtlich, die Menschen schmutzig und ungehobelt, doch das schlimmste war der Gestank, der von der nahegelegenen Themse herauf zog und über dem Viertel hing wie ein Pesthauch.

Doch all dies hätte der jungen Miss Sophie nichts weiter ausgemacht, wenn sie näher an einem Park leben würden. Aber Parks gehörten zu einem Luxus, der mit ihrem neuen Leben nichts mehr gemein haben sollte.

Die Wohnung war mehr als nur bescheiden, für Ann und Elinor war sie eine Zumutung. Ihre neuen Räumlichkeiten bestanden aus einem Schlafzimmer und einem kleinen "Salon". Dieser sogenannte Salon war allerdings nichts weiter als ein kleiner, schmutziger Raum mit einem Ofen, der mehr qualmte als heizte und einigen abgewohnten Möbeln.

Das Badezimmer befand sich auf dem Flur, da dieses von der gesamten Hausgemeinschaft genutzt wurde. Aber warmes Wasser gehörte ab nun zu dem Luxus, auf den sie verzichten mussten, wie Ann nach ihrem ersten Blick auf das Badezimmer feststellte.

Kurz nach ihrem Einzug stellten sie fest, dass das Haus nicht nur feucht, schimmelig und dreckig war, sondern dass die Öfen kaum Wärme spendeten. Die Fenster waren klapprig und die Wände waren so dünn, dass sie jedes Gespräch ihrer Nachbarn mitanhören konnten.

Die Hausarbeiten in ihrem neuen Heim waren streng eingeteilt. Ann und Elinor versuchten zu kochen, was meist jämmerlich schief ging, da sie ja noch nie zuvor den Kochlöffel hatten schwingen müssen und daher nichteinmal wussten, wie man einen Tee zubereitete. Des weiteren waren die Beiden dafür zuständig die Wohnung so gut sie es vermochten zu reinigen.

Zu Sophies Arbeiten gehörten neben dem Feuer machen noch das Einkaufen und das erledigen der Wäsche. Streng kontrollierte sie die monatlichen Ausgaben der Familie und versuchte trotz des geringen Einkommens so viel Geld zurückzulegen wie nur möglich.

Trotz all ihrer Sparsamkeit bemerkte Sophie bald, dass das Geld hinten und vorne nicht reichte und so sah sie sich gezwungen zusätzlich noch Flickwäsche von wohlhabenderen Familien anzunhemen.

Sophie hatte kaum Zeit um sich über ihre neue Lebenssituation zu beklagen, sie hatte nichteinmal Zeit um daüber nachzudenken.

Doch Ann und Elinor trauerten dem guten alten Leben jede Sekunde lang nach. Sie vermissten das glanzvolle Leben mit Bällen, Theater Besuchen und Bediensteten die ihnen alle Arbeiten abnahmen. Für Sophie war es verständlich warum ihre Mutter und ihre Schwester sich nur schwer ihrem neuen Leben fügen konnten, doch sie hätte liebend gern auf ihr andauerndes gejammer verzichten können.

"Hättest du damals nur Mr Wragsdale geheiratet" sagte Mrs Badford eines Abends mürrisch zu ihrer jüngsten Tochter.

Sophie, die gerade einen Holzscheit auf die kleine Flamme im Ofen gelegt hatte, sah erschrocken auf.

"Dann hättest wenigstens du nun ein einfaches Leben..." Lady Badford seufzte und schloss die Augen.

"Möglicherweise wäre unser Leben tatsächlich komfprtabler verlaufen, doch mein Leben wäre keineswegs glücklicher gewesen." Zornig blickte sie ihre Mutter an, die sich wieder über ihre Strickarbeit gebeugt hatte. Zum Schutz gegen die Kälte hatte sie sich eine dicke, raue Wolldecke um die Schultern gelegt. Die Kerze spendete nur spärliches Licht, sodass sie sich ihre Arbeit dicht vor die Augen halten musste um überhaupt etwas erkennen zu können. In diesem Licht betrachtet erschien Sophies Mutter als sei in den letzten Monaten stark gealtert. Sie wirkte müde, erschöpft und ausgezehrt.

In diesem Frühling war das Wetter besonders unangenehm gewesen. Seit der letzte Schnee geschmolzen war hatten sie nur kaltes und regnerische Tage gehabt, was keineswegs dazu beitrug die Wohnung vom Schimmel zu befreien. Im Gegenteil. Sophie hatte den Eindruck, als wäre die Feuchtigkeit bereits bis zu ihren kostbaren Büchern vorgedrungen. Ihre Kleider fühlten sich immer Klamm an und Ann hatte einen besorgniserregenden Husten entwickelt.

Als sie diese unerfreulichen Entwicklungen betrachtete graute ihr schon vor dem nächsten WInter, der mit Sicherheit keineswegs milder als der letzte werden würde.

***

Sophie war so in ihren täglichen Aufgaben gefangen, dass sie kaum Zeit hatte um an Mr Kingsley zu denken. Nur Nachts, wenn sie vor kälte bibbernd in ihrem schmalen, harten Bett lag erlaubte sie ihren Gedanken zu Mr Kingsley zu wandern. Und manchmal fragte sie sich, ob sie ihre Entscheidung bereute....

Doch meistens übermannte der Schlaf sie, bevor ihre Gedanken sie weiter in längst vergangene Zeiten tragen konnten.

Am Morgen führte Sophies erster Weg sie stets zur Pumpe, die sich im Innenhof ihres Wohngebäudes befand. Mühsam und mit klammen Fingern füllte sie die Wassereimer, welche sie anschließend ächzend die Treppen hinauf bis zu ihren Zimmern trug.

Am Anfang hatten die anderen Hausbewohner sie argwöhnisch gemustert, da Sophie ihnen als zu fein und zu anmutig erschien um wie sie selbst in einem solch heruntergekommenen Haus zu leben. Aber es hatte nicht lange gedauert, bis sie sich an die junge, freundliche Dame gewöhnt hatten, die sich nicht scheute den älteren Menschen im Haus zur Hand zu gehen. Und bald war Sophie zu einem beliebten Mitglied der Hausgemeinschaft geworden.

"Guten Morgen Phillip" grüßte Sophie den einzigen jungen Menschen, der in ihrem Haus lebte, als er gerade aus der Tür zu seiner Kammer trat.

Phillip freute sich darüber sie zu sehen und zog seinen Hut zur Begrüßung. Zu Beginn ihrer Bekanntschaft war Phillip genauso skeptisch wie der Rest der Bewohner gewesen. Doch als er Sophie öfter begegnete freute er sich darüber nicht mehr der einzige junge Mensch unter Familien mit Kindern und Großeltern zu sein.

Sophies nächste Aufgabe war das Holz, welches sie für den Tag benötigten aus dem Schuppen zu holen, wobei Phillip ihr meistens zur Hand ging. Als Gegenleistung brachte sie ihm abends wenn er von seiner Arbeit als Hafenarbeiter nach Hause kam etwas warme zu Essen vorbei. Doch ihre Freundschaft ging nicht über höfliche, nachbarschaftliche Hilfe hinaus. Auch wenn Phillip sich gewünscht hätte, dass es anders wäre.

Sophies wege führten sie oft in die Stadt, um Einkäufe zu erledigen oder um Flickwäsche von A nach B zu ransportieren. Mit ihrem alten Leben hatte sie kaum noch Kontakt. All ihre alten Bekanntschaften wechselten rasch die Straßenseite, wenn sie sahen, dass Sophie sich näherte oder sie nahmen keine Notiz von ihr.

Nur Amalia war die einzige, die sich noch mit ihr abgab. Gelegentlich waren die drei Damen auch noch zum Dinner oder zu Festen bei den McAlisters eingeladen. Aber wenn sie an einer solchen Festlichkeit teilnahmen, fühlten sie sich umringt von der feinen Gesellschaft, einfach nur schmutzig und schäbig.

Auch die anderen Gäste gaben ihnen zu diesen Anlässen eindeutig das Gefühl, dass sie nicht erwünscht waren und nicht mehr zur guten Gesellschaft gehörten...

Miss SophieKde žijí příběhy. Začni objevovat