35.Kapitel

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Trotz dieses langen und anstrengenden Festes gelang es Sophie in jener Nacht nicht erholsamen Schlaf zu finden. Unruhig wälzte sie sich von einer Seite auf die andere, während ihre Gedanken immerfort um dasselbe Thema kreisten.

Mr Kingsley und das, was in dem vergangenen Jahr zwischen ihnen vorgefallen war. Er war die Liebe ihres Lebens, das wusste sie. Jeder Gedanke war auf ihn gerichtet und ihr Körper strebte mit jeder Faser auf ihn zu. Das einzige, was Sophie und ihn voneinander trennte waren die gesellschaftlichen Konditionen, welche zu jener Zeit strenger waren als sich der moderne Leser vorstellen zu vermag.

***

Als der morgen graute beendete die junge Dame ihre zwecklosen Schlafversuche, kleidete sich an und verließ stillschweigend das Haus, ohne dabei von einer Menschenseele bemerkt zu werden.

Es versprach ein herrlicher Tag zu werden. Luft und Himmel waren so klar, wie dies in England nur selten der Fall war. Trotz der frühen Stunde war es bereits angenehm warm und die Sonne streckte bereits ihre wärmenden Strahlen aus.

Unter einem Baldachin aus strahlend grünen Blättern schlenderte Sophie, die vollständig in ihren Gedanken verloren war durch den Park.

Die schmalen Wege waren trocken und staubig, da seit Tagen kein einziger Tropfen Regen gefallen war. Selbst den Teichen und Bachläufen war die Tücke des Wetters nur zu deutlich anzusehen. Nichts desto trotz schienen die Blumen, die die Wege säumten noch keinerlei Schwäche zu zeigen. Frisch und munter reckten sie ihre Köpfe der Sonne entgegen in freudiger Erwartung des neuen Tages, was aller Wahrscheinlichkeit nach, das gute Werk einer halben Armee von Gärtnern war.

Es war beinahe eine Schande, dass Sophie die einzige Seele war, die bereits unterwegs war um diese Pracht zu bewundern. Weit und breit schien Sophie die einzige Person zu sein, was in einer Stadt wie Bath doch eine Rarität darstellte. Denn ruhige Minuten waren in einer Vergnügungssüchtigen Gesellschaft dünn gesäht.

Bis sich Hufgetrappel unter den Gesang der Vögel mischte, wähnte Sophie sich in ihrer alten Heimat, doch viel zu jäh wurde sie aus ihrer Träumerei gerissen.

Immer näher kam das Geräusch, was Sophie dazu veranlasste auf den Rasen auszuweichen, für den Fall, dass der Reiter sie aus unachtsamkeit übersehen hatte.

Erst als der Gentleman auf der Höhe der jungen Frau angelangt war, zügelte er sein Pferd. Wäre unsere Heldin nicht aus härterem Holz geschnitzt, hätte sie es angesichts dieser Situation wohl mit der Angst zu tun bekommen.

Ohne dem Reiter weitere Aufmerksamkeit zu schenken, raffte sie ihre Röcke und wollte sich aus dem Staub machen. Weit kam sie jedoch nicht.

Behände war der Reiter von seinem Ross gestiegen, hatte sie eingeholt und hielt sie zurück...

Mit Schrecken erkannte um wen es sich bei dem Reiter handelte. Es war Mr Kingsley, der versuchte seine Unsicherheit zu überspielen, indem er fragte: "laufen Sie vor mir weg?"

"Ich laufe niemals weg" verkündete Sophie, die versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren, was sich aufgrund der Nähe zwischen ihnen als eine äußerst schwierige Aufgabe erwies.

Sobald Mr Kingsley ihre Schultern losgelassen hatte, wich sie einige Schritte zurück. Scheinbar wusste keiner von Beiden mehr, was in solch einer Situation zu sagen war, sodass sich ein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen ausbreitete.

"Ich muss mich für mein unschickliches Verhalten während der letzten Woche entschuldigen" flüsterte Mr Kingsley, dem es offensichtlich nicht leichtfiel diese Worte auszusprechen.

Verwundert hob Sophie den Blick von ihren Schuhspitzen. Als sie ihm in die Augen blickte, konnte sie sehen, dass diese Worte keineswegs nur so dahergesagt waren. Sollte sie seine Entschuldigung annehmen oder kein weiteres Wort in dieser Angelegenheit verlieren?

Miss SophieWhere stories live. Discover now