18.Kapitel

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Der nächste Tag begann für Sophie früher als sie erwartet hatte. Fast die ganze Nacht hatte sie schlaflos in ihrem Bett gelegen, geplagt von den widersprüchlichen Gefühlen in ihrem Herzen.

Als das erste Tageslicht zu ihrem Fenster herein strahlte, stand sie auf, wickelte sich zum Schutz gegen die Kälte eine Stola um und trat ans Fenster.

Gedankenverloren blickte sie auf den Park hinab, der zu dieser frühen Stunde einsam und verlassen wirkte.

Dichte Nebelschwaden waberten zwischen den Bäumen, deren Blätter sich rot und orange gefärbt hatten. Und leichter Reif bedeckte die Wiesen und Wege.

Ohne lange darüber nachzudenken, schlüpfte die Heldin unserer Geschichte in ihre Kleider, Band sich das lange Haar zusammen und verließ hastig das Haus.

***

Nicht nur Sophie hatte in dieser Nacht kaum schlaf gefunden. Auch Amalia, ihre Cousine, hatte in dieser Nacht kein Auge zu getan.

Immer wieder las sie sich den Brief durch, den sie am vergangenen Abend erhalten habe. Der Brief war nicht lang, doch er hatte all die Angst, die seit einem Jahr in ihr Schlummerte wieder aufleben lassen.

"Ich kenne Ihr Geheimnis"

Schmerzhaft zog sich Amalias Herz zusammen, wenn sie an das dachte, was sie getan hatte. Wenn jemand herausfand was sie getan hatte würde sie für immer aus der guten Gesellschaft ausgestoßen werden und kein anständiger Mann wäre noch bereit sie zu ehelichen. Schon gar nicht Mr Carleigh.

Wie hatte jemand von dieser Angelegenheit erfahren können? Immerhin hatten sie und ihre Familie weder Geld noch Mühe gescheut um diese schadhafte Angelegenheit zu vertuschen.

Frustriert warf Amalia den Brief samt Umschlag ins Feuer...

Erleichtert trat Amalia ans Fenster, doch was sie da erblickte ließ ihr Herz gleich noch banger werden. Ihre Cousine Sophie, verließ das Haus zu unziemlicher Stunde und ohne die Begleitung einer Anstandsdame. Nur mit einem Buch, das sie unter den Arm geklemmt hatte.

***

Zum Lesen sollte Miss Sophie an diesem Morgen nicht kommen, ruhelos Schritt sie über die schmalen Wege, stieg über Baumwurzeln und schlenderte durch die Wiesen.

In ihren Kopf wollte sich kein klarer Gedanke einstellen. Die aufrichtigen und zärtlichen Gefühle in ihr kämpften gegen ihre Abscheu und die Missachtung seiner Taten. Konnte ein Mann, der so Gefühlvoll und vernünftig wie jener Gentleman war, sich so schamlos, schäbig und gewissenlos verhalten. Konnte er von Liebe sprechen und gleichzeitig gänzlich andere Absichten verfolgen? Doch am meisten quälte Miss Sophie die Frage, ob seine Absichten ihr gegenüber aufrichtig waren. Oder sie für ihn nur eine weitere dumme Gans war, die auf seinen Charme hereinfiel.

Hätte ein vernünftig denkender Mann unsere junge Heldin zu jenem Zeitpunkt gesehen, hätte er sie zweifelsfrei für verrückt gehalten.
W

ie sie mit wirren Haar, klammen Kleidern und schmutzigen Schuhen durch den Park stapfte.

Gott sei Dank traf sie den einzigen Menschen, der genauso verzweifelt und verrückt vor Liebe war, wie sie selbst.

Mr Kingsley, der nach einer schlaflosen Nacht kaum besser aussah als Sophie, hatte sie entdeckt.

Am Ufer eines kleinen Teiches kämpfte sie sich wacker durch die dichte Uferböschung.

Miss SophieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt