14.Kapitel

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Mit schlechtem Gewissen verheimlichte Sophie ihrer Familie, was an diesem Sonntag vormittag geschehen war. Ihre Mutter und ihre Schwester waren ohnehin so beschäftigt mit den Vorbereitungen für Anns Hochzeit, dass sie kaum bemerkten, wie das jüngste Mädchen sich immer weiter aus dem Familienleben zurückzog.

Die Beiden Frauen sprachen über keine anderen Themen als die Blumen oder das Essen für die Hochzeit. Nur Sophies Vater schien zu bemerken, dass seine Tochter schweigsamer und grüblerisch geworden war.

Eines Abends bat er sie nach dem Dinner, welches im engsten Kreis der Familie stattgefunden hatte, in sein Arbeitszimmer.

Lord Badfords Abreitszimmer war gewissermaßen sein Heiligtum. Wodurch es nur höchst selten vorkam, dass er jemanden einlud ihn dorthin zu begleiten, da er es vorzug ungestört zu bleiben.

Die Wände des kleinen Raumes wurden von hohen Bücherschränken gesäumt und einige alte Ölgemälde mit angestaubten Rahmen bedeckten die noch freien Wandflächen. Auf dem Fußboden lag ein antiker Teppich, dessen Muster bereits begonnen hatte zu verblassen. Jedoch war das markanteste dieses Raumes der Schreibtisch, der geradezu gigantische Ausmaße hatte und mit Papieren und Büchern übersät war.

Nachdem Richard seiner Tochter einen Platz angeboten hatte, setzte er sich ihr gegenüber an den Schreibtisch, legte die Fingerkuppen aneinander und fragte schließlich nach einer Weile: "meine liebe Sophie, ich muss gestehen, dass ich mich in letzter Zeit sehr um dich sorge. Du bist immer stiller und verschlossener geworden, sodass ich dich fragen wollte, ob denn alles in Ordnung sei?"

Nachdenklich ließ Sophie den Kopf hängen, bevor sie antwortete: "ich habe in letzter Zeit über viele Dinge nachdenken müssen."

"Hat Mr Wragsdale dir so viel Anlass zum Nachdenken geboten" fragte Richard seine Tochter und lächelte dabei verschmitzt.

"Nicht nur er" gab Sophie zu und fragte sich insgeheim, woher ihr Vater von Mr Wragsdale wusste.

"Ich vermute, dass du Mr Wragsdales Antrag abgelehnt hast" vermutete Sophies Vater und musterte seine Tochter aufmerksam.

"Und um ehrlich zu sein, hätte ich nichts anderes von dir erwartet."

"Also war es in deinen Augen kein Fehler ihn abzulehnen, denn ich befürchte, dass Mutter toben wird vor Wut, wenn sie davon erfährt."

Miss Sophie klang ein wenig verunsichert, als sie dies sagte, nachdem er eine ganze weile geschwiegen hatte antwortete ihr Vater: "du hättest ein Dummkopf sein müssen, um seinen Antrag anzunehmen. Und was deine Mutter betrifft, sie muss ja nichts von dieser Angelegenheit erfahren. Von mir wird sie auf keinen Fall etwas erfahren."

Dankbar lächelte Sophie ihren Vater über den Schreibtisch hinweg an.

Da Sophie es für weiser hielt, ihrem Vater nicht von ihrer Vorliebe für Mr Kingsley zu berichten, war ihr Gespräch bald beendet gewesen. Nach dem gescheiterten Antrag hatte Sophie gehofft, dass sie Mr Wragsdale nicht so bald wiedersehen würde. Sie hatte bereits mit dem Gedanken gespielt für einige Wochen nach London zu reisen um ihre Cousine zu besuchen, doch diesen Gedanken hatte sie schnell wieder verworfen.

***

Wie es unweigerlich kommen musste erhielt Sophies Familie kurze Zeit später eine Einladung zu einer Abendgesellschaft, die Mrs Wragsdale, die Mutter Mr Wragsdales veranstaltete. Sophie war diese Einladung so unangenehm, dass sie inständig bat zu Hause bleiben zu dürfen. Ihre Mutter, die die Abneigung ihrer Tochter nicht verstand, bestand jedoch darauf, dass Sophie sie begleitete.

"Was hast du nur gegen den armen jungen Mann" fragte Ann, als die beiden jungen Mädchen sich für den Abend zurecht machten.

"Nichts habe ich gegen ihn" murrte Sophie, während sie sich ihren Schmuck umlegte.

***

Die Mädchen hatten ganze Arbeit geleistet, als sie Mr Wragsdales großzügiges Speisezimmer betraten, hingen die Blicke aller anwesenden Männer auf ihnen. Sophie spürte, dass Mr Kingsley sie besonders wohlwollend musterte...

Nachdem alle Gäste sich gebührend begrüßt hatten, begab sich die Gesellschaft zu Tisch, wobei Sophie wieder einmal von der Sitzordnung enttäuscht wurde.

An dem engen und mit Speisen überladenem Tisch saß Sophie eingezwängt zwischen Mr Wragsdale und Ihrer Schwester Ann. Der kleine Esstisch der Wragsdales war für eine Gesellschft dieser Größe komplett ungeeignet, weshalb die Gäste näher beieinander saßen, als ihnen eigentlich lieb war. Das Essen war üppig, ausgefallen und köstlich, aber auch für diese Fülle an Köstlichkeiten war der Tisch viel zu winzig.

Was Sophie neben der ungünstigen Tischsituation am meisten bedauerte war, dass Mr Kingsley so weit von ihr entfernt platziert war, wie der begrenzte Raum es zuließ.

Das Essen verlief schweigsam, zumindest von Sophies Seite aus, wohingegen sich Mr Wragsdale und Ann zu unterhalten versuchten, wobei der Gentleman immer wieder das Wort an Sophie richtete.

***

Nach dem Essen schien der Abend genauso träge weiter zu laufen, wie er begonnen hatte. Doch gerade als Sophie drohte endgültig in Langerweile zu versinken, trat Mr Kingsley an ihre Seite.

Augenblicklich hellte Miss Sophies Miene sich auf und die Beiden begannen leise ein Gespräch zu ühren: "sie scheinen sich heute Abend ein wenig unwohl zu fühlen..."

Erschrocken blickte Sophie ihn an, denn es war ihr peinlich, wie offensichtlich ihre Gefühle sein mussten.

"Was veranlasst Sie zu dieser Vermutung, SIr?" Ungeschickt versuchte sie Zeit zu gewinnen, um ihr Selbstvertrauen wieder aufzubauen.

Mr Kingsley blieb seiner jungen Freundin die Antwort schuldig und schenkte ihr stattdessen ein verschwörerisches Lächeln.

Als Mr Wragsdale die beiden jungen Leute so vertraulich beieinander stehen sah, erwachte in seinem liebenden Herzen die Eifersucht mit der Gewalt eines Löwen. Entschlossen trat er neben seinen Rivalen und verkündete mit verschwörerischer Stimme: "Sie beide sollten nicht so dicht beieinander stehen und dabei so vertraulich wirken. Es könnte bei einigen der Anwesenden zu der Vermutung führen, dass Sie Mr Kingsley unlautere Absichten haben, die Miss Badford betreffen könnten."

Vor Scham errötete Sophie noch ein wenig mehr und versuchte eine angemessene Erklärung zu stammeln. Mr Kingsley richtete sich zu seiner vollen Größe auf, wodurch er Mr Wragsdale um einige Zentimeter überragte.

"Darf ich Sie darauf hinweisen" begann Mr Kingsley mit bedrohlicher Stimme zu sprechen, "dass eher Sie unlautere Absichten bezüglich dieser Dame haben, da Sie mir solche unterstellen und sich auf impertinente Weise versuchen bei ihr anzubiedern."

Daraufhin wechselte Mr Wragsdales Gesicht rasch die Farben, von blass zu puterrot. Mit bebender Stimme sagte er: "solche Vorwürfe lasse ich mir nicht bieten... Verlassen Sie auf der Stelle mein Haus!"

Und somit endete der Besuch bei Mr Wragsdale, denn keiner seiner Nachbarn oder Freunde fühlte sich nach dieser Szene noch in gehobener Stimmung. Nur Mr Wragsdale, der glaubte über seinen Rivalen triumphiert zu haben, feierte seinen Sieg mit einem einsamen Glas Champagner.

Miss SophieWhere stories live. Discover now